14 Axel Schöne Dresdner Kunst und künstlerischer Geist um 1910 Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war Dresden eine Kunststadt eher im historischen als im aktuellen Sinn geworden. Die Frühromantik war die letzte große geistig-künstleri sche Bewegung gewesen, die in Dresden ihr Zentrum und ihren Ausgangspunkt hatte. Eine etwas langsamere Gangart im künstlerischen Leben der Stadt war die Folge einer gewissen Ermüdung schöpferischer Kräfte. Eine den Sachsen gern nachgesagte Gemäch lichkeit bestimmte nun auch die Entwicklungsprozesse im Bereich der bildenden Kunst. Ernst zu nehmende antiakademische Aufbruchsversuche gab es zwar spätestens seit Grün dung der Sezession 1893 - unter Führung von Carl Bantzer und auch die Reformbe mühungen seit Gotthard Kuehls Berufung an die Kunstakademie waren Schritte aus all zulanger nazarenischer Erstarrung. »Doch gab trotz dieser Lockerung im künstlerischen Leben der Stadt Dresden ein Provinzialismus und orthodoxer Akademismus auch weiter hin den Ton an.« 1 ’ Eine These von verlockender Stringenz. Doch im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, man muß sogar sagen bis zum Kriegsausbruch, entwickelte sich Dresden insgesamt zu einer höchst anregenden kulturellen Metropole, die nicht lediglich Anschluß an die euro päische Kunstentwicklung gewann, sondern eigenständige Impulse ausstrahlte. Nach den eher zaghaften Versuchen, einen künstlerischen Wertewandel herbeizuführen, zu beför dern, brach sich innerhalb weniger Jahre eine vielschichtige, differenzierte Erneuerungs bewegung machtvoll Bahn. Diese äußerte sich in bedeutsamen, weil folgenreichen Veran staltungen und Ausstellungen. Exemplarisch seien genannt: 1. Kunsterziehertag 1901, Deutsche Städteausstellung 1903, Große internationale Fotoausstellung 1909 oder die Internationale Hygieneausstellung 1911. Das Kunstgewerbe trat in jener Zeit als ein relativ selbständiges Gebiet ins öffentliche Bewußtsein ein. Das Kunstempfinden wurde nicht unerheblich durch angewandte und dekorative Leistungen mitbestimmt. Insofern kommt auch der 3. Deutschen Kunstgewer beausstellung 1906 eine beträchtliche Bedeutung zu. Die Gründung des Deutschen Werk bundes sowie der Deutschen Werkstätten Hellerau, beide 1907, wurden durch sie maß geblich initiiert. Es ist eine Zeit nicht nur äußerlicher Regsamkeit. Die gesamte gesellschaftliche Situation, in ihrer zunehmend ins Bewußtsein dringenden widersprüchlichen Komplexität, heischte nach Veränderung. Von in Gesinnung und Ziel unterschiedlichen Kräften getragene Bewe gungen gingen daran, die Lebensprozesse zu reformieren.