3 er Einzelheiten aus dem Alltag auf zeichnet. Literatur, heute vielfach überschattet vom platten Unterhal tungsbetrieb der Medien, gewinnt in der sanften Gewalt seines Wor tes und unseren Anstrengungen, es zu begreifen, eine aufklärerische Funktion; sie leistet »Trauerarbeit«, die der Vernunft zugute kommt. Anschauung und Erfahrung sind zu Wissen geworden: Klemperer hat das Unheil »gesehen«, und die ses »Wissen« wurde zu Weisheit, die uns noch heute berührt. Die Wortbedeutung weist auf die schwankenden Beziehungen von Welt und Wahrheit im Namen der Sprache. 3 * Diese Tagebücher 1933 bis 1945 und das Tagebuch 1945 sind Dokumente zur Geschichte des deutschen Fa- I schismus, zur Alltags- und Kulturge- „ ... , , n j i l i o/i/* schichte von Dresden, und sie sind Victor Klemperer, Gemälde von Arthur Rudolph, 1V46 Zeugnisse vom Untergang seiner jüdischen Gemeinde. Doch wohl nirgendwo sonst sind die Schicksalsbühne der Geschichte und die engen Räume des eigenen Lebens so eng miteinander verflochten; gehen die Weltstunden von Krieg und Vorkrieg und die Minuten der Alltagszeit so nahtlos ineinander über. Nur selten vermerkt Klemperer große Zäsuren und Brüche; das Abgleiten in das Verhängnis vollzieht sich leise, fast stufenlos, ebenso wie die Befreiung daraus. Geschichte wird von Tag zu Tag erlebt; nicht in einer Rückschau zusammengefaßt und gedeutet. Der Leser wird zum Zeitgenossen der Vergangenheit. Er erfährt nicht (von einem Memoirenschreiber etwa, wie die Zeit zwischen 1945 und 1933 verlaufen ist; sondern er begleitet die Tage, Monate und Jahre vom Sonnabend, dem 14. Januar 1933, bis zum Montag, dem 31. Dezember 1945. Daß er mehr weiß als der Schreiber, schafft die beson dere Faszination der Textsorte Tagebuch. In der radikal subjektiven Perspektive der Aufzeich nungen, ihrer Gleichzeitigkeit von Erfahrung und Beschreibung, der Genauigkeit in Detail und Szene kann darum etwas von der Wahrheit jener Vergangenheit deutlich werden, die mit kli scheehaften Wendungen wie denen vom Antifaschismus, vom schweren Anfang oder dem Fleiß im Wirtschaftswunder nahezu verdrängt und verschüttet wurde. Es ist eine ferne Welt, die uns nahegebracht wird. Jene Erfahrungen von Todesnähe und Haß, Hunger und Verzweiflung, Schuld und Demütigungen trennen die Generationen heute stärker