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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.09.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-191209219
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19120921
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19120921
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungHohenstein-Ernstthaler Tageblatt
- Jahr1912
- Monat1912-09
- Tag1912-09-21
- Monat1912-09
- Jahr1912
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.09.1912
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Hohcnstein-Ernftthaler Tageblatt «mtstlatt Hn Sonnabend, den 21. September M2. Beilage. Die Sckulgelctfrsüle Die Zwischen deputation der Zweiten Ständekammer für das Königl. Dekret Nr. 28, enthaltend den Entwurf desVolksschUl gesetzes, setzte am Mittwoch ihre Beratungen fort. Von der Königl. Staats regierung nahmen Se. Exzellenz Staatsminister Dr. Beck, Ministerialdirektor Geh. Rat Kretzsch mar, Geh. Rat Dr. Kühn, Geh. Negierungsräte Dr. Schmaltz und Haebler, Oberschulrat Sieber und Finanzamtmann Dr. Bang daran teil. Zu nächst befaßt? sich die Deputation mit der S ch u l g e l d f r a g b, die in 8 8 ihre Re gelung finden soll. Die Regierung schlug eine Nenderung des 8 8 Abs. 2 ihrer ursprünglichen Vorlage in dem Sinne vor, daß durch die Orts- schnlordnung bestimmt wird, daß Unvermögende von der Zahlung des Schulgeldes ganz oder zum Teil z« befreien sind. Dabei soll eine be stimmte Norm für die gänzliche und für die teilweise Befreiung angegeben werden. Die Mehrheit der Deputation nahm jedoch diesen Vermittlungsvorschlgg nicht an, sondern be schloß, auf dem Beschlusse erster Lesung stehen zu bleiben, wonach eine allmähliche Be seitigung des Schulgeldes für die Volksschule überhaupt eintreten soll. Natürlich soll für die Durchführung der Neuerung genü gend Zeit gelassen werden. Diese Stellung der Mehrheit der Deputa tion wurde u. a. damit begründet, daß die notwendige Maßnahme der Schulgeldfreiheit sür die Gemeinden keine Mehrbelastung bringe, denn jie erhöhe die für die Schule notwendigen Aus gaben nicht, sondern lege diese nur auf breitere Schultern. Das Schulgeld treffe als Abgabe vor allen Dingen Familien, die schon an sich für die Kinder erhöhte Aufwendungen machen müßten, während doch der Nutzen, den die Volksschule bringe, der Gesamtheit und jedem einzelnen in der Gesamtheit zugute komwe. Deshalb solle auch die Gesamtheit die Volks- schullasten in vollem Umfange tragen. Weiter hielt es die Deputationsmehrheit auch nicht für zweckmäßig, den Streit über das Schulgeld in die einzelnen Gemeinden hineinzutragen. Die die Minderheit bildenden konservativen Mitglieder der Deputation stellten sich aus den Boden des Regierungsvorschlages. Sie hielten eine zwangsweise Einführung der Schulgeld freiheit durch den Staat für eine Verletzung der Selbstverwultungsrechte der Gemeinden. Die vom Abg. Dr. Seyser t-Zschopau (natl.) aufgeworfene Frage, in welchem Weise die S t a a t s u n t e r st ü tz u n g an die Ge- m e i n d e n geregelt werden könnte, wird bei der Beratung des Antrages der Abgg. Trüber und Schreiber mit erledigt werden, doch erkann ten alle Mitglieder der Deputation die Notwen digkeit einer Erhöhung der Staatsunterstützung an ärmere Gemeinden des Landes als drin gend an. Ein anderer Beschluß der Deputation ging dahin, Einzelbestimnmngen über die hygienischen Anforderungen an die Schulen im Gesetz nicht zu erlassen. Nur fand eine Bestimmung An- nahme, die die Beachtung hygienischer Anfor derungen bei der Gebäudeunterhaltung verlangt, i Weiter sagte die Negierung eine Durchsicht und j ivo nötig, eine Ergänzung der auf die Anlage und die Einrichtung der Schulgebäude bezüg-! lichen Verordnung zu. Die von der Regierung vorgejchlagenen Be slimmungen über die Schulklassen wurden un verändert angenommen. Ueber das Verhältnis zwischen der bürgerlichen Gememde und der Schulgemeinde hinsichtlich des Eigentumsrechte« an den Schulgebäuden und Schulgrundstucken kam es zu einer sehr eingehenden Debatte, eine Abstimmung konnte jedoch in dieser Angelegen heit nicht ersolgen. Einig ist sich die Deputa tion darüber, daß die Schaffung klarer Verhält nisse auf diesem Gebiete unbedingt notwendig ist. