Suche löschen...
Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 12.02.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189802126
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18980212
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18980212
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungFreiberger Anzeiger und Tageblatt
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-12
- Monat1898-02
- Jahr1898
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 12.02.1898
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
»5. ffrelb-rger «nz-iger «nd Tageblatt. Sette 2. — 12. Februar. Paris, 10. Februar. In den WandelgängendeS Justizpalastes ist eine große Menschenmenge anwesend. Zola wurde bei seinem Eintreffen mit einigen Rusen begrüßt. Der Gerichissaal ist dicht gefüllt. Die Sitzung wird um 12 Uhr 10 Minuten eröffnet. Der Gerichtshof lehnt die Schlußfolgerungen der Vertheidigung ab, in denen die Vorlegung der Schriftstücke bezüglich Oberst Picquart, des Prozesses DreysuS, sowie des Prozesses Esterhazy verlangt wird. Ter Präsident verliest ein Schreiben des Generals Boisdessre, in welchem derselbe ersucht, daß Oberst Henry, dessen Gesundheitszustand ein bellagensweriher sei, heute vernommen werde. Die Vertheidiger erklären, auf die Vernehmung der Frau DreysuS, die leidend sei, verzichten zu wollen. Der erste Zeuge ist der Senator Trarieux. Labori fragt, woher der Zeuge von der Vorlegung deS geheimen Dokuments Kenntniß erhalten habe. Trarieux erklärt diese Kenntniß nicht als Justizminister, sondern durch private Mittheilungen erlangt zu haben. Labori bittet den Zeugen, zu sagen, ob er als Justizniinistrr den Besuch des Ad vokaten Demange erhalten habe. Präsident: Bezieht sich die Frage aus die Affäre DreysuS? Labori: Sie bezieht sich auf ein gewisses Faktum, von dem gestern die Rede war, das geheime Schriftstück. Präsident: Ich untersage die Frage. Labori: Ich konstatire, daß General Mercier gestern hier hat Erklärungen über die Affäre DreysuS abgcben dürfen. Daraus geht hervor, daß man alles erlaubt, waSunS schadet, alles verhindert, was unS nützt. Aus Betragen ZolaS giebt Trarieux Ausllärungen über die zur Revision offenstehenden juristischen Wege, um zu zeigen, daß Scheurer-Kestner korrekt ge handelt habe. Der nächste Zeuge ist der Kommandant Farzinetti, der frühere Direktor desMilitärgesSngnjssesCherck)e-Midl. Labori will ihm die Frage vorlegen, ob Drrysns je ein Gesiändniß ab gelegt habe. Der Präsident erklärt lebhaft, er könne nicht zugeben, daß diese Frage gestellt werde. (Bewegung). Labori: Dann verzichte ich auf die Vernehmung derjenigen Zeugen, an die ich nurdieselbe Frage richten könnte, darunter den Kapitän Lebrun-Nenauld. Ter Gerichts hof nimmt Alt von diesem Verzicht. Hieraus wird der GerichtSarzt Socquet ausgerusen. Clemenceau fragt diesen, ob er bei dem gestrigen Besuche bei Frau Boulancy diese gefragt habe, ob sie noch Briese Esterhazys habe. Der Zeuge verneint dies, ebenso die folgende Frage: Hat sie Ihnen nicht gesagt, ich habe noch Briese Esterhazys, diese sind viel erheblicher, als die veröffentlichten? Weiter fragt Clemenceau: Wurde der Name Esterhazy genannt? Socquet: Ja! Clemenceau: Welche Worte fielen hierbei? Socquet: Sie sagte, sie habe sich bei dem Staatsanwalt betreffs deS in den Blättern veröffentlichten BrieseS beklagt und hinzugesügt, sie habe eine Untersuchung gegen die Person beantragt, welche Mißbrauch da mit trieb. Alle Briese rührten von Esterhazy her. Clemenceau unterbricht den Zeugen mit den Worten: Alle Briefe! Behalten