16 es konnte höchstens acht Uhr, acht Uhr der Sommerzeit sein. Wenn ich mich jetzt schon hinlegte, würde ich durchschlafen können? Aber das war ja ein Befehl, und das Herrichten des Bettes war immerhin eine Tätigkeit, und vielleicht ließ das Nichtsgefühl im Liegen nach. Ich schlief sofort ein. Ich wachte auf und es war hell. Ich dachte: Früher Morgen, die erste Nacht liegt hinter dir. Es war ganz still, jetzt schlug die Uhr der Kreuzkirche deutlich, ich zählte an den Fingern. Erst die vier Schläge des Voll, dann noch neun, mehr nicht. Als ich mit dem Zählen fertig war, sah ich mich unvermittelt in dem Zimmer in der Alvenslebenstraße, das ich 1910 bewohnt hatte, als Eva in der Klinik war. Zuerst war das Zimmer da, und dann erst das brennende Jucken an Schulter und Arm, das ich seit damals nicht wieder gespürt hatte. Wanzen! Bestimmt Wanzen - nicht Mücke, nicht Floh, nicht Laus, ich habe doch Erfahrungen, ich bin in Misdroy gewesen, im Unterstand und in Spanien. Eigentlich war ich gar nicht entsetzt. Das möchte dazugehören, und das war immerhin eine Ablenkung. Schlimmstenfalls würde ich einige Zeit außerhalb des Bet tes verbringen und danach vor Müdigkeit fester schlafen. Ich suchte und fand nichts, ich kratzte mich gottergeben und schlief wieder ein. Neues Aufwachen, jetzt war es wenigstens dunkel. Von unten drang Lärm zum Fenster herein. Das Getrappel mehrerer Pferde, das Motorgeräusch mehrerer Räder und eines Wagens, Stimmen und Schritte. Nachher Stim men, Schritte und Öffnen und Schließen von Zellen im Haus. Ich habe das dann jeden Abend gehört, es wurden neue Gefangene eingeliefert. Ein einziges Mal war ein wildes Wei bergekreisch und ein bedrohliches Anbrüllen dabei, sonst ging wohl alles ordentlich und gesittet zu. Auch jeden Morgen, gegen 5, hörte ich die Pferde und die Motoren. Die Stal lung der wenigen berittenen Polizisten schien neben Garagen unten im Hof zu liegen. Morgens mischte sich regelmäßig noch eine dritte Stimme ein, das jugendliche Meckern einer Ziege. Sie mußte liebevolle Herren oder Freunde haben, immer wurde sie in zärt licher Tonart gelockt. Eine Weile hat mich dies Hinauslauschen unterhalten; dann aber sagte ich mir: Du klammerst dich an die Geräusche des Lebens - und es erbitterte mich. Als ich zum drittenmal aufwachte, war es wirklich Tag, freilich noch sehr früher, im Haus regte sich nichts. Mein erster Gedanke war: die Wanzen, mein zweiter: ich spüre sie nicht mehr, ich habe sie schon nicht mehr gespürt, als die neuen Gefangenen in der Nacht ein geliefert wurden. Ich untersuchte nun meinen Körper, meine Wäsche, das Bett. Nichts war zu finden, keine empfindlichen immer wieder brennenden Stellen, keine Blutspuren, kein Lebewesen. Um dies ungelöste Rätsel gleich ganz zu berichten: jeden Abend bin ich nach dem ersten Einschlafen von dem geheimnisvollen Ungeziefer geweckt worden. Ich mußte mich lang kratzen, am Arm, am Hals, am Bein, ich sah die starken Schwellungen und tastete sie ab, es war nicht etwa eine nervöse Täuschung. Aber wenn die Tiere sich satt getrunken hatten, gaben sie Ruhe für den Rest der Nacht und für den ganzen Tag und blieben unauffindbar verschwunden. Ich umgab sie mit einer ganzen Geschichte. In Anlehnung an den PPD nannte ich sie den PWD, den Polizeiwurm Dresden. Sie waren gewiß eine besondere Züchtung, auf dem Fell von Polizeihunden, von Rottweiler Bluthun den herangebildet. Sie hatten besondere Polizeieigenschaften: sie hielten sich verborgen,