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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 14.08.1890
- Erscheinungsdatum
- 1890-08-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189008141
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18900814
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18900814
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungFreiberger Anzeiger und Tageblatt
- Jahr1890
- Monat1890-08
- Tag1890-08-14
- Monat1890-08
- Jahr1890
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 14.08.1890
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Freiberger Vlirzeiger «nv Tageblatt. Gelte 3. i«7. I8S». terie-Regimenter ohne Fuß-Artillerie in Regimentskolonnen, die beiden Eisenbahn-Regimenter in Brigadekolonnen, die selbständigen Bataillone und die Unteroffizierschule in Kom pagniefrontkolonnen; die Kavallerie in Eskadronsfronten, die Artillerie in Batteriefronten, der Train in Kompagniefronten im Trabe. Dicht geschlossen, einem undurchdringlichen Wald von Waffen gleich, nahten die Kolonnen, vor deren Fronten die gesammten Stabsoffiziere, Hautboisten, Spielleute und Fahnen einherschritten. Nach dem zweiten Vorbeimarsch ver sammelten sich die Generale, Regiments- und selbständigen Bataillons-Kommandeure zur Kritik um den Kaiser, der über die Parade nur Lob zu spenden hatte. Um 12^ Uhr kehrte die Kaiserin mit den Prinzessinnen, trotz des Regens im offenen Wagen, in das Schloß zurück. Eine halbe Stunde später langte der Kaiser, wieder an der Spitze der Fahnen kompagnie, im Schlosse an. — Ueber den bevorstehenden Be such Eliser Wilhelms in Rußland gehen der „Polit. Korresp." aus Petersburg nachstehende weitere Einzelheiten zu: Kaiser Wilhelm trifft in der Nacht des 17. August in Reval ein, wo er von einer Ehrenwache des 85. Infanterie-Regiments von Wyborg, dessen Ches der deutsche Monarch ist, begrüßt werden wird. Am 18. setzt der Kaiser dje Fahrt nach Narwa fort, wo ihn der Chefkommandirende der Gardetruppen und des Militärbezirkes Petersburg, Großfürst Wladimir, empfängt und wo eine zweite Ehrengarde des genannten Regiments mit Fahne und Musikkapelle an der Spitze aufgestellt sein wird. Am 18. August wird der deutsche Kaiser einer Parade des Regiments Preobraschensky und der Garde beiwohnen und erst am nächsten Tage werden die Manöver durch ein Vorrückeu der Truppen gegen Damburg beginnen, wo nach dem Ueber- gang des Westkorps, welches sich zum Angriff des Ostkorps anschickt, über den Fluß Narowa die Hauptschlacht stattfinden soll. Das letztere Korps wird mit einer Luftschifferbrigade und einem Ballon zur Ueberwachung des Feindes ausgerüstet sein. Die weiteren Truppenbewegungen werden bis zum 23. August in der Richtung des Lagers von Krasnoje-Selo, wo eine große Truppenrevue vargenommen werden soll, statt finden. Kaiser Wilhelm wird nur den einzigen Tag vom 24. August in Peterhof verbleiben, wo sein Aufenthalt durch ein großes Diner, eine Illumination des Kaiserlichen Parkes u. s. w. gefeiert werden wird, und unmittelbar darauf zur See an Bord der Dacht „Hohenzollern" abreisen. Des Weiteren wird berichtet, daß den großen Manövern auch die Militär-Attachäs der in Petersburg beglaubigten Botschaften beiwohnen werden. Ursprünglich hatte an höchster Stelle die Absicht bestanden, die fremden Militär-Attaches zu diesen Waffen-Uebungen nicht heran