47 läßt zugleich den Zug ins Große, ins Idealische spüren, der doch schon verloren zu sein schien. Der Anspruch des klassischen Historismus - Architektur als monumentale Fest lichkeit darzubieten - erfährt hier eine Fortsetzung, ja durch die Vereinfachung der For mensprache sogar eine Steigerung. Nicht nur Kreis und Gussmann, auch andere Architekten und bildende Künstler waren von dem Gedanken beseelt, das zutiefst Künstlerische des Bauens wiedererwecken zu wollen. Fritz Schumacher schrieb 1907 in seinen »Streifzügen eines Architekten«: »Keine andere künstlerische Sprache vermag den Ausdruck zu übertönen, der in tiotzig gefügten Massen liegt. Die tiefsten Empfindungen der Menschheit, die tiefste Ehrfurcht des Glaubens, der tiefste Schmerz des Todes, der tiefste Stolz des nationalen Empfin dens, die tiefste Freude an Macht und Größe einer genialen Persönlichkeit - sie lassen sich nur ausdrücken in einer abstrakten Sprache, in der Sprache der Harmonien, der Harmonien in Tönen und der Harmonien der Masse.« 61 Unwillkürlich tritt bei diesen Worten das Bild des von ihm entworfenen Krematoriums in Dresden-Tolkewitz vor Augen - ein Bau, dessen kräftiges Steinwerk sich zu einer wuchtig geschlossenen Bau gestalt fügt. Freilich regte dazu auch die Besonderheit der Bauaufgabe an, aber an die war Schumacher sicher nicht ganz zufällig geraten. Architekten wie er waren auf der Suche nach solchen Aufträgen, bei denen Architektur denkmalhaft inszeniert werden konnte. Diese deutlich anachronistische Tendenz haben wir als eine Art Aufbäumen gegen die Unsicherheiten einer Zeit voller politischer und sozialer Spannungen zu werten. Mit der »Harmonie der Massen« wurde Stabilität beschworen, auf Werte wie Kraft, 1 at und Stärke gesetzt — Eigenschaften, die man zunehmend als dem deutschen Wesen eigen interpretierte. Der nationalistische Zug ist unübersehbar. Er hat in der Reformbewegung Deutschlands generell eine Rolle gespielt. So war mit der vom Werkbund propagierten »guten Form« das deutsche Qualitätsprodukt gemeint, mit dem eine Schlacht auf dem Weltmarkt zu gewinnen war. Und was die Kunstgewerbeausstellung von 1906 zeigte, hat Organisatoren und Interpreten der Bewegung wie Friedrich Naumann und Joseph August Lux zu der Überzeugung geführt, daß der hier hervortretende Idealismus der Deutschen, sie zum Führer unter den Völkern, zum Kulturerzieher erhebe. 71 Nun ist diese Schau nicht nur von einer solchen Strömung ausgesprochenen Kunstwollens bestimmt worden, wie sie Haenel am Beispiel von Wilhelm Kreis signalisiert hatte. Ob wohl Fritz Schumacher und Wilhelm Kreis maßgeblich an ihrer Ausgestaltung beteiligt waren 81 , ist die III. Deutsche Kunstgewerbeausstellung später unter einem ganz anderen Gesichtspunkt betrachtet und gewertet worden. Denn erstmals zeigte sich hier einem brei ten Publikum die bahnbrechende Leistung des Möbeltischlers Karl Schmidt: die Produkte aus maschineller Produktion. Was sich Adolf Loos für Wien gewünscht hatte, daß sich der Handwerker auf die »Natur« seines Gewerbes besinne und dem Diktat des Künstlers entziehe, das wurde in Dresden - zumindest punktuell - Wirklichkeit. Hier trat ein Mann auf den Plan, der Geschäftssinn mit dem Gespür für künstlerische Neuerungen verband. Die Möbel - die sein Münchner Schwager Richard Riemerschmid entworfen