22 Matthias Grün Aachen 1919-1925 Rudolf Mauersbergers erstes reguliertes Kantorat „Herr Rudolf Mauersberger, von Herrn Prof. Straube warm empfohlen, wird vom Presbyte rium auf ein halbes Jahr zur Probe als Nachfolger für Herrn Boell berufen. “ 1 Diese nüchterne Feststellung aus dem Sitzungsprotokoll des Presbyteriums der Evangelischen Kirchengemeinde Aachen vom 30. Juli 1919 markiert den Beginn eines neuen, wichtigen Lebensabschnittes in Mauersbergers beruflicher wie persönlicher Entwicklung hin zum Kreuzkantorat: Seine Ausbildung, die er nach dem ersten Weltkrieg am Leipziger Konserva torium abgerundet hatte, ist endlich abgeschlossen, erste berufliche wie auch politische Höhen und Tiefen sind durchlebt. Nun beginnen die Jahre „regulierter Kirchenmusik“. Mauersberger ist sich indessen bewußt, daß eine Belastungsprobe in Aachen noch aussteht: mit'der Übernahme des Kantorats an der Christus- sowie der Annakirche ist die Leitung des Bachvereins verbunden, und hier war es im Frühling des Jahres 1919 zu groben Dissonanzen gekommen, deren Auflösung noch ausstand. Die Vorgeschichte: Der Straube-Schüler Heinrich Boell hatte am 1. April 1913 sein Aachener Amt angetreten. Mit „Ev. Kirchenchor“ werden von ihm in den nächsten beiden Jahren Werke von Schütz, Bach, Mendelssohn und Herzogenberg erarbeitet. 1915 wird Boell zum Kriegsdienst eingezogen; die Chorarbeit kommt zum Erliegen. Als „kleiner gemischter Chor“, der im Dezember 1918 unter Boells Leitung in der Christuskirche singt, tritt der Ev. Kirchenchor wieder vor die Gemeinde. Am 28. Januar 1919 sowie am 1. Februar veröffent lichten das „Evangelische Gemeindeblatt“ und das „Politische Tageblatt“ dann einen „Aufruf des Presbyteriums der ev. Gemeinde Aachen zur Gründung eines „Bach-Vereins“ : 2 Von wesentlicher Bedeutung für den späteren Dissens ist die Formulierung „Der neue Evangeli sche Kirchengesangverein will an die Stelle des bisherigen Kirchenchors treten unter Aufhe bung seines strengen Vereinscharakters“ 3 . Von fast 150 Teilnehmern bei der Gründungsversammlung am 11. Februar 1919 weiß das Gemeindeblatt zu berichten. 4 Eine Aufführung mehrerer „Bachscher Cantaten“ wird ange kündigt, doch hierzu ist es unter Boells Dirigat nicht mehr gekommen. Das Protokoll der Presbyteriumssitzung vom 7. Mai 1919 berichtet über „Unstimmigkeiten in dem neugegrün deten Bachverein. Einige Tenoristen haben nämlich daran Anstoß genommen, daß der Verein nur Musik, nicht Geselligkeit pflege. Der Vorstand dagegen ist mit dem Presbyterium der Meinung, daß man im Sinne des ursprünglichen Aufrufs auch weiterhin auf Pflege der sonst üblichen Geselligkeit von Vereins wegen verzichten solle, selbst auf die Gefahr, daß einige Andersdenkende oder gesanglich weniger begabte sich wieder zurückziehen. “ 5 Daß sich die „Andersdenkenden“ zurückzogen, belegt wenige Wochen später der in diversen Tageszeitungen veröffentlichte „Aufruf zur Gründung eines Ev. Gesangvereins (gem. Chor)“. Immerhin hatten doch 60 Mitglieder dem Bachverein den Rücken gekehrt und diesen