2 Vorbemerkung Kein deutsches Fürstenhaus hat solange über ein deutsches Territorium geherrscht wie die Wettiner in Sachsen. 829 Jahre bestimmten sie Sachsens Geschichte. Unter den Vertre tern der Wettiner Dynastie gab es herausragende, mittelmäßige wie auch eigentlich zur Herrschaft nicht taugliche Persönlichkeiten. Zu den herausragenden Wettiner Herrschern gehören Herzog bzw. Kurfürst Moritz (1541-1553), August (1553-1586), Friedrich August I. (der Starke), als König von Polen seit 1697 August II. (1694-1733) und Chri stian I. (1586-1591). Christian I. wird oft bei Nennung der glänzenden Wettin-Herrscher vergessen, vor allem beim Volk. Er hat ja auch nur fünf Jahre regiert. Sein 400. Todestag war dem »Dresdner Geschichtsverein« Anlaß, ein Kolloquium zu veranstalten, dessen Ergebnisse dieses Heft im wesentlichen zusammenfaßt. Wir danken allen Teilnehmern, vor allem natürlich den Referenten. Christian I. war seinem Vater August als Herrscher gefolgt. Er übernahm einen mächti gen, im Deutschen Reiche wohlangesehenen, innerlich gefestigten und wirtschaftlich blü henden Territorialstaat. Sachsen war die Wiege des Luthertums, Kurfürst August verstand sich als dessen Hüter und Schutzpatron. Luthers Reformation brachte schon zu seinen Lebzeiten unterschiedliche theoretische Deutungen und Verhaltensweisen hervor; auch Thomas Müntzer ist durch Luthers Gedankenwelt hindurchgeschritten, ehe er zu seinen eigenwilligen utopisch-chiliastisch-revolutionären Ideen kam. Daneben gab es die Anhänger Caspar von Schwenckfelds und die verschiedensten Gruppierungen der Täufer. Luthers engster Mitstreiter Philipp Melanchthon suchte eine starke Bindung zwischen Humanis mus und Luthertum herzustellen, Sebastian Franck, Valentin Weigel u. a. setzten den inneren über den äußeren Christus - sie unterschätzten den Gottesdienst, wandten sich gegen einen dogmatisch verstandenen Biblizismus und gegen die kirchliche Hierarchie. Die Jahrzehnte nach Luthers Reformation waren von Krieg, Zwist, Hunger und Epide mien durchwoben, und so stand Luthers Frage »Wie finde ich einen gnädigen Gott« wei ter im Vordergrund des Denkens bei den verschiedensten Schichten. In Genf hatte ab 1541 Jean Calvin eine andere Form der Reformation durchgesetzt, die auch in deutschen Territorien - vorrangig in der Kurpfalz - starken Einfluß erlangte. Hulddrych Zwingli hatte eine Luther zwar verwandte, dennoch aber eigenständige Refor mationslehre entwickelt. Die Anhänger Melanchthons (die Philippisten) wurden von den sog. orthodoxen Lutheranern (Gnesiolutheranern) verdächtigt, zumindest heimliche Calvi- nisten (Cryptocalvinisten) zu sein. Alle diese Strömungen - und die hinter ihnen stehen den Menschen — suchten nach Fixpunkten. Um so mehr, als mit der Reformation nicht nur ein erbitterter Kampf zwischen Katholiken und Lutheranern einsetzte, sondern dieser noch vom Kampf zwischen Calvinisten und Lutheranern — also von Vertretern zweier