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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.07.1881
- Erscheinungsdatum
- 1881-07-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188107304
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18810730
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18810730
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1881
- Monat1881-07
- Tag1881-07-30
- Monat1881-07
- Jahr1881
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.07.1881
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Erscheint täglich früh 6^, Uh^ Nr-arNon und Lrprditiou JohanneSgassr N. Sprechstunde« der Kedartio»: vormittag- 10—12 Uhr. Nachmittag« 4—6 Uhr. «tr dt« Ntta««d« eioikt-ntlr, M-nuIcrlvI« »«cht sich dk «r»tacit«n nicht mrdinvdch A»»aH»r »er für »ie stSchftsolgende Nn««er bestimmte» Inserate an W«chö»ta>en bi» S Nbr Äach«tttag«. an Taitn- und Fcsttagru früh bt«'/,0 Uhr. 2n den ^iiialru für Äns.-^nnahme: Ltt« klemm» UniversitLtsstraße 22, L»Ui« Lösche, Kalharinenstraße 18, p. nur »iS '/,Ä Uhr. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Kandels- und Geschäftsverkehr. Auflage I«,SS«. Abouaemrutoprei» viertelst incl. Briaacrloha ö Mk.. durch dir Post bezogen 6 Mk. Jede einzelne Nummer 25 Ps. Belegeremplar 10 Pf. Gebühren für Srtrabeilaaen ahne Postbes-rderung 30 Mk. «tt Paftbeförderung 48 «L Inserate Sgespaltene Petitzeile SO Pf. Gröbere Schriften laut unjerem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer Sah nach höhere» Tarif. Urclamen unter den Nedaction-strich die Spal,zelle 50 Pf. Inserate sind stet« an die «ppebttla« z« senden. — Rabatt wird nicht gegeben. Zahlung praenumk-raixlo oder durch Post- nachaahme. ^ir 2N. Sounabend den 30. Juli 1881. 75. Jahrgang. Jur gefälligen Veachlmg. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 31. Juli, Vormittags nur bis 1,8 Uhr geöffnet. Lxp«äMon Äes I^elprlKer 'raxedlattv«. Amtlicher Theil. Vekaniltmachung. Da» 20. Stück de- diesjährigen ReichSgesehblatte« ist Lei un» «„gegangen und wird bi« zum 1v. kstg. MtS. auf den» RathhauSsaale öffentlich auShängen. Dasselbe enthält: Nr. 1441. Gesetz, betreffend die Bestrafung von Zuwider handlungen gegen die österreichisch-ungarischen Zollgesctze. Vom l7. Juli 188l. Nr. 1442. Gesetz, betreffend die Bezeichnung de» Raum» gehalteS der Schankgefäße. Dom 20. Juli 188l. Leipzig. 28. Juli 1881. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Tröndlin. Cerutti. Vekanntmachung, de» Verlust der Stimmberechtiauua »ege» Abgabjtnriirkstänhea betreffeud. Rach Dorschrist der Rovikirtc» Städte - Ordnung tz. 44 unter 8 sind von der Sttminberechtigung Lei den Wahlen alle diejenigen Bürger, welche die Abentrichtung von StaatS- und Gemeindeabgaben, einschlicßlichlich der Abgaben zu Schul- und Armen-Eassc». länger als zwei Jahre ganz oder teil weise im Rückstands gelassen haben, ausgeschloffen. Unter Hinweis auf diese gesetzliche Bestimmung fordern wir daher aus Veranlassung der u«. nächster Zeit vorzuneh- menpen Aufstellung der Stadtverordnetenwahlliste und der dann bevorstehenden ErgänrungSwahl deS Stadtverordneten» Collegium- alle Abgaben - Restanten, welche davon betroffen werden, zur ungesäumten Abführung ihrer Rückstände auf. Leipzig, den 25. Juli 188l Der Rath der Stadt Leipzig. Vr. Tröndlin. vkrmiethlmgen in -er ReWalle am Plaueu'schen Platze. In obiger Flcischhalle sollen die cingetrelener Umstände halber mielhsret gewordene» Abtheilungea Nr. 2 und 2O sofort gegen einmonatliehe Kündigung Dien-tag de« 2. Angnst d. I. Vormittag» LL Uhr an Rathsstelle, RatbbauS, l. Etage, Zimmer Nr. 16. ander weit an die Meistbietenden vermiethet werden Die Vermiethungs- und VerstcigcrunaSbcdingungrn liegen auf dem RathhauSsaale, 1. Etage, zur Einsichtnahme aus. Leipzig, den 22. Juli 188l. Der Rath her Stadt