71 Uta Neidhardt Die Dresdener Stadtansichten Gotthardt Kuehls - ein Höhepunkt seines bildnerischen Schaffens zwischen 1895 und 1915 0 Bereits vor seinen Dresdner Jahren zählte Gotthardt Kuehl, der 1850 in Lübeck geborene und seit 1895 in Dresden tätige Maler, Kunstpolitiker und Akademielehrer, zu den führen den Vertretern der ersten Generation deutscher impressionistischer Malerei. Sein Schaffen sieht zugleich unter dem Einfluß der französischen Malerei des letzten Viertels des 19. Jahr hunderts und in der Tradition der deutschen Freilichtmalerei von Carl Blechen bis Heinrich Zügel. Es erfährt Anregungen durch den malerischen Realismus des Münchner Leibl-Kreises, den Pleinairismus der „Haager Schule” und die Malerei Liebermanns. Die bildnerischen Resultate des französischen und des deutschen Weges zum Impressionismus fließen gleicher- I maßen in Kuehls Werk ein. Sie befördern Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts die Herausbildung seiner eigenständigen impressionistischen Malweise, die weder mit der Auffas- >■ S ung Liebermanns, Corinths oder Slevogts noch mit den Arbeiten der großen Franzosen ohne Weiteres vergleichbar ist. 5 ’ Darüber hinaus spielt Kuehl seit Ende des Jahrhunderts als Motor tiefgreifender Veränderun gen im Dresdner Kunstleben eine entscheidende Rolle. Als Ausstellungsorganisator, Kunstpoli tiker, Reformator der Kunstakademie und Lehrer hat er wesentlichen Anteil am neuerlichen Aufblühen Dresdens zu einem bedeutenden Zentrum der bildenden Künste in Deutschland. Dabei kommt seinem Wirken für die Herausbildung einer lokalspezifischen Dresdner Malerei am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein besonderer Stellenwert zu. ar- Im Jahre 1867 kam Kuehl zum ersten Mal nach Dresden, um an der königlichen Kunstaka- 10 demie zu studieren. Der von den Idealen des Spätnazarenertums und der Düsseldorfer Histo rienmalerei diktierte Unterricht bewog ihn jedoch, die rückständige Dresdner Kunstanstalt im Sommer 1870 zu verlassen und nach München zu gehen. Hier arbeitete er bis 1873 im Ate lier seines Akademielehrers Wilhelm von Dietz und stand zugleich in engem Kontakt zum Kreis um Wilhelm Leibi. Zunächst von beider Schaffen geprägt, wandte sich Kuehl Mitte der 70er Jahre der historischen Modemalerei der Gründerzeit zu. Beeinflußt vom Neurokoko und den Werken Mariano Fortunys, schuf er farblich effektvolle, anekdotenhafte Salon- und Ate lierszenen von bühnenhafter Wirkung. Seit 1879 in Paris ansässig, kam Kuehl dort erstmals mit Werken Max Liebermanns, Jules Bastien-Lepages und den französischen Impressionisten in Berührung, die für sein weiteres Schaffen von grundlegender Bedeutung waren. So zeugen die pleinairistisch-sachlichen Stadt ansichten, Naturstudien und Figurenbilder seiner ersten Pariser Jahre von einem tiefgreifen- l2 den Wandel in Stil und Inhalt seiner Kunst. Angeregt durch mehrere Holland- und Nord-