77 Frank Frenzel Sehnsucht nach dem Fluß 0 Zur Ökologie der Elbe 1. Vorbemerkungen »Meine Herren! Wir sind, was die Verunreinigung unserer Flüsse anlangt, heute an einem Wendepunkt angekommen. Nach meiner Ansicht laufen wir Gefahr, daß die Flüsse in den großen Industriebezirken in nicht zu langer Zeit derartig verunreinigt sind, daß ein gesun der Zustand bei ihnen überhaupt nicht mehr hergestellt werden kann.« 0 Dieser Kassandraruf ist kein Statement besorgter Politiker unserer Tage, sondern stammt vom Ingenieur Schott, ausgesprochen auf der »XV. General-Versammlung des westdeut schen Fischerei-Verbandes zu Hameln« im Jahr 1899. Seine Negativutopie wurde durch die Realitäten unseres Jahrhunderts gründlich einge löst — nicht nur an der Elbe, wie wir wissen. Inzwischen nimmt weltweit die Gefähr dung des »köstlichsten Besitzes der Erde«, wie Saint-Exupery das Wasser bezeichnet, lebensbedrohliche Ausmaße für Millionen Menschen an. Auch in den bislang mit Wasser reichtum gesegneten Regionen mehren sich »Störfälle« verschiedenster Art - versiegende Grundwasservorkommen und Quellen, stark eutrophierte Seen und Binnenmeere, ver trocknende Feuchtbiotope und das anhaltende Auftreten von Schadstoffen. Über deren komplizierte Wirkung auf die im und vom Wasser lebenden Organismen wissen wir immer noch wenig Bescheid. Landkreise und Städte geraten, bei hohen Sanierungskosten für die lokale Wasserversor gung und Abwasserbehandlung, ins Kreuzfeuer verschiedener Wassernutzungsinteressen und damit zunehmend unter Handlungsdruck. Die Risikogesellschaft, wie Ulrich Beck unsere Zivilisationsform treffend bezeichnet 21 , ver schafft sich für ihren Umgang mit dem Wasser umfassende Zugriffslegitimationen: Grenz- und Richtwerte, Qualitätsziele, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Ausgleichsmaßnahmen und hochtechnisierte Aufbereitungs- und Sanierungsmethoden sind dabei unterschiedliche Formen einer (noch) wirksamen Praxis, die krisenhafte Zustände und Prozesse durch Ver schiebung eher verlagert als ursächlich zu lösen versucht. Scheinbar ungebrochen ist der Mythos, der, im Namen des Fortschritts und der Sicherung eines fragwürdigen Wohlstands für wenige, alles für machbar und fast alles für erlaubt erklärt. Bedrohliche Perspektiven scheinen uns fern und unglaublich. Heute bereits wird fest mit künftigen kriegerischen Konflikten um Besitz und Verteilung immer knapperer, immer gefährdeterer Wasservorkommen in verschiedenen Regionen unserer Erde gerechnet.