64 Luftbild Hellerau mit Festspielhaus 1928 die unzähligen Rhythmen, deren der menschliche Körper fähig ist, haben einen menschli chen Wert erst dann, wenn sie sich in den Dienst des seelischen Ausdrucks stellen. Der menschliche Körper wird durch solche Übungen kräftig und geschmeidig gemacht und be fähigt zu jeder Art von seelischer Äußerung, wird ein Instrument beseelter Schönheit, ein plastischer Ausdruck seelischer Erregung. Und die Musik ist es, die die Bewegungen ordnet und stilisiert. Indem wir uns ihr hingeben, sie in uns aufnehmen und sie mit jener anderen Musik eins werden lassen, die in unserm ganzen Wesen lebt und webt und die eine leben dige Symphonie unserer Empfindungen und Gefühle ist, gewähren wir dem Unbewußten in uns die Möglichkeit sich zu äußern, und so schaffen wir den notwendigen (aber so selten erreichten) Ausgleich zwischen den bewußten und den unbewußten Kräften unserer Seele. Indem wir aus eigenster Erfahrung den Widerstreit unserer Kräfte im Spiel der Körperbewe gungen kennenlernen, erleben wir sozusagen in uns selbst die Gesetze des Gleichgewichts, die das Leben beherrschen und die allein die freie Entfaltung der Persönlichkeit sichern und das Gesellschaftsleben bestimmen. Alle Erziehung muß den Menschen befähigen, über einen harmonisch entwickelten Körper und Geist zu verfügen, über eine dadurch seiner selbst sichere Persönlichkeit. An ihr ist es, sich mit ändern harmonisch zu verbinden und so ein gemeinsames organisches Leben zu schaffen. Und die Entwicklung der Gesellschaft von Generation zu Generation hängt ab von dem harmonischen Ausgleich dieser zweifachen Gegensätze, die ewig gegeneinander getrieben werden: der Tradition und der Erneuerung, der Tatsache und der Hypothese, der Achtung vor dem, was nicht mehr ist, und vor dem, was kommen soll: der Gegenwart und der Zukunft.