77 Albrecht Scholz Arzte als Sammler und Künstler Die Interferenzen zwischen Kunst und Medizin können sowohl eng und dicht gelagert als auch weit entfernt voneinander sein. So ergeben sich Polarisierungen, zwischen denen sich wie über all im Leben die lange Strecke von Differenzierungen auffächert. Auf der einen Seite begegnen wir dem an ästhetisch ausgewogener Gestaltung seines Lebensbereiches interessierten Arzt oder dem an Kunstausstellungen interessierten Kollegen, bei dem sich Schritt für Schritt Bekannt schaften bis hin zu Freundschaften zu Künstlern und Galeristen entwickeln. Verschiedentlich ist es ein erkrankter Künstler, der in einen engeren Austausch mit seinem Behandler tritt. Es kommt zu anregenden und befruchtenden Atelierbesuchen, in denen sich für den Mediziner oft ganz neue, ihn bereichernde Welten öffnen. Aus diesen Begegnungen ergibt sich mitunter und in unterschiedlicher Ausprägung der Entschluß, künstlerische Arbeiten zu erwerben und eine Sammlung aufzubauen, die nach den verschiedensten Richtungen hin thematisiert sein kann: Zeitraum, Stilrichtung, Künstler, Thema u. a. Diese nun immer enger und intensiver sich entwickelnde Verzahnung führt uns in den Grenz bereich des nicht nur interessierten Kunstfreundes, sondern oft künstlerisch selbst aktiven Medi ziners, der über die eigene Kreativität hinaus auch noch selbst Kunst sammelt. Er bekommt Arbeiten im Tausch von Künstlerfreunden oder erwirbt Dinge, die ihn freuen oder inspirieren. In diese Gruppe gehören natürlich auch die Persönlichkeiten, die Künstler durch ihre Ankäufe unterstützen und fördern. Ein Wendepunkt ist erreicht, wenn die Kunst für einen Arzt eine solche Dominanz gewinnt, daß er seinen Beruf aufgibt, um allein der Kunst zu leben. Dieser Sprung ist oft dann aber auch von einer Verdichtung und Intensität künstlerischer Qualität gekennzeichnet, daß es gar nicht mehr anders geht. Der Dresdner Maler Wilhelm Müller (geb. 1928), in der Poliklinik Mickten bis 1978 als Zahnarzt tätig, steht stellvertretend für diesen Weg, denn sein im Herbst 1996 im Kupferstich-Kabinett Dresden gezeigtes künstlerisches Werk hat eine solche Eigenständigkeit, daß der Zusammenhang mit dem früheren Arztberuf bedeutungslos geworden ist. Die Antwort auf die Frage nach den Gründen für die so auffallende Affinität von Ärzten zur Kunst ist wiederum vielgestaltig. Es soll angemerkt werden, daß Mediziner sich nicht nur zur bil denden Kunst hingezogen fühlen, sondern sich als Musiker, Schriftsteller und Sammler auf vielen weiteren Ebenen betätigen und das Gesagte sehr wohl auch gelten kann für andere Berufe. Der gemeinsame Grund, auf dem das Miteinander von Kunst und Medizin wächst, sind für das Arzt- tum und das Kunstverständnis gleichermaßen notwendige Sensibilität, Intuition und Phantasie. Künstler und Mediziner sind vereint in einem primär intuitiven Erfassen der Befindlichkeit unse rer Welt. Im kreativen Schritt greifen sie bewußt untersuchend, gestaltend, verändernd ein. In Dresden kulminierte diese Synthese von Künstler- und Arzttum im Leben von Carl Gustav