Zur Geschichte und Charakteristik Nikolaus Selneckers. 5 mit welcher fürsorgenden Liebe und bis in das Kleinste ein gehenden Treue der praeceptor Germaniae sich der einzelnen Studenten annahm, wie er ihr inneres Leben pflegte, ihre Studien förderte und sogar in äusseren ökonomischen Ange legenheiten ihnen mit freundlichem Rat an die Hand ging, so dass ihn Luther im Scherz den famulus communis der Universität genannt hatte. Da nun zumal Selneckers Vater schon lange mit Melanchthon in näherer Beziehung gestan den hatte, so durfte der junge Studio sofort vom Tage sei ner Ankunft in Wittenberg ab sich bei Magister Philipp {/ wohl und heimisch fühlen, und noch später preist es Sei necker als einen der grössten Schätze seines Lebens, „quod unum Philippum praeceptorem habere, audire, fere quotidie convenire, alloqui, consulere mihi contigit“. Melanchthon war es, der in richtiger Erkenntnis der besonderen Gaben Selneckers ihn bald vom Studium des Rechts zur Theologie ' hinüberzog; Melanchthon verstand es auch, ihn theologisch so zu leiten, dass, obwohl schon damals die rabies theolo- gorum ringsum die Waffen klirren und das Feldgeschrei: Hie Luther! hie Melanchthon! ertönen liess, Seinecker bei späterem Rückblick aufrichtig bekennen konnte, so lange er in Wittenberg gewesen, habe er an dem consensus Lutheri et Melanchthonis auch niemals den mindesten Zweifel ge habt. Da bildete das Talent — der irenische Charakter, der auf den consensus aller Lutherischen gerichtete Sinn •— sich in der Stille. Schon hatte er nach beendigtem Studium angefangen, selbst philologische, philosophische und theologische Vor lesungen zu halten; es ist von 200 Hörern die Rede, die sich in seinem Auditorium eingefunden: da w ird er seiner akademischen Laufbahn oder besser gesagt seinem wissen schaftlichen Stillleben entrückt und nach Dresden berufen. / Nun erst kommt er — in den Strom der Zeit. Schon seit 1539, seit in die Thore Dresdens Herzog Heinrich und in seinem Gefolge die Reformation ihren Ein zug gehalten, war Melanchthon in allen Kirchen- und Schul- angelegenheiten im eigentlichsten Sinne des Wortes Dresdens