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61 I Wolfgang Hellmich Rudolf Mauersberger als Förderer sängerischer Begabungen im Dresdner Kreuzchor Diese, als Arbeitstitel gedachte, Vorgabe will sagen: Wodurch hat Rudolf Mauersberger die sängerische Entwicklung von Kruzianern zu Berufssängern (Solisten/Choristen) beeinflußt und gefördert? Bei Kreuzkantor Prof. Rudolf Mauersberger standen Einflußnahme und Erziehung nie unter dem Aspekt, daß die Kruzianerzeit etwa eine Etappe in der Entwicklung zum Berufssänger I sein könnte. Es war vielmehr sein erstes und wichtigstes Ziel, jeden Kruzianer stimmlich, ■j musikalisch und menschlich voll in die Chorgemeinschaft zu integrieren, d.h., alles geschah, II um dem Chor, seiner Leistungsfähigkeit und seiner außergewöhnlichen Klangspezifik zu die- I nen. Und außergewöhnlich war dieser Klang tatsächlich. Ein Kritiker sprach einmal vom I „Triumph der Natürlichkeit“ und meinte damit den direkten und so obertonreichen Klang des Knabenchores. Mauersbergers Sympathie gehörte zweifelsohne vorzugsweise den Knabens- r i timmen, für die er ein ganz besonderes Gespür hatte. Den Kruzianern wurde also mit dem Sin gen gleichzeitig dieses Klangideal anerzogen. Und wenn man sich daraufhin Sänger dieser Ara ; anhört, ist dieses Merkmal noch heute signifikant. In der Dankesrede anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Pädagogischen Fakul tät der Humboldt-Universität zu Berlin 1954 spricht Mauersberger über seine stimmbildneri- : sehen Absichten: „Stimmbildnerisch arbeiten wir nicht nach einer bestimmten Methode. Wir knüpfen an das kindlich Gegebene an und bringen die Jungen in erster Linie zu einem richtigen Atmen, das von vornherein ein gesundes Singen gewährleistet. Im übrigen wird besonders darauf gehalten, daß die Jungen, namentlich schon vom jüngsten Jahrgang an, nicht Kopf- und Brustlage getrennt anwenden, sondern, wie man es in der Stimmbildung bezeichnet, das Durchhalten des sog. Einheitsregisters als oberstes Gesetz üben, also eine Art gesunder Mischung der Brust- und Kopflage . . . Die Vorverlegung aller dieser chorsängerischen Fähigkeiten und Übungen in die frühesten Jahrgänge hat den Vorteil, daß mit dem Eintritt der Sänger in den Kreuzchor diese sofort in die großen Chorproben mit eingereiht werden können. “ Sehen wir von der zweijährigen Vorbe reitungszeit ab, geschah jede weitere Stimmbildung vornehmlich durch Einzelproben, Proben gruppenweise oder, wie besonders bei der Erarbeitung der Bachschen Motetten für das Bach jahr, im Quartett respektive Doppelquartett. Davon aber waren auch die Männerstimmen (Tenöre und Bässe) nicht ausgenommen. Es spielte also die musikantische Seite des Singens, des Musizierens miteinander, des Hörens aufeinander eine, vielleicht die entscheidende Rolle. Dies wiederum setzte eine vorzügliche musikalische Bildung, Beherrschung der Intervalle, der unterschiedlichen Taktarten und rhythmischen Formen und auch des Blattsingens, noch vor dem eigentlichen Eintritt in den Chor voraus. Im Chor herrschte ein äußerst strenges Leistungsprinzip, das darüber entschied, wer mit auf