zu ziehen. — Die Manöverflotte, bestehend aus den Panzerschiffen „Baden", „Bayern", „Württemberg", „Oldenburg", „Kaiser", „Friedrich der Große", „Deutschland", „Preußen", Kreuzer korvette „Irene" und 2 Aviso mit der Torpedoflottille, wird nebst der Dacht „Hohenzollern" am Mittwoch wieder in Kiel eintreffen. Die vor Beginn der Kaisermanöver im September vom Kaiser abzuhaltende Paraderevue über die Flotte wird am 3. September in Kiel und nicht bei Düppel stattfinden. An der Revue betheiligt sich auch das Ende August in Kiel erwartete österreichische Uebungsgeschwader, welches auch an den kombi- nirten Land- und Seemanövern bei Düppel-Alsen als Zu schauer Theil nimmt. — Auf den offenen Brief des Hrn. Funcke an den Geh. Rath Hintzpeter hat dieser in der „Rh.-Westf. Ztg." folgende sarkastische Erwiderung erlassen: „Sehr geehrter Herr W. Funcke! Da ich seit Wochen von Hause abwesend bin, habe ich leider Ihren offenen Brief an mich noch nicht gelesen. Es ist mir aber die Nr. 212 der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung" zugekommen mit einer Blumenlese von Zeitungsartikeln über diesen Ihren Brief. Daraus habe ich denn schon zur Genüge ersehen, daß ich Ihnen für denselben zu ganz besonderem Dank verpflichtet bin, da es für einen alten Schulmeister, wie ich bin, immer eine erheiternde Abwechselung ist, wenn er sich seiner seits einmal geschulmeistert sieht; namentlich wenn dies in so feiner Weise geschieht, wie es Ihnen gelungen ist, es zu thun. Da der Zweck Ihrer Veröffentlichung offenbar ein ganz anderer war als der, eine Antwort von mir zu erhalten, so kann ich wohl annehmen, mit diesen Zeilen des Dankes allen Pflichten der Höflichkeit genügt zu haben. In vorzüglicher Hochachtung, sehr geehrter Herr W. Funcke, Ihr ganz ergebener vr. Hintz- veter. Paris, 8. VIII. 90." — Herr Bebel hat in seinem Kampfe gegen die „Sächs. Arbeiterztg.", welche sich bekanntlich gegen die „Autoritäten" auflehnte, gesiegt. In einer in Dresden abgehaltenen Versammlung führte der Abg. Bebel etwa Folgendes aus: Die Redaktion sei zwar fleißig, scharfsinnig und prinzipientreu, trotzdem schade sie mehr, als sie nütze — sie sei ein onkant terridle, das zu viel vom Wesen des Sozialismus ausplaudere und dadurch den Spießbürger stutzig mache. Außerdem be kämpfe sie die Taktik der Fraktion, und ein Verstoß gegen die Taktik sei schlimmer als ein solcher gegen das Programm. Außerdem habe die Zeitung der Fraktion Korruption vorge worfen, was ihn persönlich beleidigte. Vor Allem aber sei das Blatt in Privathänden, weshalb keine Ueberschüsse an die Parteikasse abgeliefert würden. Die brauche man aber. Auf den Einwand des Besitzers des Blattes, alle Arbeiterblätter seien doch Privateigenthum, erklärte Herr Bebel, das sei durch aus nicht der Fall; die Blätter seien Parteieigenthum und nur nominell in Privatbesitz. So das „Berliner Volksblatt", die „Arbeiterchronik" (München) und andere. Ersteres habe dieses Jahr 20,000 Mark abgeliesert. Nur wenige Redner wider sprachen Herrn Bebel, immer von lebhaftem Tumult unter brochen. Als einer derselben sagte, die Fraktion mißbrauche ihren Einfluß, sprang Herr Bebel vom Vorstandstische auf und packte den Redner. Herr Bebel schlug schließlich eine Re solution vor, die neben einem Tadel gegen die Redakteure be sagt, daß das Blatt in die Hände der Partei überzugehen habe. Diese Erklärung