44 Wolfgang Unger Erfahrungen im praktischen Umgang mit dem Vokalschaffen Mauersbergers Rudolf Mauersberger schrieb den größten Teil seiner vokalen Werke für das ihm anvertraute Knabenchorensemble, für seinen Dresdner Kreuzchor. Viele seiner umfangreicheren Chor werke und Zyklen entstanden - wie wir wissen - in den ersten Jahren nach dem zweiten Welt krieg, sicherlich auch aus der entstandenen Situation heraus, daß der größte Teil der Notenbi bliothek der Crucianer vernichtet worden war und Mauersberger sich zwingend veranlaßt sah, Eigenschöpferisches beizusteuern. Mauersbergers Kompositionen, und so hat sich der Kreuzkantor ja oftmals und deutlich geäußert, sind ausschließlich für die Wiedergabe durch den Dresdner Kreuzchor gedacht gewesen. So bin ich mir bis heute eigentlich nicht ganz sicher, wie der Komponist auf das reagieren würde, was heute mit seinen Vokalkompositio nen geschieht, nämlich die Interpretation durch andere Chöre, insbesondere durch gemischte Chöre. Die spezifische Klangstruktur seines Kreuzchores mag Mauersberger einerseits in besonderer Weise zu seinen Kompositionen angeregt haben und andererseits konzipierte er seine Werke so, um auch seinerseits chorische Flexibilität zu erreichen und den Chorklang ständig zu ver feinern und zu formen, sich also ein Knabenchorensemble zu schaffen, das seinen Vorstellun gen entsprach. Sein unverwechselbarer Personalstil, seiner Geistes- und Wesenshaltung ent- springend, nutzte Mauersberger sicherlich ganz bewußt als einen wesentlichen Teil seiner chorpraktischen und chorpädagogischen Arbeit. Für mich ist der Umgang mit Mauersbergerscher Chormusik immer wieder eine Begegnung mit einem immens chorschulenden Kapital. Zunächst hat seine Chormusik einen ungeheuer klangbildenden Effekt. Mauersbergerstellt rhythmisch, musikalisch und stimmlich erhebli che Anforderungen an einen Chor. Der Sänger muß lernen, mit Intervallabständen umzuge hen, die von anderen Komponisten tunlichst vermieden wurden und werden. Ein Beispiel dafür ist der bewußte Einsatz von Quart- und Quintabständen — und das über längere Passa gen zwischen den einzelnen Stimmgruppen. Man kann damit tatsächlich helle Chorklangmix turen erreichen, vorausgesetzt, diese Intervalle werden sauber gesungen. Als ich 1969 den Thüringischen Akademischen Singkreis gründete, der in den Männerstim men fast ausschließlich aus ehemaligen Crucianern bestand und bis heute besteht und durch musikalisch und stimmliche Frauenstimmen ergänzt wurde, erarbeiteten wir von Anfang an auch kleinere Chorwerke und Sätze aus der Feder Rudolf Mauersbergers, die zum festen Bestandteil des Repertoires dieses Kammerchorensembles wurden. Im Laufe von nunmehr bald zwanzig Jahren eignete sich dieser Thüringische Akademische Singkreis einen beachtli chen Teil der A-capella-Werke Rudolf Mauersbergers an und hat sie zu weithin beachteten und gewürdigten mehrmaligen Aufführungen gebracht. So beispielsweise die abendfüllende „Geistliche Sommermusik ‘ in den Jahren 1984 und 1986 , als ein Programm der jährlich statt- ff