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Frage einer Klärung der Eigentunisrechte zwi schen Schul- und Kirchgemeinde angeschnitten; auch sie soll in einer späteren Beratung ihre Erledigung finden. SosiMemokratil'cker Parteitag. Wir haben gestern wie immer telegraphisch über den Verlaus der gestrigen Sitzung berich tet und über die ersten Punkte der Tagesordnung unserem Telegramm nichts hinzuzufügen. Nach Annahme der Hueschen Berggrbeiier- Nesolutson erstattete Abg. Stadthagen den Bericht der Reichstagsfraktion, der Radikale und Revisionisten ziemlich hart an einander brachte. Stadthagen streifte von den Streitpunkten, die auf diesem Gebiete liegen, nur den Fall Landsberg. Aber auch weniger, um gegen Landsberg vorzugehen, als um dar zulegen, daß die Sozialdemokratie ein Recht habe, sich höfischen und anderen Demonstrationen zu entziehen. Die Fraktion würde machtlos sein, auch wenn sie aus lauter Engeln bestünde, und jie bedürfe der außerparlamentarischen Tätigkeit der Genossen, und ihre Macht liege in der Rich tigkeit ihrer programmatischen Forderungen. In der Diskussion traten zwei Punkte in den Vordergrund: Der Fall des Genossen Landsberg, der bei dem Kaiserhoch ipt Neichstagssaale standgehalten hatte, und die Eisenacher Geheimkonferenz. Na mentlich erwies sich die Sonderbimdelei der Ra dikalen als der Brennpunkt, an dem sich die Geister heftig erhitzen. Der erste Debatteredner, der Genosse Henschel aus Perlin, empfahl die von seinem Wahlbezirk eingebrachte Resolu tion, in der gegen die Tat Landsbergs Pro test eingelegt wird. Der Genosse behauptete, der gröbliche Verstoß Landsbergs gegen die Parteigrundsätze habe ungeheure Entrüstung her- vorgerusen. Dann zerrte der Genosse Haupt als Anwalt seines Reichstagswahlkreises eine Revolverschießerei, die von einem Arbeitswilli gen in Burg bei Magdeburg gegen einen sozial demokratischen Arbeiter verübt worden ist, in breitester Ausführlichkeit vor die Oeffentlichkeit des Parteitages, um aus diesem einen Falle die Notwendigkeit zu folgern, die friedlichen Bürger gegen die Schießgelüfte der Arbeitswil ligen zu schützen. Nach diesem Vorspiel kam man auf das Thema des Tages: Die ge heime S v n d e r k o n s e r e n z! Der Ge nosse M eerfeld aus Köln war der erste, der den Finger auf diese Wunde legte, Zuerst kon statierte er seine Unzufriedenheit mit der Prä senlierung des Genossen Scheidemann sür den Vizepräsidentenposten im Reichstage. Das hätte man nur tun sollen, wenn der Posten dauernd zu halten gewesen wäre. Dann wandte sich der Genosse gegen die Sondersitzung der Radikalen in Eisenach. Er nannte ein derartiges Treiben eine Vergiftung des Parteilebens. Diese Be schuldigung rief die Radikalen auf den Plan. Zunächst kam ein Antrag Ledebour zum Vorschein, in dem die Sonderkonferenz als eine alte und berechtigte Parteieinrichtung bezeichnet wird und der Parteitag gebeten wurde, alle An träge, die auf ihre künftige Unterdrückung ab zielen, abzulehnen. Dann ergriff der Genosse Hoch das Wort, um die Sonderrechte zu ver teidigen. Er führte sür die Notwendigkeit der Sonderkonferenzen u. a. an, daß man dort die Heißsporne zügele. Dabei ließ er sich selbst so zügellos gegen die Revisionisten gehen, daß er sich am meisten ins Unrecht setzte. Die Kreise, so sagte er, deren Wortführer in Magdeburg den