54 den akademisch gebildeten Ärzten vertreten und ausgeübt. Erst seit Mitte des vorigen Jahr hunderts, in der sich die naturwissenschaftliche Medizin durchzusetzen beginnt und sich theoretisch und praktisch klar von den Naturheilverfahren abgrenzt, werden die Naturheil verfahren als eigenständiger Bereich der Therapeutik überhaupt sichtbar. Jetzt erst kommt es zu einem Konflikt, zu einer theoretischen und methodologischen Trennung von »Schulme dizin« und Naturheilkunde, von naturwissenschaftlich ausgebildetem und »Natur«-Arzt. So gerät letztlich unter anderem auch der Dresdener Kliniker Choulant, dem die naturwissen schaftlich begründete Medizin nur erste diagnostische Fortschritte, für das praktische Han deln jedoch noch keine grundlegenden Alternativen zu den hippokratisch-galenischen Grund sätzen bieten kann, in die Kritik der Verfechter der »physiologischen« Medizin. Wenngleich auch naturwissenschaftliche Ärzte und Forscher immer mal wieder auf die »Heilkräfte des Organismus« hinweisen, erscheinen die Naturheilverfahren im Gegensatz zur jetzt vorherr schenden histologischen, bakteriologischen und biochemischen Forschung mitunter als spe kulative, überholte Relikte vergangener Epochen der Medizin. Eine qualitativ neue Entwicklung erfährt die Naturheilkunde und Naturheilbewegung ge gen Ende des 19. Jahrhunderts, wo sie zugleich in die sozialpolitisch äußerst aktive Bewe gung der »Lebensreform« einmündet. Diese »Erneuerungsbewegungen« als Ausdruck des Unbehagens und der Ablehnung der mit der fortschreitenden Industrialisierung einherge henden »unnatürlichen« Lebensweise finden besonders in Sachsen - und speziell in Dres den - großen Einfluß und ein breites Wirkungsfeld. Um die Wende zum 20. Jahrhundert vollzieht sich in dem Industrieland Sachsen eine be schleunigte Konzentration des Kapitals, woraus auch eine Fülle hygienischer und gesund heitlicher Probleme resultieren. Die zunehmend von der Sozialdemokratie getragenen For derungen nach Konsequenzen hat dann auch die sächsische Regierung — früher als die anderer Bundesstaaten - veranlaßt, die öffentliche Gesundheitspflege in besonderem Maße zu fördern. In dieser Situation wird — 1883 — in der Städteversammlung von zwei Ab geordneten der Vorschlag unterbreitet, ein »Gesundheitsmuseum zur Förderung der allge meinen Gesundheitspflege« zu gründen. Obwohl auch von der Dresdener Gesellschaft für Natur- und Heilkunde unterstützt und nochmals 1892 verhandelt, wird dieses Vorhaben aber letztlich wegen hierfür angeblich fehlender finanzieller Mittel abgelehnt. Das Bestre ben, ein »Gesundheitsmuseum« als Zentrum gesundheitlicher und sozial-hygienischer Be lehrung der Bevölkerung zu begründen, wird erst etwa zwei Jahrzehnte später durch das Engagement und den finanziellen Hintergrund des Großindustriellen Karl August Lingner (1861-1916) schrittweise realisiert. 1911 hat Lingner zusammen mit der Stadt Dresden und weiteren Trägern die großange legte I. Internationale Hygiene-Ausstellung inszeniert. Die in insgesamt 45 wissenschaftli chen Ausstellungsgruppen sowie einigen Sondergruppen kein Teilgebiet der Hygiene und öffentlichen Gesundheitspflege aussparende Ausstellung ist - anders als bei früheren Hygieneexpositionen - nach sachlichen Gesichtspunkten gegliedert worden und gibt das wissenschaftlich Gesicherte populär verständlich und anschaulich wieder. Das überwälti gende Interesse und die große Resonanz der Ausstellung widerspiegelt sich vor allem in