10 Dibelius, der Zeit noch erhalten blieb, als er seines Amtes entsetzt werden musste. Aber der Charakter seiner Dresdener Pre digten war durchaus nicht immer so, wie in der vita Sel- neckers von dessen Predigten überhaupt sein späterer Kol lege Schröter urteilt: „Proferebat res magnas et graves sed semper lenem et modestum spirituni pronuntiatio referebat; nullus ibi fastus, nullus aliorum contemtus, nulla contentio, mera humilitas, caritas, patientia, pietas“. Ich werde im Gegenteil beweisen können, wie der Ton seiner Predigten in ^ Dresden allmählich immer schärfer ward, als der irenische Zug seines Wesens sich hier in ungünstigerWeise entwickelte und einen herben Beigeschmack empfing. Ehe ich hierauf näher eingehe, sei noch in aller Kürze bemerkt, dass Seinecker auch in seinen ändern Ämtern nicht ohne guten Erfolg gedient und namentlich jene Knaben des Hofchors als tüchtiger Pädagog und als trefflicher Musiker geleitet hat. Freilich wie viel oder wie wenig er als In struktor des Erbprinzen gewirkt, muss dahingestellt bleiben, zumal er dies Amt nur vier Jahre lang innegehabt und den Prinzen Alexander, der übrigens, elf Jahre alt, am 8. Okto ber 1565 starb, nur bis zu seinem zehnten Jahre in seinen Studien und seinem Lebenswandel väterlich überwacht hat. Wenn die Dresdener Kgl. Bibliothek in ihrer Handschriften sammlung ein Schreibheft des jungen fürstlichen Sprösslings aufbewahrt, aus welchem hervorgeht, dass dieser die ersten \ ersuche der Kalligraphie in guten christlichen Sprüchen zu läge gefördert, nun so wird niemand hieraus auf eine Mit wirkung Selneckers schliessen wollen. Aber wenn die auf derselben Bibliothek sich findende, für den jungen Prinzen gehaltene Leichenpredigt 1 ) dessen lautere Frömmigkeit be tont, die besonders im Sterben hervorgetreten 2 ) sei, so mag der ein Jahr vor dem Tode aus Dresden geschiedene Prä- ceptor allerdings seinen guten Anteil daran haben. Wird *) Dresdener Kgl. Bibliothek. Msc. Dresd. K. 345. a ) Vgl. auch Dresdener Hauptstaatsarchiv, Kurfürst August zu Sachsen Kinder Absterben 4382 pag. 11.