5 nur in der früh-expressionistischen Lyrik etwa Trakls und Else Lasker-Schülers. Es kenn zeichnet die Dresdner Situation, daß die jungen Revolutionäre der »Brücke« die in Reich tum und Schönheit blühende Residenz schon nach wenigen Jahren (1911) verließen und in dem moderneren, spannungsreicheren Berlin weitermalten. Ihre Umwertung aller Werte zeitigte aber sofortige Wirkung sogar bei den etablierten Akademieprofessoren der älteren Generation. Die Werke Sterls und Gußmanns reflektieren diesen Befreiungsschlag. Freilich federn sie ihn auch ab im Bestreben, das neue emotionale Pathos mit der Tradition zu ver söhnen. Dies erweist sich als spezifisch Dresdnerische Lösung, liberal, bürgerlich, weltof fen. Das Konzentrat dieser geistigen Haltung war Hellerau. Es ist merkwürdig und bedenkenswert, daß die ureigentliche florale Phase des Jugendstils in Dresden nur gelegentlich aufscheint. Seine konstruktive zweite Periode von etwa 1906 an gelangte hier aber zu höchstem Rang. Exakt parallel zur Gründung der Künstlergemein schaft »Brücke« ereignete sich der Bruch in der städtischen Architektur. Schilling & Gräb- ner, eines der bedeutendsten Dresdner Architekturbüros, hatte nach 1895 den sogenannten Kaiserpalast am Pirnaischen Platz; 1897 bis 1900 Lossow & Viehweger das Zentraltheater in der Waisenhausstraße in schmetterndem Neubarock errichtet. Aber 1903 bis 1905 er bauten Schilling & Gräbner die Christuskirche in Strehlen, ein Werk von hochmoderner Baugesinnung, und Lossow & Viehweger schufen das Kunstgewerbemuseum mit dem zuge hörigen Akademiegebäude an der Güntzstraße, in gleicher Haltung; 1906 bis 1913 entstan den nach Erlweins Plänen die Gebäude des Schlachthofs, ab 1909 folgten die Reihenhäuser und Villen Helleraus von Riemerschmid und Muthesius, 1910 bis 1912 das Festpielhaus von Tessenow. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Es war, als ob eine neue Stadt- und Lebenskonzeption eingeführt worden sei, und Hellerau belegt dies in der Tat. Alle diese Bauten wurden errichtet, und die Strauß-Opern »Salome« und »Rosenkavalier« wurden durch Schuch präsentiert, als die Brückemaler in der Stadt lebten und arbeiteten. Würde man ihre Frühwerke - rote Landschaften, blockige Holzschnittfiguren, afrikanisch beein- 1 flußte Holzskulpturen - in dem von Gußmann 1910 ausgemalten Treppenhaus des Rat- ' hauses ausstellen, so sähe man den Unterschied zwischen Revolution und Reform in den Künsten krass hervortreten. Wo die jungen Maler sprangen, gingen ihre nur um etwa zehn Jahre älteren Kollegen bedachtsam voran. Löffler kennzeichnet die Anlage zu Recht als »Fortführung der Treppenhäuser des Barock« 2 ’ Alle diese Bauten und Interieurs gingen auf I Grundmuster zurück, die in der reichen Tradition dieser Stadt schon einmal aufgetreten waren, vornehmlich im Barock, aber auch im Klassizismus. Tessenows Hellerauer Festspielhaus repräsentiert einen rigoros auf die Grundelemcnte zu- 1 rückgeführten Klassizismus, entspricht aber damit noch immer vielen Theatern, die in ganz Europa seit dem 18. Jahrhundert errichtet worden waren. Im Inneren allerdings war die j Vereinigung von Bühnen- und Zuschauerraum so grundstürzend neu wie das Bildkonzept der Expressionisten und stellte zusammen mit der Lichtregie in vergleichbarer Weise noch nie Gesehenes vor. Der Ausdruckstanz, der von hier ausging, war durchaus eine Parallele * zum Expressionismus und hat, wie dieser, Wirkung bis heute durch Tänzerinnen wie I Mary Wigmann und Gret Palucca. I