75 Editorische Nachbemerkung Die Kulturentwicklung Dresdens zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Welt krieg ist bisher noch nie näher untersucht worden. Die fraglichen 15 bis 20 Jahre »Reformzeit« stellen eine Art Interregnum dar, ein Kräftespiel mit unklaren Tendenzen - Egon Fridell spricht in seiner »Kulturgeschichte der Neuzeit« sogar von einer »Lücke« im Kulturprozeß ein offenes Feld für Utopien und neue, oft ganz konträre Lebens- Werte. Die Dresdner Hefte wollen einige Aspekte dieses Phänomens in Erinnerung bringen. In wichtigen Bereichen (Kunstgewerbe, Gesundheitswesen, Städtebau) hatte die deutsche Reformbewegung in der Stadt eine Zeitlang ihr Zentrum, und es ist vielleicht interessant zu beobachten, auf welcher Basis sich hier, neben der Sozialdemokratie, Gegenkräfte zu dem vorherrschenden Prinzip der politischen Großmannssucht entwickelt haben, Kräfte, die auf Ausgleich und Kultivierung zielten. Insofern ist dieses Heft - stärker als bei anderen Themen - selbst ein Experiment. Es ist nicht nur wichtig, aus Einzeldarstellun gen eine neue Deutung dieser Zwischenzeit vor 1914 zu versuchen, es ist wohl auch unerwartet aufschlußreich, neben die Zukunftsängste der Gegenwart die Zukunftsträume der Vergangenheit zu stellen. Leider ist es nicht gelungen, alle wesentlichen Bereiche der Reformbewegung in Dresden nach 1900 durch Beiträge zu belegen. Ein zentraler Aufsatz über die Rhythmik-Schule von Jaques-Dalcroze und ihre Folgen für ein neues Körperbewußtsein ist uns erst zum Redaktionsschluß abgesagt worden. In diesem Fall haben wir uns zu einer Ausnahme von unserer Erstdruck-Regel entschlossen und einen 1913 veröffentlichten Beitrag des Schwei zer Tanzpädagogen aufgenommen (aus: Sachsen-Post, 17.7.1913, S. 7ff.).