Leipzig. I)r. Tröndlin. Ecrutti. Wegen Vornahme von Pflasterungsarbeiten wird der Straßentract des Petersteiuweg» und bcz. der Zeitzer Strast« auf der Strecke vom ehemalige» Peterschtest« grabe» (Beudir^chcS Hau») bi« zur südlichen Aiuchtlinte der Albertstrastr von Montag, de« L. August d. I. ab bi« auf Weitere» ,ür den Fährverkehr gesperrt. Leipzig, den 20. Juli 1881. Der Rath der Stadt Leipzig, vr. Tröndlin. Harrwltz. Lei dem Unterzeichneten Polizciamte ist die mit einer IahreSgehalte von 3000 Mark dotirte erste Affefsorstell m besetzen. Bewerber haben die in tz. 2 de« GerichtSve, sassungSgesetzcS gedachte Fähigkeit zuni Nichteramtc nachzu weisen und ihre Gesuche bis spätesten» de» L. Hetobe d». 2». b« un« e,n;ureichen. Leipzig, den 21. Juli 1881. Da» Polizei-Amt der Stadt Leipzig. Iunck, Pol.-Rath. VekanntMltzung. die Arhett»nach«»ets«ngSanstalt »nd deren Filiale« betr. Durch da» freundliche Entgegenkommen der Herren Kaufleute lk Hohlfeld, Raust. Steinw. 11, H. Ünrnh, Weststr. 17. 2»ltn» Bachmann, Ritterstr. 27, Gebe. Sptllner, Windmühlenstr. 30. Loni» Apitzsch, Ecke der Grimma'schen Stein weg» und der Querstraße, und F. O. Reichert, Nenmarkt 42. sind wir seit Februar d. I. in den Stand gesetzt worden, uebe» der Mühlgasse Nr. 7 im Hofe befindlichen Centralstelle «esrrer NrbeitSnachwcisungSanstalt an den genannten Orten lanahmestellen für Arbeitsangebote zu errichten, und haben sich dir genannten Herren der damit verbundenen Mühe and Arbeit bi-her dankcnSwerth unterzogen. An unsere Mitbürger richten wir aber wiederum die dringend« Bitte, un» durch recht au-giebige Benutzung der van un« getroffenen Einrichtung in den Stand zu setzen, unsere schon früher ausgesprochene Ansicht, daß eS bester ist. de« Armen Arbeit als Almosen zu geben, zur THatsache zu machen. Leipzig, den 28. Juli l88I. Da» «rmendlreetorin«. Luvwig Wolf. Zum Behuf der gegen Ende jedes akademischen Halb- ahrcü zu haltenden Revision der Universitäts-Bibliothek werden diejenigen Herren Stndirenden, welche Bücher auS derselben entliehen baben, ausgefordert, diese am 28., 20. und 30. Juli gegen Zurückgabe der Empfangsbescheinigungen abzuliesern. Die Ablieferung wird in der Weise zu geschehen haben, daß diejenigen, deren Namen mit einem der Buchstaben von K bis H anfangen, am 28. Juli, die, deren Rainen mit einem der Buchstaben von ^ bis N beginnen, am 2tt. Juli und die Nebligen am «tv. Juli (am 28. »nd 30. Juli früh »wischen 10—1 Uhr, am 20. Juli früh zwisclwi» 10—12 oder Nachmittags 3—5 Uhr) die Bucker zurückgcbcn. Alle übrigen Entleiher werden ausgesordert. die an sie verliehenen Bücher am 8., ». oder ttt. August (während der gewöhnlichen Oessnuiig-stullden) zurück zu geben. Während der RevisionSzcit (28. Juli—13. Augustl können Bücher nicht anögelicheu werden. Ebcuso muß während der selben daS Lesezimmer geschloffen bleiben. Leipzig, de» 25. Juli 1881. Die Direktion der Universitäts-Bibliothek. — vr. st re hl. Der im GeorgenhauS detinirt gewesene Buchbinder Ebnarb Pool Klötzer «st von dem ihm am 16. Mai ». e. gestatteten Aus gange nicht zurückgekehrt und sind die bezüglich seines derinaligen Aufenthalt« «»gestellten Ermittelungen ohne Erfolg geblieben. An alle vehSrden richten wir da« ergebene Ersuche», Klötzer'n im Betretungssalle zu verhaften und uns davon ungesäumt Nachricht zu geben. Leipzig, den 28. Juli 1881. TaS Polizei-Amt der Stabt Leipzig. Vr. Rüder. He»ge, Nesdr. Der ün Georgcuhausc detinirt gewesene Johann Friedrich Tarl Nemu« aus Thonberg ist von dem ihm am 16. Mai a. L. ge. statteten Ausgange nicht zurückgekchrt und sind die angestelllea Er mittelungen über seine» gegenwärtigen Aufenthaltsort bisher erfolg los geblieben. An alle Behörden richten wir da» ergebene Ersuche», vor benannten RkMUS zu verhaften und unS davon Mittheilung zu machen. Leipzig, den 