20 Einwänden zu rechnen, sie sind Pariamentsredner, sie können es sich nicht allzu bequem machen, sie müssen discutieren, begründen, sie sind gebremst. Die neuen Führer sprechen allgemein, niemand kann ihnen widersprechen, sie reden vor einem stummen Scheinparla ment nicht anders als am Rundfunk, sie haben keine Pressekritik zu fürchten, sie sind völ lig ungebremst. Sie gehen hemmungslos auf die Betäubung einer stummen Masse aus, sie gehen darauf aus, die Vielheit beseelter Individuen zu dem mechanisierten Collectivum zu machen, das sie Volk nennen und das Masse ist. Aus dieser Ungehemmtheit ergibt sich die Roheit und Maßlosigkeit der Rhetorik und die dominierende Stellung der Rhetorik in LTI. Ein besonderes Kapitel über die Beschimpfungen, über den Gebrauch des Superlativs. Im Italienischen, wahrscheinlich auch im Russischen, bestimmt in der Reklamesprache, ist der Superlativ längst gebräuchlich, er entspricht dem Volkscharakter, und so wirkt er nicht übermäßig schädlich, die Sprache ist gegen ihn immunisiert. Im Deutschen trifft er auf einen von dieser Krankheit nie zuvor befallenen Körper. Fluch des Superlativs: er muß sich von Mal zu Mal überbieten. Nachweis an H.’s und Göbbels’ Reden ... Letzter Teil: Einzelcharakteristiken, Einförmigkeit der LTI. Ganz wenige Autoren formen sie schreibend und redend, die Masse wird zur genauen Nachahmung erzogen. Kaffeepott! Es war 11.30, der dünne Kornkaffee und die Pellkartoffeln wurden hereinge reicht. Ich setzte mich triumphierend an den Tisch. Ein ganzer Gefängnistag, ein erstes Achtel war vorüber, die letzten drei Stunden waren verflossen, ohne daß ich an die Zeit gedacht, ohne daß ich meine Zelle überhaupt nur bemerkt hatte, es war wie in meinem Arbeitszimmer gewesen. Warum solle ich nicht gleicherweise über die nächsten 7 Tage hin wegkommen. Aber diese Zuversicht überdauerte nicht den letzten Schluck aus dem Kaffee pott, der nur die Kartoffel herunterspülte, aber keine Anregung gab. Ich war jetzt müde, die vier Käfigschritte, die Zelle in all ihren Einzelheiten, das Minutenzählen waren wieder da. Mittagsruhe halten. Wo? Das Bett durfte nicht heruntergeklappt werden, es war auch wenig verlockend. Aber hatte ich in L. [Leipzig] während des Krieges nicht hundertmal in der dB [Deutschen Bücherei] mit dem Kopf auf dem Zensorentisch über die böse Nach tischstunde hinweggeschlafen? Warum ging das nicht auch hier? War das Bänkchen so viel unbequemer als dort der Bureaustuhl? Nein, aber dort stand die Tätigkeit des weiteren Nach mittags, die Freiheit des Abends vor mir, und hier der Zwang der Zelle, noch 168 Stun den Zelle. Ich saß nicht auf irgendeinem Stuhl, auf irgendeiner Bank, ich saß, senz’altro, schlechthin. Die fürchterliche Prägnanz des Ausdrucks >sitzen< für gefangensein ging mir aller Komik entkleidet auf. Vielleicht stammt das aus einer Zeit, wo die Enge der Zelle überhaupt nur das Sitzen zuließ, jedenfalls die Fesselung der Bewegungsfreiheit, wie das >Er liegt<, die Fesselung eines Kranken bezeichnet. Wie viele Worte, ohne ihre volle Prä gnanz zu erfassen, und wie wäre ein harmloses Sprechen möglich, wenn immer die volle Prägnanz auf uns lastete. Darüber dämmerte ich wirklich ein Weilchen ein, aber das Auf wachen war grausam. Vollkommene Leere, in mir die Zelle und gewiß noch die allerläng ste Zeit des Nachmittags um mich. Wieder stieg die Angst von gestern hoch. »Du mußt dich fallen lassen, Onkel.« Ich hörte die Stimme meines Neffen Walter, wie er vor 20 Jah ren zu mir gesprochen. Er wollte Schauspieler werden, er meinte das Hinfallen auf der