Sir das wohl, meine Herren Geschworenen! Der nächste Zeuge ist du Paly de Clam. Derselbe erklärt: Ich werde nur das sagen, waS nicht AmtSgeheimniß ist; eS berührt mich aber schmerzlich, daß mau hier mem Privatleben heute in die Ver handlung zieht. Ungeachtet der Angriffe, deren Gegenstand ich war, habe ich die Amtung meiner Vorgesetzten, das genügt mir. Ich bin entrüstet, daß man von einer jungen Dome sprach, die mit dem Prozesse nichts zu thun hat. Labori unterbricht den Zeugen mit den Worten: Diese junge Dame ist 55 Jahre all, eS ist uns nicht eingefallen, sie zu kränken. Um mich mit den, Beschlusse des Gerichtshoses in Einklang zu setzen, verzichte ich daraus, an den Zeugen etwa ein Dutzend Fragen zu richten; ich beschränke mich aus die nachstehenden Fragen: Haben Sie den Vater der Comminars gekannt? du Paty: Ja! Labori: Haben Sie Privatbriefe, die an einige Mitglieder dieser Familie ge schrieben worden sind? du Paty: Ich werde diese Frage nicht beantworten, das wäre eine Verletzung des Privatgeheimnisses. Labori: Wenn man sich nicht mehr hinter das Staatsgeheimniß oder das AmtSgeheimniß verschanzen kann, beruft man sich aus das Privatgeheimniß. Uiuer diesen Umständen habe ich den Zeugen nichts mehr zu fragen. Labori verzichtet ebenfalls aus Fragen an den Kapitän CommingeS, der sich daraus sosort zurück- »ieht. Sodann wird Oberst Hcnry ausgerusen. (Lebhafte Bewegung.) Labori fragt diesen, was an der in dem Ravaryjchcn Bericht enthaltenen Thatjache, betreffend die Oessnung des SchrankeS mit den geheimen Schriftstücken durch Picquart, Wahres sei. Henry antwortet: Ich war nicht anwesend, als das Aktenbündel von Picquart herausgenommen wurde. Er ver langte es von dem Archivar Grövelin, der eS ihm verabfolgte. Präsident: War Grövelin ein Untergebener Picquarts? Henry: Gewiß! Labori: Waren Sie ebenfalls ein Untergebener Picquarts? Henry: Jawohl! Ich war damals Major, Picquart Oberstlieutenont. Labori: Er war also Ihr Dienst- Oberer? Henry: Gewiß! Aber Oberst Sandherr hatte mir, indem er mir daS Aktcnbündel onvertraute, das Versprechen ab- grnommen, eS nur in seiner oder deS Ministers Gegenwart zu öffnen. Labori: Wer war diejenige Person in diesem Dienste, die direkt unter den Befehlen des Generals Gonse stand? Henry: Ich! Labori: DaS genügt mir. Hieraus wird General Gonse wieder ausgerusen. Derselbe macht dem Obersten Picquart den Vorwurf, Briefe, welche er ihm im Dienste geschrieben, mißbraucht zu haben, und erklärt, der Nachrichtendienst sei ein geheimer und so eigentümlicher, daß Niemand in der Welt ihn kennen darf außer dem Ches deS Generalstabes und dem Kriegsminister, die allein die Aktenstücke dieses Dienstes kennen dürfen und kennen müssen. Sandherr ist todt; der Dienst ist aufreibend, und, wenn man damit betraut wird, muß man alle Bürgschaften des Ge heimnisses und der Diskretion beobachten, die er verlangt. Labori fragt sodann Henry: Hatten Sie die Gewohnheit, Namenszeichen unter die geheimen Aktenstücke zu setzen? Henry: Nein! Im weiteren Verlause des Verhörs antwortet Henry aus die von Labori gestellte Frage, er habe niemals in seinem Kabinett mit Leblo»S zu lonseriren gehabt. Leblois, welcher hervorgerufen wird, versichert das Gegentheil. DaS ist ein Jrrthum! ruft Henry. (Bewegung.) Was? entgegnet LebloiS, vor dem Kriegsgericht haben Sie eS doch zugegeben. (Sensation.) Henry erwidert: Sie irren sich ganz bestimmt! Leblois: Man kann ja die Mitglieder des Kriegsgerichtes ver- hörcn. Der Präsident fragt den Zeugen: Kam LebloiS nicht mehrmals in Ihr Kabinett? Henry: Niemals! es war Picquarts Kabinett, wohin Leblois ging. Leblois hält jedoch seine Behanp- tung aufrecht und giebt eine Beschreibung des Kabinetts Henrys; Letzterer bestreitet dies entschieden. LebloiS: Sie gaben es doch vor dem Kriegsgericht zu, vor 20 Personen! Leblois giebt dann genau an, daß eine Besprechung zwischen ihm und Henry statt- sand, die sich aus die in Nancy spielende Spwnageangelegenheit bezog und spricht daher von dem Nancyer Oberst, welcher mit der Untersuchung darüber beschäftigt war. Henry erwidert: Es war Picquart, mit dem Sie die Alten durchgingen. Zola rnft dazwischen: Was war das für ein Aktenbündel, das sich in Picquarts Bureau befand? Zeuge: Ein gel>eimes Allenbündel! Zola: Die Alten der DreyfuS-Angelegenheit? Zeuge: Oh! Verzeihung, die wurden 1895 versiegelt. LebloiS stellt hierauf den Antrag, daß Henry, trotz seines Gesundheitszustandes, gehalten sein solle, wenn nöthig, wiederum zur Vernehmung zu erscheinen. Hierauf wurde die Sitzung unterbrochen. Politische Umschau. Freiberg, den 11. Februar. Deutschland. Ueber Herrn v. Bülow schreibt die „Köln. Z": Die beiden gestrigen Reichstagsrcben deS Staatssekretärs des Aus wärtigen Amts, Staatsuunislers v. Bülow, stehen im Vordergründe des Interesses. Herr v. Bülow hat das beneidenswerthe Glück, vom ersten Tage seines Aujtretens im Reichstage an sich das Vertrauen der übenviegendcn Mehrheit des deutschen Reichstages erworben zu haben; dieses Vertrauen hat er durch sehr gewandte und bereitwillige Auskunft über olle schwebenden Fragen der auswärtige» Politik in der Budgetkommis,ion außerordentlich be festigt, und seine beiden gestrigen Reden haben wesentlich dazu beigetragen, ihn aus eine überraschende Höhe parlamentarischer Erfolge emporzuheben. Schon seine gestrige erste Nebe, in der er in überaus klarer und übersichtlicher Weise das deutsche Vor gehen in China und die dortigen Ersvlge darlegte, trug ihm eine ebenso warme wie uneingeschränkte Liebeserklärung seitens des Centrumssührers vr. Lieber ein; dieser Ersolg aber wurde noch übertroffen, als er kurz vor Thoresschiuß, für die Mehrzahl der Zuhörer ganz unerwartet, nochmals daS Wort ergriff, um eines Anregung deS deutschsreisinni >en vr. Barth folgend in eingehender nnd nachdrücklicher Weise die deutsche Politik gegenüber den Wirren auf Kreta und gegenüber Griechenland zu schildern. Für diejenigen, die sorgfältig die verschiedenen Stadien der Entwicklung der Dinge im europäischen Südosten verfolgt haben, hat er schwer lich etwas Neues gesagt, denn die deutsche Politik ist von Anfang an klar, durchsichtig und stetig gewesen; aber die frische, geistvolle, bilderreiche und wir möchten sagen harmonische Art, wie er diese Politik zusammenfaßte, war so fesselnd, so anregend, daß sie die Aufmerksamkeit des HauseS bis aufS Aeußerste anspannte. Der Reichstag setzte gestern bei sehr schwachem Besuche die erste Berathung deS Antrages Auer und Genossen betr. das Vcr» sammlungs- und Koalitionsrecht und Aufhebung sämmtlicher Be schränkungen fort. Aba. Pachnicke führt auS, die in Aussicht ge stellte reichsgesetzliche Regelung des BereinsrechteS bilde schon nichts mehr als ein Schaustück auS dem Glasschrank der Ver fassung. In Sachsen sei man offenbar der Ansicht, was man nicht durch die Keule deS Sozialistengesetzes habe todlschlagea können, nun durch die Nadelstiche des Vereins- und Versammlungs rechtes zu tobten. Am schlimmsten sei es in Mecklenburg, woAUe- von ministeriellen Genehmigungen abhänge, wodurch auch die Be-. einträchtigung deS Wahlrechts hcrbeigefüyrt werde. Mit dem §8 deS preußischen VereinsgesctzeS müsse bald ein Ende gemacht wer den. Zuwiderhandlungen fänden bei allen politischen Parteien statt, anch bei der konservativen. Die Theilnahme der Frauen an Vereinen und Versammlungen müsse erlaubt werden. Durch ein Kammergerichtserkenntniß sei neuerdings den OberprSsidenlen eine große Macht zur Beschränkung des Vereinsrechts emgeräumt. Das lause direkt der Verfassung zuwider. Redner schildert, welche Willkürlichkeiten von den Amtsvorstehern gegen das Versammluugs- recht begangen würden. DaS sei die reine Paschawirthschasi. Die Leute fühlten sich als Partei und nicht als Behörde. (Zustim mung links.) Besonders chikanirt würde der Verein „Nordost", dem wesentlich Bauern angehören. Konservative Vereine würden natürlich anders behandelt. Der Antrag habe wenig Aussicht aus Annahme seitens der Regierungen; um so günstiger müsse sei» Schicksal im Reichstage sein, da ihm ja auch das Centrum zu« stimmen müsse. Abg. Stolle (Soz.) wendet sich gegen die iw Sachsen vorgenommene Abänderung des Wahlrechts, wobei die Nationalliberalen denUltra-KonservativenHandlangerdienste leisten In Sachsen werde es den Arbeitern unmöglich gemacht, mit Hilst der Koalitionsfreiheit bessere Lohnbedingungen ru erlangen, während man doch durch ein entgegengesetztes Verfahren manche- Unrecht verhüten könne. Redner führt eine Reihe von Vor kommnissen in Sachsen an, so in Glauchau, Zwickau u. s. w, wo gegen das VercinSrecht von den Behörden grobe Verstöße begangen seien. Jetzt sei ja in Sachsen die Novelle »um Vereinsgesetz eingebracht, aber diese stände weit hinter dem zurück, was schon die Vorlage von 1870 enthielt. Der iächsische Minister des Innern habe eine Ministerialversügung er lassen, die den liebergriffen untergeordneter Organe entgegentreten sollte, aber dieselbe habe keinen Erfolg ' gehabt. Abg. Nösicke (wild) führt aus, in der sozialdemokratischen Presse werde immer Freiherr von Stumm als Typus der Arbeitgeber hingestellt. Aber auch unter den Arbeitgebern seien viele, die eine Verstärkung des Koalitionsrechtes der Arbeiter befürworten und darin keinen Widerspruch mit ihren eigenen Interessen finden. Der Antrag Auer sei jedoch im Einzelnen zu weitgehend. Pachnicke habe mit Recht ausgesührt, wie wichtig eS für die Arbeiter sei, daß die Vereine unter einander in Verbindung treten können. Wollte man daS jetzt bestehende Verbot strikte durchführen, so wäieu Organisationen, wie die Hirsch-Dunckerschen Vereine und dergleichen, gar nicht möglich. Am schlimmsten haben aber unter den jetzigen Bestimmungen die Frauen zu leiden, das habe sich ja deutlich gezeigt bei dem vorjährigen Streib der Konsektions-Arbeitermnen. Abg. Zubeil (Soz.) führt aus, Rösicke sei unter den Arbeitgebern ein weißer Rabe. Redner wendet sich dann gegen v. Stumm und betont, daß die angeblichen Ausschreitungen der Arbeiter bei den Streiks erheblich abgenommen haben, dagegen sei der Prozent satz der bestraften Studenten, die wegen Körperverletzung und Haussr edensbruchs bestraft wurden, bedeutend, und diese Studenten Der Majoratshrn. Roman von Nataly von Eschstruth. (77. Fortsetzung.) «Nachdruck verboten). Pia hat nie Werth auf Geld und Gut gelegt; ihr zartfühlen der Sinn erachtet den Reichthum als Feind wahrer Liebe. Wie jsoll sich dieselbe bethätigen, wie soll sie sich in ihrer ganzen Größe und Stärke zeigen, wenn sie es nicht durch Opsermuth beweisen kann? — Ach, daß Wulff-Dietrich der ärmste Mann unter der Sonne wäre! Daß er doch der titel- und mittellose Assessor Hellmuth geblieben wäre, auf daß sie ihm zeigen