Grundsatz verkündet hat: „Ich stehl mein Holz und zahl mein Straf", versuchten jetzt gegen die Radikalen „in geradezu scham loser Weise Stimmung zu machen." Hoch wurde für diesen Ausdruck vom Vorsitzenden zur Ordnung gerufen und zur Ruhe ermahnt. Hoch geriet qber in immer größere Aufregung. Er zeigte sich namentlich sehr erbittert über die „Magdeburger Volksstimme", die behauptet hatte, die Radikalen seien mit ihren Frauen und Le debour sogar mit einem Rucksack nach Eisenach gekommen, um den wahren Zweck ihrer Zu sammenkunft zu verbergen. Tie Besprechung sei in der Tut ganz harmlos gewesen, so ver sicherte Hoch. Die Radikalen seien durch die Revisionisten erst zu ihren Sonderbesprechungen gezwungen worden. „Das ist unwahr!" rief David dazwischen. „Sie wissen ganz genau, daß es wahr ist!" suhr Hoch dem Zwischen rufer mit überschlagender Stimme an. „Nein, es ist unwahr", beharrte David. Jetzt mischte sich auch Frank ein mit der Bemerkung, daß die Radikalen sich doch sonst nicht die Revisioni sten zum Muster nähmen. Diesem Doppelangriff gegenüber verlor Hoch jeden Rest von Ruhe; er schwang die Arme, drohte und rief Frank zu: „Nein! Sie sind nicht unser Muster! Wir würden es für einen Betrug halten, Parteitags beschlüsse mit zu fassen in der festen Absicht, sie doch nicht zu halten!" An dieser persönlichen Auseinandersetzung der feindlichen Lager nahm der Parteitag durch Zwischenrufe und sonstige Kundgebungen den lebhaftesten Anteil, so daß man zum ersten Male das von früheren Partei tagen gewohnte Bild des Kriegszustandes vor sich hatte. Als Frank, nach einigen bedeu tungslosen Rednern, zu Worte kam, hatte man sich wieder beruhigt und auch Frank selbst be fleißigte sich der äußersten Ruhe. Er begann mit dem geschickten taktischen Zug, den Streit darüber, wer angesangen habe, beiseite zu schie ben und zu erklären, daß die Süddeutschen in Zukunft jedenfalls seyr gern auf jede Sonder konferenz verzichten würden, wie sic auch schon in Chemnitz jede Sonderbesprechung unterlassen hätten. Das setzte die Radikalen sofort ins Un recht. Ledebour warf dazwischen: „Und Ihre Besprechungen beim Bier und im Hotel?" Frank erwiderte gelassen: „Sie wenden die Regel Ihrer Geheimorganisation zu Unrecht auf uns an. In der Tat", so fuhr er fort, „han delt es sich jetzt schon nicht mehr um radikale Sonderkonferenzen, sondern darum, eine San der o r g a n i s a t i o n in der Partei zu brechen, die eine große Gefahr bedeute. Tue man es jetzt nickt, so sei es nachher viel leicht zu spät. Zum mindesten sollte der Par teitag den Wunsch aussprechen, daß die Son derkonferenzen unterbleibe» möchten. Kurz nach seiner Rede tauchte ein Antrag Sinder- in a n n auf, der Parteitag möge den dringen den Wunsch aussprechen, daß in Zukunft diel Sonderkonferenzen unterblieben. Darin ist der Vorschlag Franks enthalten, und auf diesen An trag wird sich der Parteitag voraussichtlich auch festlege». Auch Bebel, dessen erste größere Rede auf diesem Parteitage fast ein Ereignis war, trat für den Antrag Sindermann ein. Er hatte zunächst allerdings ein anderes Anliegen; er warnte vor der Annahme eines Antrages, der Doppelkandidaturen verbieten will. Das sei falsch, denn man brauche im Reichstage drin gend Leute, die mit den einzelnen Landtagen Fühlung hätten. In Sachsen habe man allerdings schon Doppelkandidaturen verboten. Er halte es aber sür einen Fehler, und der Tag werde kommen, wo das auch die sächsischen Ge nossen einsehen würden. Zu dem Thema der Geheimkonferenzen bemerkte Bebel, die Ein richtung sei zwar alt, er selbst habe sie schon vor vierzig Jahren in der Fraktion kennen ge lernt, aber heute seien die Sonderkonserenzen ein Unwesen. Jeder neu gewählte Genosse werde im Reichstag von einer der beiden Sei ten für die Sonderverbindung gekeilt, und