28. Juli 1681. Da» Polizet-Amt der Stadt Leipzig. vr. Rüder. Heyge, Resdr. Nichtamtlicher Theil. Leipzig, 30. Juli. So einfach, wie cS sich wohl so »iai>cher französische Staatsmann gedacht hat, geht cs mit der Besetzung von Tunis doch nicht ad. Zunächst werden die Franzosen ge zwungen sein, weit über den mit dem Beh abgeschlossenen Vertrag hiiiauözugchc», denn der Schatten von Gewalt, den man diesem Fürsten gelassen hat, reicht natürlich nicht hin, um die Bewegungen zu zügeln, die in Folge der französischen Invasion entstände» sind. So inüsseii die Franzosen ein- grcifcn, und wenn sie die Aufstände bezwungen, so werden sie auch die Institutionen deS Landes recrganyircn und zunächst auch alle wichtigen strategischen Puncte besetzen müssen. Es läßt sich zur Zeit noch nicht absehc», ob ein solche? Vorgehen, La der tunesischen Bevölkerung die sranzösischc Herrschaft weit fühl barer machen wird als der mit dem Beh abgeschlossene Vertrag gethan hat. den Franzosen zum Vorlhcil gereicht, ob es nicht vielmcbr den Widerwille» der cingeborenc» Muselmänner, wie inAlgcrien, zu noch entschiedenerem Widerstande autreibt. — Aus der tunesischen Frage ist für Frankreich mit übcr- raschcnderSchnclligkeit eine a f r i k a n i s ck c Frage geworden, de»» die Eingeborenen begreifen ganz wohl, daß die Befestigung der französischen Macht die endliche Verdrängung der moSlc- »iitischcn Herrschaft bedeutet. Zwar richtet sich der Angriff der Franzosen nicht direct gegen den Islam, sondern cS han delt sich darum, die Reichthiimer Afrikas dem französischen, rrsp. europäischen Handel zu erschließe». Die MoSlimS, so wenig sie mit der Zeit fortgeschritten sind, begreifen denn doch, daß sie heute dem Europäer gegen über ganz etwa» Anderes bedeuten» atS zur Zeit, da sie Spanien besaßen, und da sie aus ihren Hochschulen die reichste Bildung der Welt concenlrirt hatten. Der Europäer hat sie längst mit seinen Fortschritten überflügelt, während ihnen selbst von jenem stolzen Aufschwung des Geiste« wenig mebr übrig geblieben ist als eine dunkle Tradition. Deshalb sieht der Araber in den erweiterten Ansiedelungen der Franzosen auch den Triumph der christlichen Religion über den Islam. Träge von Natur, indolent und apathisch gegenüber allen theoretischen Fragen wird der Araber gleich allen MoS- UmS in eine Art Fieber versetzt, wenn eS sich um seine Religion handelt. Es giebt kaum einen Fanatismus, der sich an flammender Kampswulh und stoischer Todesverachtung mit dem messen könnte, der sich zeigt, wenn der MoSlim zun, Kampfe für seinen Glauben ausgesordert wird. Die unerschütterliche Aussicht auf den mit so glänzenden Farben auSgcmalten Himmel Muhamed'S, der von der inuhame- daniscken Glaubenslehre säst unzertrennliche Fatalismus machen den Araber zu einem furchtbaren Kämpfer, der bei der eigenthiimlichen Beschaffenheit deS BodenS und deS Klima- in Norbasrika schwer zu besiegen ist, trotz aller lieber» legenheit der europäischen Waffen. Die Verhältnisse deS Landes machen dasselbe zum Guerilla-Kriege sehr geeignet und gerade diese Kampfarl paßt auch dem Araber ivicker am Besten. Dazu kommt, daß europäische Truppen zur Zeit der größten Hitze gar nicht in, Stande sind. ,n Nvrdasrika au»zurücken und sich gegen den Feind zu schlagen. Die Araber ziehen sich daun an den Saum der Wüste zurück; ein großes europäische» Heer, taS ihnen dahin folgen wollte, würde den nökhigen Wasserbedarf schwerlich mit sich zu führen im Stande sein. Die tunesische Expedition und ihr erfolgreicher AuSgang hat allen arabische» Stämmen von Nordafrika augenscheinlich die Uebcrzeugung bcigebraLt, daß eS sich um Ausrottung deS Islam handele, und so baoen sich alle Stämme in Algerien und Tunesien, in Marokko und in Tripolis erhoben. Sogar lies au» dem Sudan und vom Senegal sind Verstärkungen für die Aufständischen