90 Wolfgang Nicht Böhmen und Sachsen als Euroregion Die Beziehungen des Freistaates Sachsen zur Tschechischen Republik werden durch ähnliche Tendenzen geprägt wie die Beziehungen Ostdeutschlands zu den mittelosteuropäischen Staaten generell. Die Bürger sehen dieses Verhältnis sehr nüchtern, die Zeiten, da der Prager Früh ling oder die Charta 77 Modellcharakter haben konnten, sind längst vorbei. Für unsere Nach barn wurde aus dem beargwöhnten Rivalen im Ostblock ein Teil des vereinigten Deutsch lands. Für die tschechische Politik, für die tschechischen Bürger, war ihre Einbindung in Mit teleuropa immer eine entscheidende Frage, und so ist Sachsen für Böhmen die Brücke nach Europa. Durch die Lage Sachsens im Dreiländereck zur Republik Polen und zur Tschechischen Repu blik hat auch die enge Kooperation mit Böhmen eine entscheidende Bedeutung für die wirt schaftliche Entwicklung des Freistaates. Die Industriealisierung Sachsens im vorigen Jahr hundert ging einher mit der Industriealisierung Nordböhmens; eine Wirtschaftskooperation knüpft also an alte Traditionen an. Tschechien und Sachsen haben eine gemeinsame Grenze von 454 km Länge. Die Tschechische Republik nimmt im Außenhandel des Freistaates Sachsen die fünfte Stelle ein. Im Jahr 1993 wurden insgesamt Waren im Wert von 252,6 Mio DM eingeführt, während das Ausfuhrvolu men 551,5 Mio DM betrug. Böhmen ist ein wichtiger Markt für sächsische Produkte, und die Kooperation zwischen mittelständischen Unternehmen in Böhmen und Sachsen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Nicht nur der geschichtlichen Belastungen wegen besteht in der nordböhmischen Bevölkerung aber Angst vor Überfremdung oder gar dem Ausverkauf des Landes an die deutsche Wirtschaft. Die Gemeinschaftsinitiative INTERREG II der EU hilft dabei, strukturelle Schwächen in Grenzregionen abzubauen. Dem Freistaat Sachsen stehen für die Jahre 1994 bis 1999 146,2 Mil lionen ECU zur Verfügung. Mit dem sogenannten PHARE-Crossborder-Programm wurde das Instrument geschaffen, um auch Nichtmitgliedstaaten in die EU-Förderung einzubeziehen; dabei standen speziell für Tschechien 1995 etwa 25 Mio ECU für Maßnahmen zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur bereit - wichtige Voraussetzung flir die grenznahe Kooperation, für Um weltschutzmaßnahmen und zur Steigerung der touristischen Qualität der Region. Zunehmende Kooperation ist verbunden mit steigendem Warentransport und Verkehr. Dieser Verkehr, vor allem auf der Landstraße, belastet die Umwelt und viele Städte und Gemeinden. Der Verkehr zwischen Böhmen und Sachsen geht über das Erzgebirge oder durch das Elbtal. Im Juni 1994 wurde die Rollende Landstraße (ROLA) in die Wege geleitet: In Dresden werden Lkw auf Eisenbahnzüge verladen, dann bis Lovosice gefahren und dort entladen. Die Verzollung