19 Ingrid Kirsch Das Ringen um die rechtliche Gleichstellung der Dresdner Juden und ihrer Religionsgemeinde von 1830 bis 1871 Im Zusammenhang mit den sich im Königreich Sachsen besonders ab 1830/31 vollziehenden gesellschaftlichen Veränderungen begann auch eine neue Etappe im Kampf um die bürgerliche Gleichstellung der Juden und die Gleichberechtigung der jüdischen Religion. Diese Phase, die in Sachsen vor allem von den Dresdner Juden geprägt wurde 0 , war gekennzeichnet durch 1. den Kampf der führenden Persönlichkeiten der Gemeinde um die Verbesserung der recht lichen Stellung, besonders über den Petitionsweg und die publizistische Einflußnahme auf die öffentliche Meinung, 2. durch das Ringen der liberalen Kräfte innerhalb der Gemeinde um die Modernisierung der Kultusausübung, die Veränderung der Bildungs- und Berufsstruktur sowie die Formierung einer modernen jüdischen Gemeinde, 3. durch Auseinandersetzung von Emanzipationsbefürwortern und -gegnern innerhalb und außerhalb der beiden Kammern um »die Gefahr oder die Berechtigung und Notwendigkeit« der jüdischen Forderungen und deren Umfang und 4. durch den Prozeß der schrittweisen, zögerlichen Gesetzgebung bis zur vollen staatsbürger lichen Gleichberechtigung der Juden und der Verbesserung der Bedingungen für deren Reli gionsausübung, nicht aber der tatsächlichen Gleichberechtigung der Religion. Innerhalb dieser ca. 40 Jahre verlief die Emanzipation in drei Phasen. Die erste umfaßt den Zeitraum von 1829/30 bis 1837/38. In dieser Zeit verstärkte sich in Verbindung mit der neuen Verfassung und den gesellschaftlichen Reformen in Sachsen das Bemühen um eine progressive Judengesetzgebung sowohl in der Gemeinde als auch bei den christlichen Befürwortern der Emanzipation. Das führte zu ersten gesetzlichen Konsequenzen und schließlich zu zwei Geset zen, die für Dresden und Leipzig eine Religionsgemeinde gestatteten bzw. einige Verbesserun gen für inländische Juden festschrieben. Zu Beginn dieser Phase bestand die Dresdner israelitische Gemeinde aus 130 bis 140 Familien (742 Personen). Rechtliche Grundlage für deren Leben bildeten die 1772 durch die Kurfürst liche Sächsische Polizeikommission angenommene »Juden-Ordnung für die Chur-Fürstlich-