5 auf Halberstadt am 8. April 1945« zeigt in paradigmatischer Weise jene Hilflosigkeit, zu der Täter und Opfer gleichermaßen verurteilt sind. Ein Reporter fragt: »Südlich von Fulda Kurs wechsel ... Wie geplant? Andersen: Das ist alles geplant ... Was das sollte, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann mich nur zur Angriffsmethode äußern. Das sind ja Profis ... Reporter: Was hätten Ihre Spitzenflugzeuge getan, die die Rauchzeichen setzten, wenn eine aus sechs Bettlaken gefertigte große weiße Fahne über den Martinitürmen gesetzt worden wäre, gut sichtbar? Anderson: Das ist eine ganze Maschinerie, die da anfliegt. Kein einzelnes Spitzen flugzeug. Was soll das Großlaken bedeuten? Eine List? Gar nichts? Man hätte sich vielleicht darüber unterhalten. ... Reporter: International bedeutet aber eine große weiße Fahne Kapi tulation. >Wir ergeben uns<. Anderson: An Flugzeuge? Spielen wir das doch einmal durch ... Reporter: Das ist aber keine faire Chance. Was sollte denn eine Stadt tun, um zu kapitulie ren?« 7 ’ - »Tally ho« rief der Hauptmarkierer gegen 22.03 Uhr über Dresden, und etwa 20 Minuten später der Masterbomber: »Gute Arbeit, Plate-rack-Verband. Die Bombenwürfe liegen ausgezeichnet.« 8) 4. Die bewegendsten Dokumente findet man - um wieder zum Ausgangspunkt zurückzu kehren - unter den Aufzeichnungen der Betroffenen: Briefe, Berichte, Tonbandprotokolle als Erfahrungen von unten: Nichtfiktionale Texte, in deren schlichter und unverstellter Sprache der Horizont unserer Erfahrungsmöglichkeiten umrissen wird. Allein durch die Gewalt ihrer Botschaft können sie über sich hinausweisen. »Frau S. erlebte die Luftangriffe am 13. und 14. Februar 1945 im Hause Webergasse 19, in dem ihre Mutter wohnte«, heißt es einleitend zum Tonbandprotokoll 1988 9> : »Dann kam der zweite Angriff, und wir gingen wieder in den Keller. Ich hatte meinen Sohn in den Armen und legte ihm ein nasses Tuch auf das Gesicht, wegen dem Rauch ... Ich weiß nicht, welche Stunde mein Kind tot war, auch meine Mutti. Ich war dann auch ohne Besinnung. Und als ich dann wieder zu mir kam, lagen die Leichen bis oben auf meinem Körper.« Frau S. gehörte nicht nur zu den ganz wenigen, die im Stadtzentrum, dem innersten Kreis der Hölle, überlebt haben (sechs von 95 wurden aus diesem Keller gerettet); sie ist später auch einem von denen begegnet, die damals über Dresden waren: »Ich bin dann bei meinem Bruder in England gewesen, zweimal. Und einmal steht mein Bruder am Radio und sagt, hier gibt einer durch, daß er gern mal jemanden treffen würde, der den Angriff auf Dresden erlebt hat... Und da sind wir dorthin ... Und auf einmal fing der Mann an zu erzählen. Und da sagte er, er wäre Flugzeugführer gewesen, und zwar hat er den zweiten Angriff gemacht. Ich kann Ihnen sagen, der fing an zu weinen. Ich komm in meinem ganzen Leben nicht drü- berweg, sagt er. Denn ich habe auch Familie, Kinder und Enkel. Er zeigte mir dann auch ein Foto ... Da sagte er bloß: Mit der Maschine bin ich angeflogen. Es wäre für ihn auch grauen voll gewesen. Er hat’s nur von oben gesehen, nicht wahr ...« Nur selten gewinnt unter den Stereotypen der Erlebnisberichte ein Text diese Dichte des Ver- weisens. In den Tränen des Mannes, der mit beigetragen hatte, Sohn und Mutter von Frau S. zu töten und Zehntausende dazu, offenbart sich etwas von der stillen Gewalt des Humanen; einer Reue angesichts schuldhafter Verstrickungen, die Teil unseres Schicksals sein können. Das nach außen gerichtete Tonbandprotokoll berührt unser Inneres.