Worüber staunt Amerika? Von Ems t L o rsy A ls Eroberervolk staunen die Amerikaner prinzipiell über gar nichts; als sehr junges Eroberervolk staunen sie gelegentlich noch über sich selbst; aber als ein Volk von Provinzlern stehen sie massenhaft und bedingungslos erstaunt vor den Tatsachen, die Robert Leroj R ipley täglich vor ihnen ausbreitet. Diese Ripleyschen Tatsachen haben zusammengenommen die größte Summe von Staunen aus der amerikanischen Seele ausgelöst, deren sie fähig ist. So werden Ripleys Tatsachen- Bücher zum Maß der amerikanischen Seele. Ripley ist nicht nur ein Millionär, er ist auch eine nationale Einrichtung geworden. Dieses brave Volk von Schul jungen und Schulmädchen erhält von ihm regelmäßig sein geistiges Lieblings futter vorgesetzt: Tatsachen, Tatsachen, die niemanden was angehen, Tatsachen, die nichts bedeuten, unverbundene, nackte, dumme und erweislich wahre Tat sachen. Herrn Ripleys Tatsachen klingen zunächst unglaublich, aber er fordert die Nation heraus, den Beweis für sie zu verlangen. Die Nation reißt zweifelnd die Augen auf und läßt sich von Herrn Ripley Rübchen schaben. Mit erhobenem Bleistift steht er vor ihr, weist auf einen erwachsenen Struwelpeter mit Neger- hppen und behauptet, dies sei der Schriftsteller A. Dumas aus Paris, der zwölf hundert Bücher geschrieben habe, so und so viele Seiten in der Stunde. Die Nation schüttelt leise den Kopf, doch Herr Ripley hat seinen unbezahlbaren Haupt sekretär, der 13 Sprachen spricht, schon im voraus auf die New Yorker Stadt bibliothek geschickt und verwahrt nun den Beweis im Stahltresor. Er geht auf sicher; er ist bereit, jedem Zweifel ein „Etsch!“ des Besserwissens entgegenzu setzen. Dieses „Etsch!“ wird ihm bezahlt, von ihm leben seine zahlreichen An gestellen, es hat ihn zum großen Mann gemacht. Onkel Sam hält ihn zu dem Zwecke, mit der Nase darauf gestoßen zu werden, daß nicht alle Sprichwörter stim men, daß selbst die Bibel sich einmal irren kann und daß es erweislichermaßen mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träu men laßt. Diese letzteren Dinge werden ver- und gezeichnet. Der amerikanische Horatio will es mcht nur schwarz auf weiß bewiesen haben, er muß es auch in Schwarzweiß vor sich sehen. Herr Ripley ist auch ein Zeichner, und so stark er im Rechnen ist, so schwach ist er im Zeichnen. Er kommt aus Kalifornien. Eines Tages stellte er Karikaturen von Sports- mannern zusammen: einen Australier, der in vier Stunden 11810mal über eine Schnur gesprungen war, einen Engländer, der in elf Sekunden 100 Yard zusam mengesprungen hatte, einen Kanadier, der, rückwärts springend, in 14 Sekunden 100 Yards erreicht, einen jungen Amerikaner, der den Kontinent Amerika, rück wärts marschierend, einen Spiegel in der Hand, durchquert, und einen Franzosen, der 6 Minuten 29*/ 5 Sekunden getaucht hatte. Ripley gab diesem Tableau zuerst einen behebigen Titel, dann strich er ihn durch und schrieb darüber: Believe It or Not ! („Ob du’s glaubst oder nicht“). Wie Byron erwachte er am ändern Morgen und war berühmt: ein gemachter Mann. 557