55 Manfred Mühlner Begeisterte Liebe für die Ersterzeugnisse der Buchkunst - Die Inkunabelsammlung Victor von Klemperers »Der Geist, der in meinem Elternhaus lebendig war, die vielseitigen Interessen, die in ihm ge pflegt wurden und in einer unermüdlichen Sammeltätigkeit auf den verschiedensten Gebieten der Kunst ihren Ausdruck fanden, haben sicherlich dazu beigetragen, auch in mir schon früh eine ausgesprochene Neigung zum Sammeln seltener und schöner Bücher wachzurufen.« 11 Man kann über die Inkunabelsammlung Victor v. Klemperers nicht ohne Erwähnung der Sammlun gen seiner Eltern berichten. Sie waren nicht nur Anreiz und Vorbild, sondern sind auch durch drei gleichgestaltete Kataloge und ein gemeinsames Schicksal miteinander verbunden. Gustav Klemperer Edler von Klemenau (1852-1926) hatte etwa seit 1890, als er in den Vor stand der Dresdner Bank eintrat, damit begonnen, zusammen mit seiner Frau Charlotte histori sches Porzellan aus Meissen als Schmuck für seine Wohnung zu erwerben. Es handelte sich dabei vorwiegend um figürliches Porzellan. Die Auswahl war nicht von musealen Gesichtspunkten, sondern vom persönlichen Geschmack der Eheleute bestimmt. Im Verlauf von drei Jahrzehnten waren mehr als 800 Stücke zusammengekommen - Böttgersteinzeug, Geschirr, Tafelaufsätze, Vasen, Uhren, Leuchter, Figuren und Gruppen die der Kunsthistoriker Ludwig Schnorr von Carolsfeld als »bedeutendste Privatsammlung Meissner Porzellans nach Umfang und Inhalt« ein schätzte. 2 ’ Uber das figürliche Porzellan urteilte Fritz Fichtner, bis 1946 Direktor der Staatlichen Porzellansammlung, daß es »eine empfindliche Lücke der Porzellangalerie Dresden-Zwinger« schlösse, da in früherer Zeit vieles durch Schenkungen verlorengegangen war. 3 ' Als Ergänzung zur Porzellankunst legte das Ehepaar eine Sammlung von Miniaturen an, 4 ' kleinformatiger Bildnisse von Fürsten, Adligen und Persönlichkeiten aus dem Bürgertum in Medaillons, auf Dosen oder gerahmt, ausgeführt als Emailmalerei auf Gold oder Kupfer, als Aquarell auf Elfenbein und Pergament, einige auch in Öl auf Leinwand. Ziel war, charakteristi sche Werke aus den verschiedensten Schulen zusammenzubringen. Der Katalog weist 213 Minia turen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert aus Deutschland, Österreich, England, Frankreich, Holland, Italien, Rußland, Schweden und der Schweiz aus, darunter ein Miniaturbildnis Augusts des Starken, gefertigt von Georg Friedrich Dinglinger. Nimmt man hinzu, was die Heranwach senden Kinder an Gemälden, Zeichnungen, Plastiken, Möbeln, Teppichen und kunstgewerb lichen Gegenständen im elterlichen Haus umgab, so wird anschaulich, wie stark, anregend und prägend sein Einfluß auf die Bildung ihres Kunstsinnes und -Verständnisses war. Victor Klemperer Edler von Klemenau, geboren 1876 in Dresden, gestorben 1943 in Bula-