48 Klaus Menschei Zu Klangvorstellungen Rudolf Mauersbergers und zum Klangbild des Dresdner Kreuzchores Auf die Frage, wie er immer wieder jenes typische Klangbild realisiere, hatte Mauersberger geantwortet, er tue gar nichts, er habe die Vorstellung, wie es klingen soll, und übertrage sie auf den Chor. Diese Auskunft Mauersbergers - sie wurde uns durch Frau Erna Hedwig Hof- mann überliefert 1 - ist geeignet, Verwunderung auszulösen. Hat er doch seine künstlerischen Absichten jederzeit sogar sehr dynamisch umzusetzen verstanden, wobei er sich freilich indi rekter Methoden bediente, die vor allem seinen jüngsten Sängern, die sich seiner Führung bedingungslos anvertrauten, nicht immer bewußt gewesen sind. Prägend war seine Autorität. Während der Proben verdeutlichte er seinen Willen meist vom Flügel aus. Auch korrigierte er unnachsichtig die Tongebung. Aber man müßte sich fragen, ob er irgendwann einmal eine stimmtechnische Hilfe angeboten und inwieweit er in Verwirklichung dessen, was ihm vor schwebte, Stimmpädagogen beschäftigt oder von Zeit zu Zeit zu Rate gezogen hat. 2 Im Grunde beschränkte sich der Stimmbildner des Kreuzchores auf eine beratende, unterstüt zende oder korrigierende Funktion. Die herbe, leuchtende Knabenchormixtur war demnach nicht das Resultat systematischer stimmbildnerischer Erziehungsarbeit; die unverwechsel bare Mauersbergersche Klanggestaltung indes prägte den Kreuzchor über Jahrzehnte hinweg, und zwar in unterschiedlicher und sehr vielfältiger Weise. Eine Beschreibung des Kreuzchor-Klanges muß notgedrungen fragmentarisch bleiben. Es sei deshalb auf Hilfsmittel zurückgegriffen, die uns heute zur Verfügung stehen: auf Schallplat ten, wie sie uns seit 1959 von Eterna und anderen Firmen vorliegen. Zum Vergleich werden Aufnahmen der Regensburger Domspatzen und des Leipziger Thoma nerchores eingeblendet. 1924, im letzten Aachener Jahr Mauersbergers, übernahm Theobald Schrems den Regensbur ger Domchor. Eine Verbindung zwischen Mauersberger und Schrems wurde allerdings erst Jahrzehnte später, nach einem Konzert des Kreuzchores in Regensburg 1947, geknüpft, 3 obwohl 1934 und 1940 Konzerte der Domspatzen in Dresden stattfanden. 4 Der Kreuzkantor erinnerte sich 1963 in einem Brief an den Regensburger Domkapellmeister: „Durch jene erste Begegnung mit Ihnen und mit Ihrem Chore nun empfing ich so reiche Impulse, daß sie für mich in gewisser Beziehung entscheidend wurden und mir namentlich in den ersten Dresdner Jahren bei der klanglichen und stilistischen Prägung des Kruzianergesanges wertvollste Hilfe gaben“. 5 Gewiß birgt dieses Briefzitat die Gefahr in sich, mißverständlich interpretiert zu werden. Es könnte der Eindruck entstehen, als ob Mauersberger beim ersten Auftreten der Domspatzen gerade erst um eine Klangfindung bemüht gewesen sei. In Wirklichkeit hatte der Kreuzchor durch den neuen Kantor bereits ein unverwechselbares Profil erhalten. 6 Selbst sti listische Anregungen oder Repertoire-Vorschläge durch die Gäste, falls man sie für diese Zeit voraussetzen wollte, kommen nicht in Betracht. Aufführungen der Missa Papae Marcelli und -I