39 Caris-Petra Heidel Zwischen Naturheilkunde und Rassenhygiene - Dresdner Medizin im Nationalsozialismus O Mit der Aufgabe, »die wertvollen Erbanlagen im Volke mit allen Mitteln zu fördern und die minderwertigen zu bekämpfen, die sich auf Kosten der hochwertigen auszubreiten dro hen und zu einer Volksentartung führen könnten ... und Wege aufeuzeigen, wie eine uner wünschte Rassenmischung zu verhindern ist, die die rassischen Werte des Volkes schädigt, insbesondere den Bestand der im deutschen Volke führenden, kulturschöpferisch höchst wertigen Rassen gefährdet« 11 , wurde auf der am 6. Mai 1911 eröffneten I. Internationalen Hygieneausstellung Dresden 2 ’ innerhalb der zwölf Ausstellungsgruppen eine Sondergruppe »Rassenhygiene« zur Schau gestellt. Rassenhygiene war bereits zu einem schillernden Be griff geworden, der zunächst verschiedene Interpretationen offenließ und insbesondere als gewichtiger Lösungsweg aus der in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts als »Krise der Medizin« 3 ’ bezeichneten Zuspitzung verschiedener, größtenteils jedoch längst bekannter Probleme weltanschaulicher, fachlicher, standespolitischer und sozialpolitischer Art be schrieben wurde. Wesentlich geprägt wurde die Diskussion um die »krisenhafte« Situation der Medizin durch die Kritik an der Mitte des 19. Jahrhunderts begründeten naturwissen schaftlich fundierten Medizin, deren angeblich rein rationalistisch-mechanistische Grund einstellung nun als zu eng empfunden wurde, da sie den Menschen nicht in seiner leib-seeli schen Ganzheit erkennen könne. Nicht unwesentlich beeinflußt wurde diese Auffassung in der Medizin übrigens durch die bereits vor dem Ersten Weltkrieg einsetzenden »Erneue rungsbewegungen« (wie z.B. der Jugend- und Lebensreformbewegung), die - als Aus druck eines Unbehagens an der modernen Zivilisation und der fortschreitenden Industria lisierung seit Ende des 19. Jahrhunderts - die Rückkehr zur naturgemäßen Lebensweise propagierte und gegen Althergebrachtes, Ungesundes, Unnatürliches, kalte Rationalität, moderne Wissenschaft und Zivilisation aufbegehrten. Mit dem Streben nach einer Reform der Individualmedizin zu einer auf die Volksgesund heit im ganzen gerichteten, insbesondere auf Prophylaxe und Anleitung zur gesunden, naturgemäßen Lebensführung konzentrierten, also einer »biologisch denkenden« Medizin, sollten nicht zuletzt sozialhygienische Bestrebungen, eine zunehmende Beschäftigung mit sogenannten Außenseitermethoden (wie Naturheilkunde, Homöopathie) und vor allem die Rassenhygiene als entscheidende Lösungswege angesprochen werden. Die sich seit der Jahrhundertwende etablierende bürgerliche Sozialhygiene blieb dabei auch nicht unbeein-