65 Hans-Peter Lühr Hellerau - ein kurzer Traum von Gemeinnützigkeit Die große Strahlkraft des Experimentes Hellerau speist sich aus der künstlerischen Energie weniger Jahre. Vom Spätherbst 1911 bis zum Kriegsausbruch 1914 war Hellerau Treff punkt der intellektuellen Avantgarde. Werfel und Stefan Zweig, Hauptmann und Max Reinhardt, Kokoschka und die Laske-Schüler, Rilke und Kafka, Nolde und Shaw, sie alle waren Besucher Helleraus und der Festspiele, die wie ein Fokus die unterschiedlichen Reformbemühungen bündelten. Was die Initiatoren Helleraus in einer anspruchsvollen Programmatik für ihr Unternehmen anstrebten - die Rede war von einem »deutschen Olympia«, das die Bewohner der Gartenstadt in »Zukunftsmenschen« verwandle - wurde weithin als Keimzelle einer besseren Kultur begrüßt. »Mein unverlierbares Europa«, hatte Peter de Mendelssohn dieses Erlebnis später genannt. Hellerau als die neue Stadt schlecht hin, Hellerau als Ort radikaler Umformung des Theaters, Hellerau schließlich als Aus gangspunkt einer generellen Lebensform. Die kleine Siedlung entsprach wie wohl kaum ein anderer Ort in Deutschland dem in Unruhe geratenen Zeitgeist. Dem bürgerlichen Europa der Jahrhundertwende war im Zuge umfassender Industrialisierung ein massives Krisenbewußtsein zugewachsen. Die Trostlosigkeit der Mietskasernenstädte und das Elend ihrer Bewohner einerseits, die in Pomp und Pathos stagnierende Repräsentationskultur der Gründerzeiteliten andererseits, die ganzen Entfremdungssymptome des »fin de siede« wurden nicht nur von den Theoretikern der proletarischen Revolution als katastrophaler Werteverfall reflektiert. Auch eine junge Generation bürgerlicher Intellektueller widersetzte sich den alten Autoritäten mit Gegenentwürfen. Der blutigen Explosion der europäischen Spannungen im Ersten Weltkrieg ging ein weitgefächerter Reformversuch bürgerlichen Lebens voraus. Ganzheit hieß schon damals das Losungswort der Zeit. Nur noch einige Legenden erzählen heute von dem Neuansatz; die Mathildenhöhe bei Darmstadt, Worps wede, der Monte Veritä am Lago Maggiore und eben Hellerau, das die wahrscheinlich stärkste soziale Komponente aufweist - ein Grund für das Vergessenwerden? Initiator für die Gründung der Gartenstadt war der Möbelfabrikant Karl Camillo Schmidt. Seine Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, für die unter anderem Otto Gussmann und Peter Behrens die Entwürfe lieferten, waren in wenigen Jahren zu einem angesehenen Unternehmen geworden. Die von ihm angestrebte Verbindung von Zweckmäßigkeit, künstlerischer Form und maschineller Fertigung traf erfolgreich auf ein neues Stilempfin-