45 Lothar Bossle Fedor Stepun - Der Begründer der Soziologischen Lehrtradition in Dresden Die Universitäten und Hochschulen in Sachsen, wie auch in allen neuen Bundesländern im geeinten Deutschland, sind jetzt wohl sehr gut beraten, wenn sie zur Absicherung des Bo dens für ihre weitere Entwicklung im Gefüge eines freiheitlichen Rechtsstaates den Anschluß an ihre Tradition suchen, die in der Zeit vor 1933 liegt. Für die Technische Universität Dres den eröffnet sich in diesem dringlich erscheinenden Bemühen, auf eine durch totalitäre Herr schaftssysteme verlorengegangene geistes- und sozialwissenschaftliche Tradition zurückzu greifen, hierbei trotz ihres verhältnismäßig jungen universitären Alters, die leichthin ersichtliche Chance, einen durch eine Reihe hervorragender Berufungen während der Zeit der Weimarer Republik begonnenen Aufbruch wieder zu verlebendigen. In den zwanziger Jahren ergänzte sich die Technische Hochschule Dresden - wie sie damals noch hieß - durch die Begründung einer kulturwissenschaftlichen Abteilung und berief für Philosophie Richard Kroner, Viktor Klemperer für Romanistik, Karl Buchheim für Ge schichtswissenschaft, Christian Janentzki für Germanistik, Friedrich Spiegelberg für Religions geschichte, Paul Tillich für Religionsphilosophie - und für die noch neue Wissenschaft der Soziologie den russischen Emigranten Fedor Stepun. Mit diesem Ensemble später berühmt gewordener Gelehrter, die Dresden als Zwischenstation auf dem Weg in ihre ruhmvolle akademische Karriere niemals mehr vergessen konnten, schuf sich die damalige Technische Hochschule die nicht nur sachliche, sondern auch traditionsab- stützende Voraussetzung, daß nunmehr in den neunziger Jahren die Ausweitung in eine Volluniversität als Fortsetzung einer zwar von 1933 bis 1989 unterbrochenen, aber dennoch kontinuierlichen Weiterentwicklung angesehen werden kann. Die Berufungspraxis des Sächsischen Kultusministers in den zwanziger Jahren konnte für die Technische Hochschule Dresden deshalb von einem so nachklingenden Erfolg sein, weil man die vorteilhafte Offenheit neuer Universitätsgründungen - und zumal die einer Technischen Hochschule - durchaus zu nutzen verstand. So hatte auch 1918 der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer die Gelegen heit, die sich ihm mit der gerade erfolgten Wiederbegründung der Universität in der alten Domstadt geboten hatte, zu nutzen vermocht, um das erste Sozialwissenschaftliche Institut an einer deutschen Universität einzurichten. Seine Berufungspraxis, die er dabei wählte, rich tete sich ohne Einschränkung an den Prinzipien des wissenschaftlichen Pluralismus aus. Dies schloß indessen nicht nur eine wissenschaftliche Methodenvielfalt, sondern auch und beson ders den richtungspolitischen Meinungspluralismus mit ein. Gerade damit konnten die neuen sozialwissenschaftlichen Lehrstühle an der Kölner Universität mit herausragenden Persönlich keiten besetzt werden. Die hierbei gewährleistete Vielseitigkeit und Offenheit wissenschafts methodischer Toleranz bewirkte schließlich, daß so unterschiedliche Kapazitäten als Hoch-