wurde trotz des Protestes des Besitzers, der den Parteitag zu Halle abzuwarten vorschlug, mit großer Mehrheit angenommen, worauf die Besitzer erklärten, daß sie bereit seien, die Zeitung der Partei zu übergeben. Mehrere österreichische Blätter besprechen die Rede, welche Kaiser Wilhelm auf Helgoland gehalten hat, mit Worten des Dankes und der Befriedigung, insbesondere die Stelle vom „letzten Stück deutscher Erde". Die „Neue Freie Presse" führt aus, daß namentlich die Deutsch-Oesterreicher Grund haben, für dieses Wort dankbar zu sein, gäbe es doch Leute, die ein Interesse haben, Zwietracht zwischen De utschland und Oesterreich zu säen, indem sie keine Gelegenheit versäumen, offen oder versteckt auf angebliche Annexionsabsichten Deutschlands hinzuweisen. Zumal in den letzten Jahren hätten nun die Deulsch-Oesterreicher oft schwer darunter gelitten. Nun habe Kaiser Wilhelm ohne jeg liche äußere Nöthigung jenes Wort gesprochen und so werde man es ihm glauben müssen, falls Bismarcks Wort, Deutsch land sei gesättigt, nicht genügen sollte. — Das „Fremdenblatt" meldet die Einberufung des böhmischen Landtages für Ende September. Man nimmt an — sagt das genannte Blatt —, daß sich vorher bei beiden Parteien der Wunsch oder das Bedürfniß ergeben könnte, mit einander nochmals in Be rührung zu treten und ein Einvernehmen über die Behandlung der Ausgleichsfragen anzustrebcn. Von Seiten der Negierung wird Einfluß damuf nicht genommen; ebensowenig scheint man in maßgebenden Kreisen daran zu denken, beiden Parteien neue, über den Rahmen des bisherigen Verhandlungsmaterials hinausreichende Vorlagen zu unterbreiten. Graf Taaffe soll bei Rieger zur Rettung des Ausgleichs ein Kompromiß mit den Jungczechen angeregt haben. Rieger sagte einem Bericht erstatter, nicht der Minister, sondern der Sektionschef habe die czechischen Forderungen gestürzt. — Von deutscher Seite wird Klage erhoben, daß den deutschen Beamten durch die Borschie bung der Czechen jegliches Avancement auf Jahre hinaus ver sperrt ist. In Böhmen ist kaum mehr als ein Zehntel aller Gerichtsbeamten deutsch, von 46 Beamten der Staatsanwalt schaft sind nur zwei Deutsche. Von 257 Auskultanten bekannten sich im Jahre 1890 nur 31 als Deutsche. In Folge von Denunziationen wurden ferner deutsche Beamte wegen angeb licher Verletzung der Sprachenverordnung disziplinirt, oft nur, weil es an czechischem Kanzleipersonal in den deutschen Gebieten mangelt, wo jetzt von czechischen Advokaten systematisch nurczechische Klagenüberreicht,jasogarKlagenüberfingirteForderungenerhoben werden, lediglich zu dem Zwecke, die Nothwendigkeit der Czechi- sirung sämmtlicher Gerichte Böhmens zu erweisen. — Der ungarische Handelsminister hat die Seebehörden angewiesen, diejenigen Schiffe, welche aus den spanischen Mittelmeerhäfen oder aus den zwischen Gibraltar und der portugiesischen Grenze gelegenen Häsen kommen, im Hinblick auf die in Spanien herrschende Cholera einer siebentägigen Beobachtung zu unter ziehen. Die zweite Jahresversammlung der internationalen krimina listischen Vereinigung wurde am Dienstag in Bern durch den Präsidenten des Schweizer Bundesraths Ruchonnet eröffnet, welcher auch zum Präsidenten der Versammlung gewählt wurde. Aus Deutschland sind 15 Vertreter anwesend, aus Frankreich und Rußland je 3, aus Oesterreich und den Niederlanden je2, aus Ungarn, Belgien, Portugal und den Vereinigten Staaten je ein Vertreter; aus der Schweiz nehmen 22 Mitglieder der Vereinigung Theil. Die Diskussion erstreckte sich auf folgende Fragen: 1) Wie ist der Begriff der unverbesserlichen Gewohn heitsverbrecher im Gesetz zu bestimmen, und welche Maßregeln sind gegen diese Verbrechergruppe zu empfehlen? 