Wie hoch auch immer in diesen frühen Dresdner Jahren Schuchs Ansehen gewachsen war, wirklichen Einfluß auf die Geschicke der Oper hatte er noch nicht. 1877 wird er zwar zum »Etatmäßigen Kapellmeister« ernannt - eine Würdigung seiner Verdienste aber als Julius Rietz am 12. September 1877 stirbt, wird er keineswegs Opernchef, son dern an Rietz’ Stelle wird Franz Wüllner engagiert. Welche Gründe von Platen dazu bewegt haben, zwei koordinierte Kapellmeister an die Spitze der Oper zu stellen, ist nicht mehr sicher festzustellen. Möglich, daß er dem von ihm ansonsten hochgeschätzten Schuch allein nicht zutraute, Dresden nach der Eröffnung des zweiten Semperbaus einen wichtigen Platz unter den Opernmetropolen Europas erneut zu sichern und deshalb noch einen erfahrenen und angesehenen Dirigenten, eben Franz Wüllner, dabeihaben wollte. Möglich aber auch, daß der Intendant die autokrati- schen Neigungen Schuchs erkannte und mit Hilfe Wüllners verhindern wollte, daß die Bäume Schuchs in den Himmel wuchsen. Vielleicht war es ja aber auch nur Platenscher Traditionalismus. Was auch immer die Gründe gewesen sein mögen, durch diese Entscheidung waren Aus einandersetzungen vorprogrammiert, denn Wüllner war keineswegs gewillt, sich mit einer Nebenrolle zu begnügen. Und er hatte Erfolge! Es war zunächst Wüllner, der die Oper auf den Weg ins 20. Jahrhundert führte und moderne Prinzipien der Werktreue durch setzte. Er reformierte alles - auch die Konzertprogramme. Die Erfolge des Älteren ließen Schuch natürlich nicht ruhen, und er wurde fraglos durch ihn angeregt und in seiner künstlerischen Entwicklung vorangetrieben. Vor allem war Schuch jedoch die faszinieren dere Persönlichkeit. Schnoor beschreibt dies an einem eindringlichen Beispiel. »In der Tat erfreute sich die Dresdner Mozart-Pflege im neuen Semperbau einer liebevoll-verantwortli chen Pflege. Wüllner war darin vorangegangen mit einer Zauberflöte ..., die den berühm ten Stempel der Vollendung trug. Alle Wüllnerschen Reformen, die sich auch auf Prinzi pien der Mozart-Textübersetzungen bezogen, waren aber vergessen, als Schuch den Don Juan leitete. Einen hohen Feiertag der Kunst nannte der konservative Emil Naumann das Ereignis ...« Gegensätzlichere Naturen als diese beiden Nebeneinandergespannten lassen sich schwerlich vorstellen. Auf der einen Seite der pedantische und wohl auch etwas trockene Genauig keitsfanatiker Wüllner, auf der anderen der genialische, leidenschaftlich-temperamentvolle Schuch - es konnte nicht gutgehen, und auch von Platen muß schließlich erkennen, »daß ein längeres Zusammenwirken der Kapellmeister Schuch und Wüllner für das Institut ein immer ungünstigeres Resultat erzeugen wird.« Bereits 1879 hatte Schuch seine Berufung zum »Ersten Kapellmeister« durchgesetzt und sich damit maßgeblichen Einfluß auf die Gestaltung des Spielplans gesichert, 1882 wird Franz Wüllner praktisch zum Rücktritt gezwungen und Schuch zum Direktor der Dresdner Hofoper berufen. Die Auseinandersetzungen in diesen Jahren müssen heftig gewesen sein. Merkwürdiger weise drang davon kaum etwas nach außen, im Semperbau schien tiefer Friede und Ein tracht zu herrschen. Schuch erledigte dies mit seiner vielgerühmten »diplomatischen