führte. Matthias Herrmann hat es für die Kreuzschule dokumentiert). Aus staatlich ver- ordnetem Provinzialismus, Zwangsisolierung (Bücher aus der BRD wurden vom Zoll kon trolliert und registriert, meist zurückgeschickt oder beschlagnahmt und konfisziert) und Resignation bildete sich jene eigentümliche DDR-Mentalität heraus, die - in Dresden jedenfalls — auch etwas Biederes, Bescheidenes, auch Duckmäuserisches haben konnte, gele gentlich das Idyllische einer biedermeierlichen Nischengesellschaft zeigte. - Doch soll nicht unerwähnt bleiben, daß zusammen mit Leipzig und dem stets ein wenig aufsässi- scherem Berlin die alte sächsische Hauptstadt zu einem Zentrum des Aufbruchs von 1989 wurde. Aus Zorn und Enttäuschung, Scham und Hoffnungslosigkeit reicherte sich ein Potential des Unmuts an, das an eine jüngere Generation weitergegeben wurde. Während die Armeen der beiden Weltlager sich immer alptraumhafter bewaffneten und in ihren Manövern den III. Weltkrieg durchexerzierten — im September 1963 auch vor den Toren Dresdens, anschließend auf dem Altmarkt -, sparte man daheim auf einen »Trabant«, dessen Wartezeit damals nur 7 bis 8 Jahre betrug, noch nicht 13, bewarb sich beim FDGB um einen billigen Ferienplatz, arbeitete fleißig und unter Bedingungen, die sich langsam verbesserten, auf jeden Fall nicht so primitiv wie in den fünfziger, so depri mierend wie in den achtziger Jahren waren. — Doch man wußte vom Hörensagen, daß im Hintergrund des bescheidenen Lebens mit seinen Versorgungskrisen und Pannen (Butter-, Kaffee- und Fleischmangel um 1963, Südfrüchte gab es fast nur vor Weihnachten, um Ostern, vor Wahlen), mit seinen Freuden und Sorgen das gelbe Zuchthaus von Baut zen lag und auf der Bautzner Straße von Dresden die Stasi-Zentrale, sein Vorhof. Man che hatten beides kennengelernt. - Erst 1980 wurde jenes Gedicht Bertolt Brechts aus den »Buckower Elegien« von 1953 bekannt. Es zeigt, wie auch er an dieser Zeit gelitten hat. Die tote Sprache der Funktionäre offenbart die Un-Menschlichkeit ihrer Herrschaft, die Entfernung vom Humanen. Es ist der Sozialismus, wie er in der DDR praktiziert wurde. Die sechziger Jahre sind dafür besonders signifikant. Die neue Mundart Als sie einst mit ihren Weibern über Zwiebeln sprachen Die Läden waren wieder einmal leer Verstanden sie noch die Seufzer, die Flüche, die Witze Mit denen das unerträgliche Leben In der Tiefe dennoch gelebt wird. Jetzt Herrschen sie und sprechen eine neue Mundart Nur ihnen selbst verständlich, das Kaderwelsch Welches mit drohender und belehrender Stimme gesprochen wird Und die Läden füllt - ohne Zwiebeln. Dem, der Kaderwelsch hört Vergeht das Essen. Dem, der es spricht Vergeht das Hören.