könnte, wie sehr sie ihn »liebt! O glückselige Margaretha! Wie die von ihrem Jung' Werner sagen konnte: „Er ist nur ein Trompeter, und doch bin ich ihm gut!" Ja, dadurchallein ist er zum glückseligsten Mann im römischen Reich geworden, durch die Ueberzeugung: Sie liebt Dich um Deiner selbst willen! — Wie gern würde sie eine solche Glückseligkeit auch Wulff-Diet rich bereiten I Aber die unerbittlichen Schicksalsmächte haben es anders beschlossen. An sich selber und ihren Stolz denkt sie nicht mehr. — Fränz- chens schlichte Worte haben einen wunderbar tiefen Eindruck aus sie gemacht! — Was ist ihr armseliges Ich gegen das älteste Ge schlecht des Landes, dessen Traditionen zu ehrwürdig und heilig sind, um an einer Mädchenlaune zu Grunde gehen zu dürfen! Daß es ihr fern gelegen, aus dem Glückszufall, welcher ihr die sechzehn Ahnen beschicken, Kapital zu schlagen und dieGrafen- krone für sich daraus zu schmieden, das weiß Wulff-Dietrich! Sie vergiebt sich nichts mehr und schädigt ihre Würde nicht, wenn sie nun, wo die Existenz der Grafen Niedeck einzig noch von ihr ab hängt, die Hand zur Versöhnung bietet. Sie muß es thun, denn Wulss-Tietrich kann als Ehrenmann nicht wieder um sie werben, so lange er der Majoratserbe dieses Schlosses ist. Sie liebt ihn! Und die Liebe hat über Stolz, Trotz und Vorurtheil gesiegt! Der bedeutungsschwere Tag, welcher so viele Herzen schneller schlagen machte, ist angebrochen. Ein klarer, heißer Sommertag; die Bäume stehen regungslos, die Rosen duften schwül und die Vöglein verstummen >m Walde. Man nimmt das erste Frühstück IN der Waffenhalle, unter deren hoher, säulengetragener Wölbung nichts von Hitze zu merken ist. DaS Gespräch ist viel lebhafter wie sonst und dreht sich h uptsächlich um die Ankunft der Gäste; Fränzchen zeigt sich von ihrer übermüthigsten Seite und scheint sich vor Ungeduld zu verzehren. Aber ihre Sehnsucht gilt nicht Wolff-Dietrich. Im Geoen- tbeil. sie bat Morgens bei der ersten Begrüßung die Hände PiaS ersaßt und ihr tief und forschend in die Augen geblickt: „Freust Lu Dich auf ihn?" Hut sie geflüstert. Das junge Mädchen athmet tief auf und ihre strahlenden Augen geben Antwort. Fränzchen nickt aufgeregt und drückt die schlanken Finger noch heftiger. „Ihr sollt Euch beide nicht in meiner Freundschaft täuschen! ich habe eS mir zugeschworen!" — murmelt sie, und dann reißt sie sich los, um Fräulein Aurelchen einen extra dazu eingefangene» Frosch meuchlings in die Halskrause zu stecken, daß „der Kalte, Nasse" dem zeterschreienden Dämchen längelang den Rücken hinabzappelt. Aurelchen krümmt sich wie ein Fidelbogen, und die junge Gräfin will sterben vor Lachen. Und diese Ausgelassenheit dauert während deS ganzen Früh stücks an, nur der etivas schweigsame Gert wird voll zarter Auf merksamkeit behandelt, ja, trotz des verweisenden Blicks der Mania hält sie ihm ein paarmal die Hand zum Kusse hin und sieht den sehr überraschten jungen Offizier dabei so süß und holdselig an, daß Gert wohl oder übel küssen muß. — Friedrich tritt ein und überreicht auf silbernem Tablett die Briefschaften. Gras Willibald liebt eS, sie noch am Kaffeetisch durch zusehen. — Während er den einzigen Brief, welcher sich diesmal zwischen den Zeitungen befindet, öffnet, unterhält sich die kleine Tafelrunde lebhaft weiter. Plötzlich dröhnt ein Schlag aus den Tisch, daß d,e Tassen klirren: „Fränzchen!" schreit der Graf auf, „Fränz chen!" und zum zweiten Male schlägt er, in höchster Aufregung alle Etikette vergessend, aus den Tisch. Das Backfischchen hat dem lieben Vetter Gert