2) Ist Zwangsarbeit ohne Einsperrung geeignet, für gewisse Fälle an Stelle kurzzeitiger Freiheitsstrafen zu treten? Französische Blätter wärmen, um die Bedeutung der Reise des deutschen Kaisers nach Rußland abzuschwächen, das Gerücht wieder auf, daß der russische Thronfolger bei der Rück kehr von seiner Reise um die Welt mit einem russischen Ge schwader nach Cherbourg kommen werde, woselbst ihm ein glän zender Empfang bereitet werde. — Alle Blätter veröffentlichen den Text des englisch - französischen Abkommens. Die ministeriellen Zeitungen betrachten dieses Uebereinkommen als den Wiedereintritt Frankreichs in die große europäische Politik. Die Oppositionsblätter sind der Ansicht, daß es sich hierbei einfach um eine Ueberlistung handle.. Der portugiesische Marinelieutenant Azevedo Coutinho, welcher im Schire-Gebiet (Südwest-Asrika) den Engländern auf eigene Faust den Krieg erklärt hat, dürste der portugiesischen Regierung noch empfindliche Schwierigkeiten bereiten. Der Gouverneur von Mosambik, welcher von Quilimane aus mit zwei portugiesischen Flußdampfern den Zambesi und den Schire- fluß hinauffahren soll, um den ungehorsamen Offizier einzu fangen, hat seiner Negierung mitgetheilt, daß in den beiden Hauptstädten der Kolonie große Volkskundgebungen für Coutinho veranstaltet wurden; auch habe man ein Manifest verbreitet, welches die Drohung enthielt, die Kolonie werde sich von Por- Eine Reise-Erinnerung. Von Ttegmund Bergmann. Es war in den schönen Bergen des Bayerlandes. Die Jeenschlösser des unglücklichen Königs zu sehen, hatte ich mich der bummelnden Gemüthlichkeit der Sckundärbahn Bießen- Hofen-Füßen anvertraut, die mich auch nach einigen ungezählten Aufenthalten aus Ziel brachte. Füßen, das alte Städtchen, bot nicht viel Abwechslung; nach Einnahme des frugalen Abend essens frug ich die dienstfertige Hebe, wo ich noch hin könne. Das schmucke Bayernkind pries mir den „Kalvarienberg" an und da mir die Gesellschaft des einzigen Gastes im Hotel „Zum Mohren" nicht viel Unterhaltung versprach, schlenderte ich hin aus in die laue Abendluft. Gleich hinter der Stadt steigt der Weg bergan, an den Stationen vorüber. Betende und Andächtige kmeten bei den Bildern, erstere leise murmelnd, die letzteren in dem stummen Anblick der keineswegs meisterhaft gemalten Bilder versunken. Nach kurzer Wanderung war der Gipfel erstiegen, den drei aus einer im Felsen befindlichen Kapelle aufgerichtete Kreuze schmücken. Vor mir lag Füßen und dahinter die blauen Berge, umwoben vom Abensonnenschein. Und dann wandte sich mein Blick der anderen Seite zu. Mir zu Füßen lag eine üppig grüne Flur, umsäumt von dunklen Tanncnforsten; inmitten drinnen glänzte der Helle Spiegel eines kleinen Sees und dahinter gleich sah aus den Baumspitzen Schloß Hohenschwangau hervor. Weiter oben aber, an steiler Felswand, ragte mit spitzen Thürmen und Zinnen gespensterhaft das Felsenschloß Neuschwanstein empor. Der scheidende Sonnenstrahl küßte noch einmal die Helle Fläche des Schwansees, vergoldete noch minutenlang die hochragenden