2 Vorbemerkung Am 27. Juni 1697 wurde der sächsische Kurfürst Friedrich August I. nach langen und aufwen digen diplomatischen Manövern mit knapper Mehrheit zum neuen polnischen König gewählt. Damit begann eine mit Unterbrechungen mehr als sechs Jahrzehnte währende Personalunion voller Differenzen und politischer Ungereimtheiten, aber auch vielfacher gegenseitiger Nütz lichkeit und einer geistigen Liberalität und kulturellen Stimulanz, die noch weit ins nächste Jahr hundert wirkte. Bis heute gehen - wie hier zu lesen - die Meinungen über Segen oder Fluch der Union auseinander. Polen bildete damals mit Litauen ein Riesenreich von zwanzigfacher Ausdehnung Sachsens, es war eine Adelsrepublik, deren große Geschlechter, die Schlachta, von den 35 Sitzungen des Sejm in augusteischer Zeit immerhin 25 blockierte — man könnte meinen: ein unregierbares Land. Man arrangierte sich halt - sehr kulturvoll und in der Spätphase der Union durchaus mit wirtschaftlichem Effekt. Selbstverständlich schickte der polnische Adel seine Söhne auf die Leip ziger Universität, selbstverständlich unterhielten sächsische Handelshäuser Dependancen in Warschau oder Krakau. Als Polen die politische Lähmung der Union als Gefahr erkannte, war es freilich zu spät. In drei Schritten (1772, 1793, 1795) wurde das Land aufgeteilt unter den längst stärkeren Nachbarn Rußland, Österreich und Preußen. Über ein Jahrhundert gab es nun keinen polnischen Staat mehr. Doch war auch Sachsen seit dem Siebenjährigen Krieg politischer Verlierer. 1763 war die Union beendet, der Glanz der augusteischen Zeit war Geschichte. Eine Fülle persönlicher Beziehungen zwischen Sachsen und Polen müssen gleichwohl lebendig geblie ben sein, und vielleicht brachte auch Not neue Nähe - fast das gesamte polnische Exil des 19. Jahrhunderts, die Flüchtlinge der mißglückten Aufstände wie die freiheitshungrigen Intel lektuellen suchten in und über Sachsen ihr individuelles Heil. Sie wurden mit offenen Armen empfangen, erst von den Polenkomitees, dann von den Demokraten des Vormärz, immer jeden falls mit Sympathie und praktischer Hilfsbereitschaft. Die Union des 18. und das Exil des 19. Jahrhunderts waren Zeiten großer Nähe zwischen Sachsen und Polen. Sie sollen in dieser Ausgabe der Dresdner Hefte in ihren wesentlichen kultu rellen Aspekten und in ihrem Zusammenhang und möglichst aus der Optik beider Seiten erin nert werden (notwendigerweise geschieht das fragmentarisch). Daß genau 200 Jahre vor August des Starken polnischer Krönung schon einmal der polnische Adler in Sachsen heimisch war, kann hier nur erwähnt werden. 1496 heiratete Georg der Bärtige eine polnische Königstochter — ein frühes Beispiel einer machtbewußten albertinischen Ostpolitik. Im 20. Jahrhundert hat der Zusammenhang des 18. und 19. Jahrhunderts dann keine Bedeutung mehr. Sachsen ist 1939 für das gerade 20 Jahre alte neue Polen ein anonymer Teil des aggressiven, brutalen Hitler- Deutschlands, das Auschwitz erfinden und Warschau zertrümmern wird. Nach 1945 überdeckt dann der Stalinismus als erneute tragische Fremdbestimmung jede wirkliche Nachbarschaft- lichkeit. Der »häßliche Deutsche« und die »polnische Wirtschaft« waren Embleme gegenseitiger Distanz, doch wuchs unter dem politischen Eis und neben den Klischees z. B. für die reisenden Ostdeutschen der Respekt vor der polnischen Respektlosigkeit. Freilich war später Solidarnosc