just die Taffe bis an den Rand voll Zuckerstückchcn gelegt, dieweil der zerstreute Lieutenant gedankenverloren die Waffen an den Wänden anstnrrt und cs nicht einmal bemerkt, daß die Cousine mit ihm kokettcren will. Sie fährt ganz erschrocken auf und starrt den Vater an: „Bumm — fängst Du Fliegen, Papa?" — Graf Willibald starrt ans den Bries in seiner Hand und aller Augen richten sich aus sein Gesicht. Gottlob, er sieht zwar sehr überrascht, aber ganz verklärt vor Freude aus. „Kinder . . . eine lleberraschnng!" stößt er hervor. „Raus mit der wilden Katz!!" „Bitte, theile doch mit!" „Ein Brief von meinem Rechtsanwalt auS der Residenz! Weil er glaubt, daß jeder Niedeck sich für sechszehn Ahnen interessirt, theUt er mir Folgendes mit! Der Lieutenant von Runow, welcher vor 25 Jahren den Abschied nahm, um be sonderer Verhältnisse willen in spanische Dienste zu treten, ist seit drei Tagen nach seiner alten Heimath zurückgekehrt. von Runow vermählte sich mit der Gräfin Pasqual y Martinez, eine dem spanischen Hose verwandte Dame, Tochter des Herzogs von O. — Dieser Ehe sind sieben Kinder entsprossen, sechs Töchter und ein Sohn, die älteste Tochter ist an einen spansschen Granden vermählt, die fünf jüngeren, im Alter von siebzehn bis sechs Jahren, begleiten die Eltern, welche in unserer Residenz dauernden Aufenthalt nehmen wollen. Die jungen Mädchen, resp. Kinder sollen hervorragende Schönheiten sein, und besitzen nebst sonstigen guten Eigenschaften den außerordentlichen Vorzug — sechzehn Ahnen — oder darüber! — ausweisen zu können. Herrn Gras Wulff-Dietrich ist die Nachricht auch bereits zugegaugen, und wird ihn hoffentlich mit großer Genugthuung erfüllen! Fränzchen, mein liebes Fränzeken, — WaS sagst Du nun?!" — Der Graf breitete die Arme weit aus und die Kleine flog stürmisch mit einem ohrzerreißenden Juchzer hinein! Tante Johanna sah ganz echausfirt auS vor Freude und umarmte ihr Töchterchen ebenfalls sehr erregt, und Nördlingens wechselten verständnißlose Blicke und konnten sich die Erregung nicht recht deuten! was ging sie die Familie von Runow an!? Frau von Nördlingens Gesicht aber leuchtete plötzlich in jähem Verstehen auf: „Durch das Erscheinen dieser Nunowschen Töchter ward Fränzchen frei von dem moralischen Zwang, Wulsf-Dietrich heirathen zu müssen, und konnte nun nach ihrem Herzen wählen — Gert! — In der allgemeinen Aufregung hatte Niemand auf Pia ge achtet. Leichenblaß, regungslos saß sie in der kleinen Runde und preßte die zitternden Lippen zusammen, als wolle sie einem Schmerzensschrei wehren, welcher sich ihrer Brust entringen wollte. Leise, wankend erhob sie sich und verließ die Halle, droben aber in ihrem Zimmer brach sie mit dumpfem Wehelaut auf die Kme nieder und drückte das Antlitz in die Hände. Nun war alles vorbei, — alles. — Nun ist sie überflüssig geworden, — nun bedarf die Familie Niedeck ihrer nicht mehr, — nun wird Wulff-Dietrich eine andere freien, welche ihn nicht bis in den Tod gekränkt hat, wie sie! — Nnn ist alles vorbei, und Pia kann nie und nimmer gut machen, was sie an dem Geliebten gefehlt! Die Sonne verdunkelt sich, Wetterwolken steigen schwarz und drohend auf und der Wind fährt rauschend durch die Bäume, — just wie damals, als sie voll frevelnden Leichtsinns, voll sünd hafter Heftigkeit ihr Glück in Trümmer schlug. — Ein leiseS fernes Donnergrollen Pia hört eS nicht, wie eine Sterbende kniet sie vor dem Diwan und preßt die Augen auf den verblaßten Atlas. Sie hat keine Hoffnung mehr und keine Thränen. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder