95 meisten ja unter großen Schmerzen bewahrt haben, hat natürlich einen hohen Stellenwert. So war der Schock in der Nachwendezeit über den plötzlichen Neofaschismus auch sehr groß. Die ersten Aufmärsche der Rechten in Dresden haben völlig vergessene Ängste geweckt. Lühr: Der Antisemitismus von 1991 und 1993 kam ja oft auch aus einer dumpfen Aggression von Jugendlichen, die auf den plakativen Antifaschis mus der DDR reagiert haben. Bedrückend genug war es ja, aber schließlich wohl ein Übergangs phänomen. Wieviel davon ist geblieben? Eine Stu die der Technischen Universität von 1993 unter Jugendlichen hat immerhin etliche alte Ressenti ments deutlich gemacht. Lühr: Jahrhundertelang hat jüdisches Leben immer unter Pressionen gestanden. Wir wissen, wie massiv Antisemitismus in Dresden zum Beispiel an der Wende zum 20. Jahrhundert war. Gibt es für Sie noch einen Bezug zu dieser düsteren Tradition? Aris: Da die permanente Bedrohung nicht mehr existiert, ist der Bezug eher allgemein-histo risch, dominiert also unser Leben nicht mehr. Deutschland hat eine Demokratie bekommen, an der wir mitwirken und in der wir uns zu Hause fühlen. Lühr: Heimat in Demokratie ist eine gute Formel. Vielleicht auch ein Standort, von dem aus anders zurückzublicken ist auf die Katastrophe, als in unmittelbarer Nähe des Todes. Wie er klären Sie sich heute das Phänomen Judenhaß? Welche Erklärungsmuster haben Sie dafür -, bzw. haben Sie überhaupt Bedarf danach? Aris: Schwer zu beantworten. Der Bevölkerungsanteil von Juden in Deutschland war immer verschwindend gering. Die wirtschaftlichen, intellektuellen Positionen waren wiederum oft: be achtlich. Vielleicht waren das Gründe, wenngleich historisch bedingt -, aber im Grunde bleibt Gedenkstein für die 1938 zerstörte Synagoge von Friedemann Döhner, 1973 Aris: Es gibt durchaus sehr positive Entwicklungen. Wir leben im Grunde weitestgehend in Sicherheit, nennenswerte antisemitische Aktionen hat es kaum noch gegeben. Ausgenommen davon sind mehrere Friedhofsschändungen. Eine Erscheinung, die ja leider konfessionsübergreifend zum traurigen Alltag geworden ist. Beängstigend war es nach der Wende. Das ging bis zu Morddrohungen, die leider nie auf geklärt wurden. Es gibt jedoch keinerlei Grund, heute etwa auf gepackten Koffern zu sitzen.