es habe, bis der Fraktionsvorstand schließlich ein griff, von dem Anschluß nach der einen oder der anderen Seite abgehängt, ob der Mann als Redner oder für die Kommissionen ange meldet worden sei. Im Hinblick hierauf sei es erwünscht, daß dre Sonderbündeleien auf hörten. Das Interesse des Parteitages und auch seine Aufnahmefähigkeit waren nach der Rede Bebels erschöpft. Der Schluß der Debatte wurde ohne Widerspruch herbeigeführt. Nicht so leicht war die Entscheidung darüber, ob auch ani Donnerstag abgestimmt werden sollte. Ge nosse Leinert forderte die Abstimmung mit der Begründung, daß der Klüngel Ledebours nicht erst Gelegenheit haben sollte, eine Sonder konferenz einzuberufen. Ledebour legte gegen diese Insinuation, wie er es nannte, lebhaften Protest ein. Schließlich entschied der Vorsitzende nach drei bis vier zweifelhafte» Abstimmungen kurzer Hand, daß die Abstimmung über die An träge auf Freitag vertagt worden sei. Ihr Er gebnis wird wahrscheinlich sein, daß der Antrag Sindermann angenommen wird. Was den Fall Landsberg betrisft, so wird der Parteitag sich vermutlich aus einen Antrag zu rückziehen, der die Angelegenheit Landsberg durch die bisherigen Entscheidungen der ande ren Instanzen für erledigt erklärt. Dadurch ver meidet der Parteitag es, selbst zu dieser heiklen Angelegenheit Stellung zu nehmen. Sprecklaal. (LIK sost»»«»-«» »» diisn A n unsere Jugend ! Der Herbst ist da .' Wie ganz anders sieht doch jetzt unsere .Leimen aus ! Habt Ihr schon den farbenprächtige» Herbflwald recht aufmerk sam durchwandert, habt Ihr schon von luftiger Bergeshöhe die von goldenen Herbstsonnenstrah len durchflutete Landschaft geschaut? Kommt mit uns und seht Euch daran satt, holt Euch beim Wander» frische Kraft zur Arbeit ! Wenn der kühle Herbstwind über die Stoppeln weht, kommt die rechte Wanderzeit für die Kinder, die sich im Sonuner vor Hitze und Gewitter gefürchtet habe». Ihr Bube» und Mädels, zieht mit uns durch Berg und Wald und Flur ! Für die M i ch a e l i s f e r i e n sind fol gende Wanderungen geplant: 4. Eintägige Wanderungen für Knaben und Mädchen. Mittwoch, den 2. Oktober : Ziel Lich- lenstein —Rümpfwald -Glauchau—Grünefeld — Ein neuer Roman gelangt in der morgigen Nummer des „Tage blattes" zum Abdruck. Wir haben ein ausgezeich netes Werk der bestens bekannten Schriftstellerin Henriette v. Meerheimb erworben, die in diesem Kinde ihrer Muse in wirklich anheimelnder Weise ihr großes Talent äußert und in lebhafter Schilderung den Leser von Anfang an zu fesseln weiß. Der neue Roman führt den Titel: „Der Prinz-Gemahl." MM AuM WeleiMn. Von Ludmilla v. R e h r e n. lL>chlnß.) Nachdruck verboten. Herr L.hielemann wagte gar nicht, so warm und eindringlich zu spreche», wie es ihm ums Herz war. Es war doch immer noch möglich, daß Olga nun erklärte, sie habe ihn zwar ganz gern, aber — usw. Sie sagte aber nur lächelnd: „Dieser Wunsch kann nun leider nicht erfüllt werden, ich bin doch einigermaßen vermögend. Es ist zwar nicht sehr viel, aber immerhin — gegen zwanzigtausend Rubel . . Herr Thielemann saß überrascht da. Er wußte anfangs gar nicht, ob er ein freudiges oder trauriges Gesicht machen sollte. „Das habe ich allerdings nicht erwartet", sagte er endlich, „mißverstehen Sie mich nicht , — aber ich hätte jetzt so gern wirklich, gewisser- ! maßen aus Sühne für meine früheren schnöden l Berechnungen, nur aus reiner Liebe geheiratet. Freilich weiß ich noch immer nicht, ob Sie wollen ..." Da reichte sie ihm die Hand und sagte herzlich: „Trotz dieser furchtbare» Berechnungen find Sie doch ein ganz großer Idealist. Also — an mir soll es nicht fehlen, daß die Periode der Verlobungen jetzt mit einer Ehe schließt." „Und so bald wie möglich!" rief Herr Thielemann. * Aber so rasch, wie es Herr Thielemann