Blätterkronen der einzelnen Buchen, dann senkte sich des Abends Schatten herab auf die prächtige Landschaft. In idyl lischer Ruhe lag der See, geisterhaft grüßten des Schlosses graue Mauern herüber. Es war ein prächtiges Stückchen Gotteswelt, das vor mir lag, es entlockte mir einen lauten Ausruf der Bewunderung. „Ein herrliches Bild!" rief ich entzückt vor mich hin und war nicht wenig erstaunt, gleich darauf eine ähnliche Aeuße- rung zu vernehmen. Auf der Bank, die an der Felswand stand, saß eine junge Dame. Ein grauer Reiseanzug verhüllte elegante Formen, die blonden Haare lagen schlicht gescheitelt auf dem hübschen Kopfe, ein paar schwärmerische Augen schauten sinnend hinab in die märchenhaft schöne Landschaft. Meine Entschuldigung, daß ich erst jetzt ihre Anwesenheit bemerkte, wurde von der Dame mit stummem Kopfnicken ent- gcgengenommen. Dann wandte sie sich zu mir. „Glauben Sie, daß König Ludwig" — sie hielt inne und schwieg. Ich verstand. „Sie meinen, ob ich daran glaube, daß König Ludwig geisteskrank war? Nun, nach dem Vorgefallenen muß man das allerdings glauben." „O nein," fiel sie lebhaft ein, „nein, nein, gehen Sie nur hinauf in das prächtige Schloß, sehen Sie die Herrlichkeiten, die auserlesener Geschmack und poetischer Kunstsinn dort an gehäuft und Sie werden sagen: das kann kein Wahnsinniger geschaffen haben!" — Sie schwieg eine Weile und fuhr dann sinnend fort: „Nein, wahnsinnig war er nicht, aber unglück lich, sehr unglücklich!" Ich sah das junge Mädchen erstaunt an. Es mochte wohl zwanzig Jahre zählen, und doch lag in dem blassen Gesicht eine Spur großen Leids und schwermüthigen Ernstes. Sollte sie bereits Ihre Ansprache weckte mich aus meinen Be trachtungen. „Wie spät ist es, mein Herr?" frug sie. „Acht Uhr 25 Minuten, mein Fräulein." „Ich danke! Wenn Sie morgen das Schloß besuchen, werden Sie an meinen Ausspruch denken." Sie nickte mit dem Kopfe und wollte gehen. Ich beschloß etwas zu wagen, denn mich reizte das Geheimnißvolle, das in ihrem Wesen lag. „Möchten Sie nicht noch eine kurze Zeit verweilen, mein Fräulein? In Füßen können Sie ja doch nichts anfangen." — Sie lächelte fein. „Und was fange ich hier an?" „Ei nun," antwortete ich rasch, „wir betrachten die Natur und schwärmen." „Schwärmen?" seufzte sie träumerisch, indem sie hinaus sah in die Landschaft, „man verlernt das Schwärmen rasch in dieser Welt voll Egoismus und Schein." „Sie scheinen trotz Ihrer Jugend bittere Erfahrungen ge macht zu haben?" „Als sb die Jugend schützte vor bitteren Erfahrungen! Im Gcgentheil, gerade ihr sind die meisten, bittersten auf bewahrt." „Ei, ei," scherzte ich, „so schlimm wird's wohl nicht sein; höchstens eine unglückliche Liebe und daran sterben unsere Damen von heute nicht." Sie sah mich groß an. „Meinen Sie?" fragte sie langsam. „Ihr Männer bildet Euch freilich ein, nur Euch wäre tiefe Empfindung und eine starke Seele eigen, deshalb auch wahrscheinlich spielt Ihr nach Gutdünken mit Frauenherzcn, natürlich, das empfindet ja nicht; Spielzeug, das man in den Winkel wirft, wenn es zer brochen ist!" Sie sprach das bitter, sarkastisch und das reizte mich. Ent weder ich hatte einen überspannten Pensionatszögling vor mir, oder ein tiefnnglückliches Wesen. Ich beschloß, es erfahren zu wollen; weiß ich doch, daß der Fremde auf der Landstraße ost mehr erfährt, als der beste Freund. „Solche Anklagen per