91 So paradox es klingt, die heutige Marktwirtschaft braucht keine klassischen Marktplätze. Westeuropäische Platzumgestaltungen der letzten Jahre erzeugten Konsumlandschaften in geho bener Umgebung für zahlungskräftige Schichten. Ganze Altstädte wandelten sich zur offenen »Mall«. Auch wenn in Dresden bisher nur randstädtische Einkaufs»parks«, etwa in Kaditz/Mick- ten oder Nickern, entstanden, läuten Projekte wie beispielsweise das Einkaufszentrum der ECE in der Webergasse oder das Waldschlößchenareal dieses neue Kapitel ein, von dem Andreas Friedrich erwartet, daß es »weg von der Stadt als öffentlichem Lebensraum, weg von einer har monischen Verknüpfung aller vitalen Funktionen« führt. Strehlow lädt zur Aneignung der Plätze durch vielfältige Nutzung und zum Finden angemes sener baulicher Hüllen ein. Damit leistet das Buch mehr, als Stadtbildveränderungen zu doku mentieren. Der Gang durch die Zeiten läßt hinter Vertrautem Wünschenswertes erscheinen und stimuliert aus dieser Nachdenklichkeit verantwortliches Tun kritischer Bürgerschaft. Matthias Lerm Von der Fotografie zur Bildindustrie Emil Römmler - Lebenserinnerungen eines Königlich-Sächsischen Hofphotographen Dr. Günter Voigt Edition 1996, 96 S. Aus dem Familienerbe hat der Dresdner Zahnarzt Günter Voigt im Selbstverlag ein Manuskript her ausgegeben, das anekdotenreich das Leben eines bedeutenden Dresdner Bildproduzenten schildert: die Autobiographie des Fotografen und Lichtdruckunternehmers Emil Römmler (1842-1941). Den nachgeborenen Generationen wollte der greise Patriarch gegen Ende seines langen Lebens ein Exempel erfolgreicher Lebensgestaltung geben und erzählte für den Hausgebrauch, wie er sich mit Begabung, Fleiß, Anpassungsfähigkeit, Gespür und Zähigkeit aus ärmlichen Verhältnissen in Mitt weida hinaufgearbeitet hatte in die gutbürgerliche Gesellschaft der sächsischen Hauptstadt. Wesentliche Station war München: Hier kam der junge Wanderfotograf im berühmten Ate lier von Joseph Albert unter, und hierher kehrte er in den 1870er Jahren zurück, um sich in das von Albert zur industriellen Anwendungsreife entwickelte Lichtdruckverfahren einweisen zu las sen. Römmlers Firma wuchs und gedieh in gründerzeitlichen Dimensionen: Im eigenen Verlag und für Auftraggeber entstanden Mappenwerke von Baudenkmälern, Städtebilder oder Werbung, bis mit dem mehrfarbigen Buchdruck der Lichtdruck an Bedeutung einzubüßen begann. Hier kam Römmler zu spät, der Niedergang setzte ein, und die Firma wurde vermutlich dadurch end gültig ruiniert, daß der Haupterbe die reaktionäre Ludendorff-Bewegung finanziell unterstützte. Die selbstbewußt und farbig erzählte Lebensgeschichte wird ergänzt durch ein Glossar sowie einen Aufsatz des Berliner Fotohistorikers Andreas Krase. Dieser Apparat liefert Informationen und kritische Denkansätze, die die detailreiche Schilderung als Dokument erschließen, ohne ihm seinen Charme zu nehmen. Daß ein originaler Lichtdruck aus der Dresdner Lichtdruckwerk statt (zusammen mit Erläuterungen zu diesem faszinierenden Reproduktionsverfahren durch deren Leiter, Dietmar Günther) beigegeben ist, bereichert die lesenswerte, reich bebilderte, gut gedruckte und preiswerte Publikation. Sie ist ein wichtiger Baustein zur noch zu schreibenden Geschichte der Fotografie in Dresden. W1 fgang Hesse