wünschte, ging es mm doch wieder nicht. Es war förmlich, als hätte das Schicksal sich ver schworen, ihn nicht in den jetzt von ihm so sehr erwüiischteii Stand eines Ehemanns gelangen zu lasse». Am liebste» hätte er scho» nach vier Wo che» geheiratet. Es lag auch gar kein Grund vor, dies nicht zu tun, und im stillen hätte es ihm, was ja verzeihlich war, eine gewisse Ge nugtuung bereitet, Magda beweisen zu können, daß er so bald Ersatz für sie gefunden hatte. Und dann wurde er auch noch immer nicht das fatale Bewußtsein los, daß man ihn im stillen als den „Entlobten" bezeichnete. Ganz abge sehen von all dem Glück, das er erwiderte, war es menschlich, daß er auch an diese Dinge dachte und gern einen dicken Strich hinter das Vergangene machen wollte. Anch Olga war ganz damit einverstanden. Aber ganz unerwartete Hindernisse stellten sich hemmend in den Weg. Nach einer Erkundigung ans dem Standes amt zeigte es sich als unvermeidlich, daß erst eine Unmenge von Ausweise» herbeigeschaffl werde» mußte», da Olga russische Untertanin war. Beide gingen erst ganz fröhlich ans Werk und dachten, es würde bald erledigt sein. Aber eine Woche nach der anderen verging und sie standen immer noch ans dem alten Fleck. In Rußland arbeitete man keineswegs exakt. Vielleicht hielt man es anch für richtig, den Brautpaaren erst nochmals Zeit zur Ueberiegung zu verschaffen. Ein halbes Dutzend Erinnerungs briefe mußten geschrieben werden, bevor ein Papier cintraf, und dann fehlte gewöhnlich noch eine Unterschrift oder Beglaubigung, oder ir gend etwas anderes stimmte nicht, so daß es nochmals zurückgeschickt werden mußte und das Warten aufs neue ansangen konnte. Herr Thielemann lachte anfangs, dann wurde er ungeduldig und endlich wütend. Aber das half nun einmal alles nichts — die Sa chen gingen deshalb nicht ein bißchen schneller, und man mußte eben Geduld haben. Aber schließlich ging sie Herrn Thielemann doch aus, und eines Tages trat er mit ent schlossenem Gesicht bei seiner Braut ein. „Olga", sagte er feierlich nach der Be grüßung, „soeben ist mir wieder ein Papier — Deines seligen Vaters Geburtsschein — als nicht genügend beglaubigt beanstandet worden. Was das eigentlich noch werden soll, weiß ich nicht! Was haben wir nicht schon alles mit uns an- fangcn lassen müssen! Vierzehn Tage lang muh ten wir als Verlobte in Deinen heimatlichen Blättern stehen für den Fall, daß vielleicht doch noch ein Ehemann von Dir sich meldet. Wie viele Bürgermeister, Konsuln, Pfarrer und Gou verneure haben niit ihren Unterschriften Deine Existenz bekundet, und immer war sie noch nicht genügend erwiesen! Man verlangte von uns genaue Mitteilungen über Deine Großeltern, wie und wo sie gelebt hatten — aber jetzt habe ich es satt!" „Ich auch!" seufzte sie. „Mein armes Lieb", sagte er zärtlich, „ganz angegriffen siehst Du wahrhaftig aus. Weißt Du was, wir hauen jetzt den Knoten durch, ge hen einfach »ach London, nehmen Deine Schwe ster mit und lassen uns dort trauen. Die dazu nötigen Papiere haben wir — ich wünschte bloß, ich wäre schon früher darauf gekommen. Und so entgehen wir noch einem sonst unver meidlichen Hochzcitstrubel! Schicksal, deinen Tücken zum Trutz, endige ich doch noch als Ehemann!" Olga sah anfangs etwas überrascht aus, aber dann stimmte sie eifrig für den Plan, und beide nmarmten sich sehr vergnügt und mit er leichtertem Herzen. Nicht sehr lange daraus bildete wieder Herr Thielemann das Gesprächsthema in der kleinen Stadt, in der die Pelikan-Apotheke sich befand. Wieder gab eine Karte den Anlaß dazu, dies mal aber stand darauf: Ihre in London vollzogene Vermählung beehren sich ergebenst anzuzeigen Friedrich A u g u st Thielemann, Apothekenbesitzer, O hg a Thielemann, geb. Althoff.
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