61 Ricarda Kube Das Rathaus in Dresden-Pieschen - ein früher Bau der Dresdner Architektenfirma Schilling & Graebner und deren Schaffen in der Zeit von 1889 bis 1917 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlagerte sich das Zentrum dernoch bis 1897 selbständigen Gemeinde Pieschen vom ehemaligen Dorf Altpieschen ostwärts an das Gebiet um die Bürger straße. Neben mehreren Geschäftsstraßen entstanden hier als geistige Mittelpunkte von 1886 bis 1888 die neugotische Markuskirche und von 1890 bis 1891 das dem Stilvorbild der deut schen Renaissance folgende stattliche Rathaus. Letzteres ist nicht nur in gestalterischer, son dern auch in architekturgeschichtlicher Hinsicht beachtenswert, handelt es sich doch bei ihm um den ersten öffentlichen Bau der renommierten Dresdner Architektenfirma Rudolf Schil lings (1859-1933) und Julius Graebners (1858-1917), die unter diesen beiden Inhabern von 1889 bis 1917 bestand. 1 Das umfangreiche Werk der Firma enthält außer einer Reihe unausge führter Entwürfe, mehreren Grabmälern und einigen Brunnen über 100 Bauten, die, sofern sie nicht dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen, noch heute zum Bild Dresdens und seiner Vororte, vieler Ortschaften im Erzgebirge, in Böhmen und in ehemals schlesischen Gebieten in Polen beitragen und dabei den verschiedensten Nutzungsansprüchen genügen müssen. Vor allem bei ihren repräsentativen Aufträgen für Dresden fanden Schilling und Graebner zu einer ausgereiften, gediegenen Architektur, die sich zum einen dem städtebaulichen Charakter der vom Barock geprägten sächsischen Residenzstadt anpaßt, zum anderen aber auf höchst eigen schöpferische Weise den Historismus des 19. Jahrhunderts überwindet und zu einer moder nen Formensprache findet. Obwohl Rudolf Schilling und Julius Graebner eine ähnliche Ausbildung durchliefen-sie stu dierten an der Hochbauabteilung des damaligen Dresdner Polytechnikums bei Giese und Weißbach und arbeiteten danach in verschiedenen Berliner Ateliers-Schilling zudem in Mün chen -, waren die beiden Architekten nicht nur in ihrer Persönlichkeit, sondern auch in ihren Fähigkeiten recht unterschiedlich veranlagt. Daraus ergab sich zwangsläufig ihre Wirksamkeit innerhalb der Firma. Rudolf Schilling zunächst brachte als Sohn des Dresdner Bildhauers und Akademieprofessors Johannes Schilling in das junge Unternehmen das Startkapital und den berühmten Namen, verbunden mit vielfältigen gesellschaftlichen Beziehungen, ein. Über die künstlerischen Potenzen des zurückhaltenden, selten in Erscheinung tretenden Mannes läßt sich wenig sagen. Die zeitgenössische Fachpresse führt aus, seine Aufgabe sei es gewesen, „die Grund risse und die sonstigen praktischen Lösungen und Aufgaben mit den wirtschaftlichen und praktischen Anforderungen des Bauherrn in Einklang zu bringen“." Das ist jedoch weder anhand der Bauakten noch der Zeichnungen zu belegen. Großes Engagement bewies Rudolf Schilling- auch nach dem Tode Graebners — auf dem Gebiet des genossenschaftlichen, sozia len Wohnungsbaus. So fungierte er beim 1898 gegründeten Dresdner Spar- und Bauverein einige Jahre als dessen Vorsitzender und später als Aufsichtsrats-Mitglied.