41 18. Jahrhunderts, nach dem Retablissement in Sachsen und den Reformen Joseph II. in Öster reich, gelangten das sächsische und böhmische Manufakturwesen zu einer letzten Blütezeit. In das 19. Jahrhundert traten beide Länder mit einem beachtlichen Entwicklungsstand der ge werblichen Wirtschaft ein. Vergleicht man die Ausgangssituation, den Weg der Industrialisierung sowie den Entwicklungs stand von Sachsen und Böhmen am Beginn des 20. Jahrhunderts, sind zahlreiche Parallelen un übersehbar. Die Industrialisierung begann beiderseits der Grenze in den Mittelgebirgsregionen, wo eine dichte Siedlungslandschaft, eine hohe Zahl gewerblich geschulter Arbeitskräfte und ausrei chend Wasserkraft vorhanden war. Hier wie dort wurde die baumwollverarbeitende Industrie zum Motor der industriellen Durchdringung des Landes. Der führende Platz Sachsens in Deutschland auf diesem Sektor in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist allgemein bekannt. Daß Österreich aber trotz rückständiger sozialer Verhältnisse bis zu den 1840er Jahren zu einem der führenden baumwollverarbeitenden Länder auf dem Kontinent aufstieg, muß doch überraschen. Im Jahre 1840 arbeiteten in den Baumwollspinnereien der Monarchie mehr Spindeln als in allen Staaten des Deutschen Zollvereins und in Böhmen mehr als in Sachsen. 4 * Seit den 1850er Jahren kam es beiderseits der Grenze zu einer stürmischen industriellen Ent wicklung.-’ Zoll- und Handelserleichterungen, der Ausbau der Verkehrswege, die weitgehende Durchsetzung bürgerlicher und Gewerbefreiheit und weitere gesetzgeberische Maßnahmen hat ten daran Anteil. Berührungspunkte zwischen den Nachbarn ergaben sich vor allem bei gemein samen Verkehrsprojekten sowie in Steuer- und Zollfragen. Die wirtschaftspolitische Annäherung Österreichs an Norddeutschland wurde von Sachsen vorerst nach Kräften unterstützt. 1862 trat das Land dann aber als erster deutscher Staat trotz Wiener Protesten dem Handelsvertrag zwischen Frankreich und Preußen bei und beförderte damit den zollpolitischen Ausschluß Österreichs aus Deutschland. Mit der Auflösung des Deutschen Bundes 1866 war schließlich auch politisch ent schieden, was wirtschaftlich bereits Realität war. Österreich und die böhmischen Länder, bis 1866 ebenso wie Sachsen im Deutschen Bund, wurden 1867 zum Kerngebiet von Cisleithanien - der westlichen Reichshälfte der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Sachsen trat dem von Preußen dominierten Norddeutschen Bund bei. Der rasante wirtschaftliche Aufstieg der »Grün derjahre« fand 1873 mit dem »Gründerkrach« ein jähes Ende. In den folgenden Krisenjahren vollzogen beide Staaten die Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus und den allmählichen Übergang zur Schutzzollpolitik. 6 ’ Sächsische Industrielle und Bankiers, die seit der Jahrhundertmitte an der industriellen Erschließung des südlichen Nachbarn (besonders Nordböhmens) beteiligt waren, suchten durch die Errichtung von Zweigwerken oder Kapitalbeteiligungen ihre dortige Markt position zu sichern und auszubauen. Unterstützung erhielten sie hierbei von ihrer Regierung, die die traditionelle Mittlerrolle des Landes nach 1871 besonders im ökonomischen Sinne ausübte. In Wien unterhielt Sachsen seit 1874 seine einzige ausländische Gesandtschaft. Welchen Anteil beide Länder an der Industrialisierung ihrer jeweiligen Staaten hatten, sollen folgende Fakten verdeutlichen. Sachsen war um 1875 der erste industrialisierte Staat des Deut schen Reiches und die böhmischen Länder das industrielle Herz Österreich-Ungarns. 7 ’ An der Wende zum 20. Jahrhundert zählten beide Regionen zu den fortgeschrittensten Industriege bieten Europas. Böhmen, lange Zeit durch sein agrarisches Hinterland gegenüber Sachsen im