Bausch und Bogen, mein Fräulein, sind entweder ein Ausfluß verbitterten Gemüthes oder einge nommener Frauen-Leltüre; ich zweifle, daß ich in Ihnen eine Unglückliche vor mir habe." „Und warum zweifeln Sie daran?" fragte sie rasch. „Weil Sie dazu viel zu jung und — zu hübsch sind." Ich hatte das nicht ohne Stocken hcrausgesagt, die junge Dame hatte etwas in ihrem Wesen, das mir imponirte. Deshalb setzte ich auch hinzu, als ich ihr Erröthen merkte: „ich spreche das frei heraus, weil ich von der Ansicht ausgehe, daß Un glückliche anders aussehen müssen." Sie wandte den Blick von mir ab und sah träumerisch hinaus zu den grauen Wänden des Schlosses. „Als ob sich jedes Leid imAeußern spiegeln müßte," sagte sie wie traumumfangen vor sich hin, „der unglückliche König, der sein Wähnen ungestillt verbarg in seiner Brust, er trug seinen Schmerz auch nicht auf dem Antlitze zur Schau und der kleine blaue See da unten zeigt nichts von dem Leid, das sich abgespielt hat an den Tagen, da ein Unglücklicher in ihm seine Ruhe suchte und fand." „Haben Sie fchou so schweren Verlust erlitten?" forschte ich theilnehmcnd. Sie achtete kaum auf meine Frage, als sie leise fortfuhr: „Auch er glaubte nicht, daß ein Frauenherz stark und heiß empfinden könne, er spielte mit mir und lachte, wenn ich ihn zu verlassen drohte, weil ich sein tändelndes Scherzen mit heiligen Gefühlen nicht leiden mochte. Aber er liebte dochtreu und wahr; ich konnte es nicht glauben, weil er es zu oft be- theuert hatte und doch war es so. Ich habe es freilich erst erfahren, als man den Leichnam aus dem stillen See zog und mir seinen Brief überbrachte; zu spät, aber doch!" „Und wie ist das so plötzlich gekommen?" fragte ich leise und innig; es war mir fo seltsam zu Muthe, als ich in das bleiche Gesichtchen sah. „Weiß ich's?" kam es traurig von ihren Lippen, „der Flieder blühte und der goldene Maiensonnenschein lag auf der Gotteswelt. Er lag auch auf seinem Herzen und das war er füllt von seinem Glanze und frohlockte und jauchzte. Ich aber dachte, daß die Liebe nur eine Gestalt haben könne, die des frohsinnigen Ernstes und deshalb ärgerte mich sein Wesen und ich verbannte ihn. Er betheuerte wohl, daß er nicht leben könne ohne mich, er bat und flehte, ich blieb hart. Da zog er fort in die Berge, um, wie er mir in seinem Abschiedsbrief fagte, den stillen Seen sein Leid zu klagen und dann kam der fchreckliche Brief." Das junge Mädchen preßte die Hände an die Augen. „Pfingstglocken läuteten seinen Tod ein, duftenden Flieder legte ich auf seinen Sarg und dann wanderte ich hinaus in die blauen Berge, um sein kaltes Grab zu sehen. Und so wanderte ich schon zweimal her und werde noch oft hierher wandern, bis ich einstmals die Schuld sühnen kann —" Es war stille um uns. Der Schatten der Nacht stieg hin auf ani blauen Himmel und färbte die glatte Fläche des Sees immer dunkler. Die grauen Schloßwände ragten schroff am Fels empor, als wollten sie zeigen, daß sie Allem trotzen, was um sie her geschieht. Sie hat Recht, dachte ich, nicht im Aeußern spiegelt sich des Lebens Ernst; die schwersten Wunden zeigen keine klaffenden Lücken. — Dann stieg ich langsam hinab in die prächtige Landschaft, das junge Menschenkind droben seinem Schmerze überlassend. Denn es gibt schweres Leid, das der Trost nicht zu lindern vermag.
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