4 Siegfried Wollgast: Wesenszüge der deutschen Frühaufklärung Die Aufklärung ist eine gesamteuropäische Erscheinung. Vieles gilt es hier durch die marxistische Philosophie- und Wissen schaftsgeschichte neu zu bewerten. Die Erforschung der deutschen Frühaufklärung ist, dabei kommt es mir hier lediglich zu, von der Philosophiegeschichte zu sprechen, bislang vernachlässigt worden. So werden die Quellen der deutschen Aufklärung vornehmlich in der französischen, englischen bzw. niederländischen Geistes- und ökonomischen Entwicklung gesehen. Es tritt fast völlig in den Hintergrund, daß eine von der deutschen Reformation und vom deutschen Humanismus herführende Linie direkt in die Aufklärung und dann in die klassische deutsche Philosophie mündet. Wer aber die Herausbildung der deutschen Frühaufklärung begreifen will, muß M. Luther berücksichtigen. Man kann an den "Linken der Refor mation" und Th. Müntzer nicht vorbei, wenn man die geistige Ent wicklung des 18. 3h. in Deutschland begreifen will. Die "Linken der Reformation", z. T. auch die Humanisten - Paracelsus sei hier als Beispiel genannt - führen vornehmlich Mystik und Pantheismus in ihrem Panier. Mystik ist aber auch, so sie sich nicht quie- tistisch verformt zeigt, Aufforderung zur aktiven Aneignung Gottes. Da aber Gott und Welt in Mystik bzw. Pantheismus wesent lich in eins gesetzt werden - in welcher Wei9e auch immer - i9t Aufforderung zur Gottähnlichkeit stets in dieser oder jener Weise zugleich Aufforderung zur Aneignung der Welt, Aufforderung zum Tätigsein. Dieses aktive Moment, von Karl Marx in seiner be rühmten ersten Feuerbach-These betont, geht im fälschlich pau schal so genannten mechanischen Materialismus des 17. und 18. 3h. aber weitgehend unter. Die Substanzvorstellung eines Descartes bedarf dieser schöpferischen Aktivität nicht. Spinoza faßt in den Niederlanden "ordo geometrico demonstrate" den Pantheismus, einen in den ersten Büchern der *Ethik" zum Materialismus nei genden, in ein System. Der Begriff Freiheit fällt in seinem System allerdings weitgehend der Metaphysik zum Opfer. In der Mystik aber wird er bewahrt. Nicht in der Mystik allein - auch im Neuplatonismus in der eigentümlichen pantheistischen Verfor mung progressiver Art, die er in der Renaissance erfährt. Sein Wirken ist so stark, daß Kepler, ausgehend vom Neuplatonismus,