57 Erinnerungsblatt 1694 Am 28. April 1694 wurde der erst dreiundzwanzigjährige Kurprinz Friedrich August, der »junge frische Herr«, nach dem unerwarteten Tod seines Bruders, Johann Georg IV., in Abwesenheit in das Amt des Sächsischen Kurfürsten eingeführt. Dieses Ereignis - der neue Landesherr befand sich derweil, jung verheiratet, aber allein, in Venedig - markiert den Beginn der großen Zeit des säch sischen Barock. 10 Wochen zuvor erblickte am 14. Februar eine nicht minder berühmte Figur, der sächsische Eulenspiegel des 18. Jahrhunderts, Joseph Fröhlich, das Irrlicht dieser Welt. Mit einem kuriosen Bettelbrief des Hofnarren an seinen Kurfürst-König möchten wir an das An fangsjahr einer sinnenfrohen Epoche erinnern, die zur eigentlichen Legende Dresdens wurde. Joseph Fröhlich an August den Starken Allerdurchlauchtigster, großmächtigster König und Kurfürst, allergnädigster Herr, Ew. K. Maj, haben durch dero unvergleichliche Huld und Gnade mich dermaßen verweh- net, dass ich ein solch hartes Vertrauen zu Ew. M. habe, dass keine Seemuschel oder Auster in dem tiefen Meeresgründe so feste an den Felsen angewachsen und sich daran halten kann, als mein Herz an der felsenfesten Gnade Ew. M. hanget. Dann, wann ich alle Gnadenbezei gungen auf diesem engen Blatte namhaft machen sollte, welche gleich einem Strome auf mich dürren Stockfisch zeithero zugeflossen und dadurch ich so geschmeidig geworden bin als ein in Butter zerlassenes Ei oder wie ein neunmal aufgewärmtes Sauerkraut, so wäre es ebensoviel, als wenn mir Einer zumuthete, ich sollte in einem Tage von hier bis nach Gibral tar laufen und morgen wieder zu Mittage hier sein. Doch nur eine einzige K. Gnade zu nennen, so habe an Ew. K. M. ich einen so treuherzigen Cre- ditorem 11 , welcher Seinem ungehobelten Debitori 2) gern noch mehr leihen will, ohngeachtet er die erste Schuld noch nicht abgetragen. Und obzwar der Herr Creditor, wiewohl mit ganz ande rer Manier, als sonsten in der Welt geschieh«, mich an die Bezahlung erinnert, nämlich solche an abgewichener Leipzigischen Michaelismesse zu leisten, so ist es doch nicht geschehen mit har ten Bedrohen, wann ich etwa eine Viertelstunde über den Termin aussen bliebe, dass der Herr Urian Debitor sich gefallen und geschehen lassen möchte, dass ein paar Wächter vor seinem Zimmer ihre Parade machen und vor solche Bemühung jeder täglich sechs oder acht Groschen abfordern. Monsieur Debitor aber in dem Zimmer auf und nieder immer in Trocknen spazieren gehen könne, wiewohl ich rede von einem, der sich mit einem Wechsel verbunden, weil mir die letzte Leipzigische Messe noch immer in Kopfe stecket. Da aber, dem Himmel sei Dank, von