56 lediglich empirisch gewonnenen Erfahrungen genommen haben. Einer der wohl bekann testen Vertreter im Dresdener Raum ist der durch sein Wellenbad und Sanatorium loka len Ruhm erlangende Friedrich Eduard Bilz (1842-1922), ein Zeitgenosse Lahmanns. Die harten und schlechten Arbeitsbedingungen als Weberlehrling, die bei ihm zu gesund heitlichen Beeinträchtigungen geführt haben, sollen der Ausgangspunkt für seine spätere Hinwendung zur natürlichen Lebens- und Heilweise gewesen sein. 41 Die offensichtlich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts begonnene Sammlung und autodidaktische Aneignung populärer Anleitungen zur naturheilkundlichen Behandlung finden zunächst 1888 ihren literarischen Niederschlag in seinem umfänglichen Werk »Bilz, das neue Heilverfahren, ein Nachschlagebuch für Jedermann in gesunden und kranken Tagen«. Das »zum ersten Standardwerk volkstümlicher Naturheilkunde in Europa« 5 ' avancierende Buch bildet zudem die - auch finanzielle - Grundlage für den in den 90er Jahren be gonnenen Aufbau eines Sanatoriums in Radebeul. Die zunächst noch bescheidene Natur heilanstalt, in deren Mittelpunkt die vom katholischen Pfarrer Sebastian Kneipp (1821 bis 1897) inaugurierte Hydrotherapie (»Wasserkur«) steht, kann der geschäftstüchtige Bilz zu Beginn unseres Jahrhunderts zu einem exklusiven und expandierenden Unterneh men ausbauen. Unternehmerisches Durchsetzungsvermögen, kaufmännisches Talent und der Glaube an die eigene Kraft und Idee sind auch für Lahmann kennzeichnend. Auch er hat unter be scheidenen Verhältnissen - mit einigen Behandlungsräumen und zwei Badewannen - im damaligen Dorf Weißer Hirsch seine Naturheilanstalt gegründet. Dr. Lahmanns Sana torium weitet sich jedoch bereits im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zu einem Groß unternehmen aus, was letztlich in nicht unerheblichem Maße zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung der Region und deren Etablierung als Kurort beigetragen hat. 61 Kennzeichnend für eine im ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzende neue Entwicklung in der Naturheilkunde sind jedoch nicht allein die augenscheinlichen Institutionalisie rungsbestrebungen, die sich insbesondere in der Begründung von Naturheilanstalten reflek tieren. Vielmehr wird nun in verstärktem Maße von akademisch gebildeten Natur-Ärzten der Versuch unternommen, die Anwendung von Naturheilverfahren auch wissenschaftlich zu begründen. Die moderne Naturheilkunde und Naturheilbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich wieder direkt auf die hippokratische Idee, auf den Begriff der »Physis« (der im Grie chischen Natur bedeutet) als Richtschnur des ärztlichen Handelns berufen und lehnt ärzt lichen Aktionismus, einschließlich der Anwendung allopathischer Arzneimittel, ab. Die Naturheilverfahren laufen einzig darauf hinaus, die Naturheilkraft zu unterstützen. Die entscheidenden Heilkräfte gehen von den natürlichen Dingen der Umwelt, wie Licht, Luft, Erde, Wasser, aus. Darüber hinaus wird aber auch die naturgemäße Lebensweise des Menschen, seine eigene Aktivität, gefordert, womit wiederum an die klassische antike Medizin mit ihrer Lehre von der gesunden Lebensführung, die »Diätetik«, angeknüpft wird. Auch bei Lahmann spielt die Diätetik - insbesondere die Ernährung als Diätetik »im engeren Sinne« - eine besonders wichtige Rolle. Krankheit, so Lahmann, entsteht