109 Gerd Albers Denkmalpflege oder Inszenierung? Zur Wiederherstellung des Dresdner Neumarktes »Ein großes Unglück, aber eine große Chance« hatte Churchill die Kriegszerstörungen in den englischen Städten genannt, und so wurden sie auch von den Stadtplanern in Deutschland begiffen. In vielen Entwürfen der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre wurde jenen Chancen nachgegangen, manchmal mit relativ behutsamen, häufiger mit radikalen Verände rungsvorschlägen für den Stadtgrundriß und die Bebauungsformen. In der DDR gab es in dieser Hinsicht meist weniger Bedenken als in der Bundesrepublik, teils wegen des ideologi schen Hintergrundes, teils wegen der freieren Verfügungsmöglichkeit über das Bodeneigen tum. Aber auch im Westen ging die Grundstimmung zunächst dahin, daß es keinen nur an der Vergangenheit orientierten »Wiederaufbau« geben sollte: Otto Bartning bezeichnete ihn nicht nur als physisch, sondern auch als moralisch unmöglich. Diese Einstellung hat sich schrittweise gewandelt. In dem Maße, in dem die Zukunftseupho rie der sechziger Jahre schwand, orientierte man sich auf die Vergangenheit hin. »Von der Gegenwart enttäuscht und ohne Vertrauen auf das Kommende, befriedigte die Gesellschaft ihr Utopiebedürfnis durch Geschichte.« 1 ' In diesen Zusammenhang wird man die Überlegungen einzuordnen haben, die zur Neugestaltung des Dresdner Neumarktes angestellt werden und seine Wiederherstellung in »historischer« Gestalt zum Ziel haben. Der Wunsch, nach den schrecklichen Verlusten ein Stück des alten Dresdens wenigstens im Raumgefuge und in Fassadenrekonstruktionen wiederzugewinnen, ist sehr verständlich, aber das vorgetragene Konzept wirft doch eine Reihe von Fragen auf. Hinsichtlich der Gesamt struktur kann man daran zweifeln, ob das erstrebte kleinteilige Parzellen- und Nutzungsgefüge angesichts der heutigen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten zu erreichen ist; dies wäre aber eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen des Vorhabens. Was die Straßen räume angeht, so fragt sich, ob die Freilegung des Profils der Moritzstraße mit ihrer spitz winkligen Einmündung in die Wilsdruffer Straße wirklich einen stadtgestalterischen Gewinn darstellen würde und ob die Wiederherstellung des engen Profils der Töpferstraße mit der dadurch bedingten schlechten Belichtung der Randbebauung tatsächlich heutigen Stadt bewohnern — auch wenn sie »nur« Hotelgäste sind — zumutbar wäre. Dabei gilt es auch zu bedenken, daß der Neumarkt nicht aus einer geschlossenen »Konzep tion« entstanden, sondern aus vielen geschichtlichen Einzelschritten erwachsen ist. Insofern