7 Matthias Neutzner »Wozu leben wir nun noch? Um zu warten, bis die Russen kommen?« Die Dresdner Bevölkerung vom 13. Februar bis 17. April 1943 In den nicht einmal 48 Stunden zwischen dem Abend des 13. und den Mittagsstunden des 15. Februar 1945 hatten die Dresdner Einwohner vier vernichtende Luftangriffe erlebt. Wäh rend von außerhalb Einheiten der Luftschutzpolizei, der Technischen Nothilfe, des DRK und andere Helfer die tödlich getroffene Stadt erreichten und versucht wurde, die Brände zu löschen, Verschüttete zu bergen, Verwundete zu behandeln, hatten Zehntausende Dresdner nur ein Ziel: die Stadt zu verlassen, die kein Obdach mehr bot und keine Sicherheit. Die Augenzeu gen haben sie eindringlich beschrieben, die Züge der Fliehenden: erschöpft, verzweifelt, hoff nungslos schleppten sich die Flüchtlinge aus der Stadt. Die Auffangstellen am Stadtrand und in den umliegenden Gemeinden boten Erste Hilfe. Hier gab man Verpflegung aus, wurden Verletzte versorgt, auf Strohlagern waren einige Stunden Ruhe möglich. Eine erste Registrie rung erfolgte, die »Betreuungskarten für fliegergeschädigte Haushalte«, Voraussetzung für jede weitere Unterstützung, wurden ausgegeben. Wie groß das Heer der Flüchtlinge war, lassen einige wenige Statistiken aus den westlichen Randgebieten der Stadt ahnen: »In den ersten zwei Wochen betrug die Tagesabfertigung durchschnittlich 1000 Personen«, berichteten die Auffangstellen des 12. Stadtbezirkes. 11 In den fünf Auffangstellen der Kreisstelle Plauen wur den bis Mitte März fast 16.000 Fliegergeschädigte gezählt. 2 * Am Abend des 15. Februar hatte die Mehrzahl der aus Dresden Geflohenen irgendwo, wenn auch überaus provisorisch, Quartier gefunden: sie waren durch die Ortsgruppen der NSDAP der umliegenden Orte in Gasthöfen, Schulen oder anderen Lagern untergebracht worden oder hatten privat Aufnahme gesucht. Natürlich waren dadurch die Randgemeinden unerträglich überfüllt, so daß mit allen Mitteln versucht wurde, den Flüchtlingsstrom weiter zu verteilen. Mit der Eisenbahn, mit Kraftfahrzeugen und Fuhrwerken, selbst mit Elbschiffen wurden die Dresdner abtransportiert oder zu Fuß auf den Weg in die nächsten Gemeinden geschickt. Am 27. Februar meldete der Gendarmerieposten Gittersee, daß im Ort lediglich noch 400 der ursprünglich aufgenommenen 2800 Dresdner wohnen würden. »Alle übrigen Ausgebombten wurden nach erfolgter Verpflegung in Richtung Possendorf weitergeleitet«. 3 * »Nun sitzen wir hier, ärmer als Kirchenmäuse, auf Stroh, mit nichts und gar nichts. Es hat uns schlimm erwischt. ... Ganz Dresden ist wohl glatt erledigt.« 4 * Der Brief, dem diese Zeilen entnommen sind, wurde zwei Tage nach der Bombennacht in einem Lager in der