„Die Katze" sah sich erst einmal um. Es war kalt hier oben, es zog. Ach, da liefen kleine graue Tiere. Sie lief ihnen sofort nach, um mit ihnen zu spielen. Sic liessen sich aber nicht fangen. Das war der erste Tag. „Die Katze" bekam Hunger. Es kam aber niemand, um ihr Nahrung zu bringen. Sie war ja auf dem Mäuseboden, und Katzen sind eben nur auf der Welt, um Mäuse zu fangen, so eine Art billige lebende Mausefalle. Der zweite Tag kam. „Die Katze" wußte nun, was Hunger heißt. Jetzt wollte sie die kleinen grauen Tiere fangen, nicht um mit ihnen zu spielen, sondern um sie zu fressen. Sie rannte vergeblich. Am dritten Tage endlich gelang es ihr. Als die Maus verzehrt war, bekam „die Katze" einen brennenden Durst. Aber es kam niemand, um ihr zu trinken zu bringen. Da wußte „die Katze", waö Durst ist. Sie begann abzumagern. Sie schrie. Zitternd lag sie in einer Ecke und stöhnte. Die Frau, der sie auf Gnade und Ungnade verfallen war, zahlte eine Etage tiefer gerade an einen Boten einen Wohltätigkeitsbetrag und lobte laut ihre uneigennützige Mitarbeit in sechs Vereinen. Am achten Tag wußte „die Katze", was Sterben war. Erlöst streckten sich die matten Glieder, der letzte Seufzer einer gequälten Kreatur flog zum Himmel und wurde dort ausgezeichnet im großen Schuldbuch einer irrenden Seele. — „Die Mäuse treiben so ihr Wesen," murrte Herr Eck, „man kann gar nicht schlafen." „Ich begreife es auch nicht," stimmte dieses Mal seltsamerweise seine Frau zu, „dabei ist die Katze oben schon acht Tage eingesperrt. Ich habe es immer gesagt, die Katzen von Wöhles taugen nichts. Überhaupt, die ganze Ware dort taugt nichts. Ich werde jetzt immer bei Dippens kaufen." Und hinaus war sie. Herr Eck grübelte. Die Katzen seiner Groß mutter hatten doch immer getaugt? Seine Frau riß ihn auö der grübeln den Erinnerung. „Habe ich's nicht gesagt? Diese Wöhles! Alles schmieren sie einem an. Wie immer, die Katze ist tot! Unverantwortlich, diese Bagage!" Herr Eck wunderte sich wieder, aber auf den Gedanken, daß seine Frau die Katzen dort oben auf dem Mäuseboden verdursten ließ, kam er nicht. Es kamen auch andere nicht darauf. Die „gute" Frau Eck spielte nach wie vor trotz ihres großen Mundes — oder vielleicht dank ihres gro ßen Mundes — eine führende Rolle in den Wohltätigkeitsvereinen. Sie lebte ihr Leben stolz, sicher, selbstliebend. Sie wußte es noch nicht, daß sie, ehe sie das Tor der Erlösung durchwandern würde, erst noch brennenden Durst erleiden müßte, und daß die verzweifelnde Todesangst aller von ihr gemordeten Katzen ihre Seele umklammern würde, bis sie — durch Mit leid wissend geworden — die Erlösung fände... Roswitha Collier.