3 Volker Helas Vom Rhythmus einer Stadt Das Jagdrevier unmittelbar vor der Stadt, das große Gehege, war eine praktische Sache für den sächsischen Kurfürsten. Er mußte sich nicht weit fortbegeben, wenn er jagen wollte. Johann Georg IV. hatte 1692 sein neues Jagdgebiet einhegen lassen, damit die Fasane und Hasen nicht wegliefen. Die Einhegung entsprang gewiß keiner landschaftsgestalterischen Absicht, sondern praktischer Notwendigkeit. Den Sinn für große Wirkungen bei der ästhetischen Durchbildung des weiträumigen amphibischen Landstrichs zwischen Weißeritz und Elbe bezeugten dagegen drei Alleen, die in den folgenden Jahren angelegt wurden. Die großartigste, die Pieschener Allee, ist beinahe in ihrer vollen Länge erhalten. Sie kommt von nirgendwoher und führt nirgend wohin. Nichts rechtfertigt ihre Breite — als Allee genügt sie sich selbst. Sie ist weder auf den Schloßturm ausgerichtet noch auf einen Point de vue auf dem rechten Elbufer. Auch die Blick achse der Ubigauer Allee, die nur noch zur Hälfte existiert, führt entgegen der geläufigen Mei nung am Übigauer Schloß vorbei. Die mittelste der drei Alleen, die Hirschallee, ist verschwun den. Sie reichte optisch bis in das Kleine Ostragehege hinein. Das Großartige dieser Alleen liegt in ihrer Bestimmung: Ohne einem praktischen Zweck zu dienen, waren sie schön an sich, und dies war Grund genug für ihre Existenz. Sie gliederten die weite Fläche des Geheges und gaben dem Landschaftsraum eine Ordnung, eine rhythmische Gliederung. Von der Stille und der Größe und Weite des alten Ostrageheges gibt nur noch das Gemälde Caspar David Friedrichs eine Vorstellung (vgl. Abb. S. 76). Die Industrialisierung um die Jahrhundertwende (vgl. S. 18/19) hat das sumpfige Jagdrevier der Kurfürsten umgeformt - der Alberthafen und die Flutrinne wurden ausgehoben und mit diesem Material ein flacher Hügel aufgeschüttet, auf dem der städtische Vieh- und Schlachthof erbaut wurde. Sportanlagen entstanden. Der Hügel aus Trümmerschutt setzte eine neue Höhenmarke. In jeder Stadt gibt es typische Elemente. In Dresden sind dies der Fluß mit seinen größtenteils unverbauten Ufern, die Blickbeziehungen zu den umgebenden Anhöhen, der Wechsel von bewachsenen und bebauten Gebieten und die Wiederholung baulich ähnlich ausgebildeter Stadtviertel. Diese sind durch ihre differenzierte Einheitlichkeit geprägt. So wie die Zeit durch die wiederkehrende Folge ähnlicher Ereignisse rhythmisiert wird, so ver mittelt auch die Ordnung bei der Anlage einer Stadt ein Empfinden von Rhythmus. Diese Wahrnehmung kann die Orientierung in einer Stadt sehr erleichtern. Die naturräumlichen Gegebenheiten spielen dabei eine wichtige Rolle. Im folgenden soll das Verhältnis des Ostrageheges zur umgebenden Stadt umrissen werden. In den letzten 100 Jahren hat sich das Ostragehege sehr verändert. Wie die Friedrichstadt hat dieses Gelände wenig mit dem gängigen Bild der Stadt zu tun. Allzuoft wird mit dem Namen