gekommen, so dag sich dieselben mit allen ihren einzelnen Hecrhauscn schon auf 150,000 Mann belaufen solle». Wem, sich dies bestätigt, so werden die Franzosen nicht 120,000, sondern mindestens 200,000 Mann i» Nvrdasrika ausstcllen müssen, um mit der Empörung fertig zu werden. Und bi» wann man fertig werden wird, darüber giebt eS jetzt noch gar kein Urtheil. Soviel ist sicher, daß Frankreich für lange Zeit seine Kraft auf die Ordnung der nordafrikanischen Angelegenheiten wird verwende» müssen und daß e» genug zu thun hat, will eS heil auS diesen Kämpfen, deren Consequenzen sich noch nicht ab- sehen lasten, hervorgehen. ^--ankreich macht nun ähnliche Erfahrungen in Nordafrika, wie England in Indien. Wenngleich die französische Colo- nialpvlitik an Einseitigkeit auch Nickt« zu wünschen übrig ließ, so war sie immerhin noch freisinniger als die englische. Eine der wichtigsten religiösen Eigenheiten der Muha- mcdaocr, die Polygamie, ist in Algier auch beibebalten worden, jedoch giebt eS in der ganzen Provinz nur 75 Familien, welche davon Gebrauch machen; den übrige» scblen wahrscheinlich die zur Ernährung von mehrcren Weibern »ölhigcn Mittel. In solchen Dingen dürste man indeß den Grund der Abneigung gegen die Franzose» auch nicht suchen. Bei der Bildung von Eolonien wird fast immer da» SelbslständigkeitSgesühl der Eingeborenen verletzt. Denn früher waren sie selbstständig und brauchten kein ..Mutter land-, um zu bestehen; ihr Nationalstolr ist eben so berechtigt, wie jeder andere. Sodann wird der Reichthum ihres Lande« zum großen oder größten Theil für daS Mutterland auSge- bcutet und all diese Dinge hinterlasseu eben schmerzliche Eindrücke. ES geht den Mauren, die von den Franzosen untcrkvorscn werde», eben gerade so, wie eS einst den West- gvlhen in Spanien ging, als sie von den Mauren unter worfen wurden. Und daS ist eS, waö bewirkt, daß alle- derartige Colonialwcscn, mag eS äußerlich noch so blühend und stolz auSschen, seine zwei Seiten hat. Sv wäre er also endlich da, der große Geist, dem eS ge lingen soll, die verfahrenen und traurigen Zustände Nuß laiid.S wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen! — Allerdings wäre zu wünschen, daß er da wäre, aber vorläufig crisstrt er nur in der verworrenen Phantasie russischer Bauer». Doch reicht dies hin, zu den vielen und großen Aufregungen in Rußland eine neue hinzuzufügen. In der That macht sich in den mittleren und südlichen Districten Rußland« eine Be wegung bemerkbar, deren Anfang man eben so wenig kennt, als ihr Ende abzuschen ist. Man weig nur, daß im ganzen Reiche eine Prophezeiung verbreitet worden ist, welche besagt, daß in den nächsten Monaten in Rußland ein gewaltiger Greis erscheinen werde, von dessen Ankunft der Beginn besserer Zeiten zu batirea sei. L ese bessere Zeit, so lautet die finstere Botschaft, werde damit beginnen, daß die „Feinde de» rechten Glaube»«" mit Weid und Kind und Hab und Gut vom Erdboden vertilgt werken! ES ziehen Bolen aus den einzelnen Dörfern herum und bei ihrer Aukunst halten die Bauer» Berathuugen mit ihnen ab und stellen alle Arbeit ein. Die Behörden und Geistlichen sind von diesen Berathungen ausgeschlossen, woran» man also schließen kann, daß die Popen mit dieser seltsamen Bewegung Nickis zu thun haben. In manchen Gegenden herrscht eine große Furcht; die Behörden fühlen sich zu schwach und haben um inililairischcn Schutz gebeten, da sic wohl wissen, wie fanatisch da» Landvolk ist, wenn eS durch reli giöse Vorspiegelungen ausgeregt wird. Kein Zweifel, daß diese Bewegung gegen den russischen Adel und gegen die Großgrundbesitzer gerichtet ist. kein Zweifel auch, daß sie wirklich zu dem befürchteten Ausbruch kommen wird und daß sie daS erste Stadium der so oft prophezeiten russischen Revolution ist. Die Civilisation wird ihr Antlitz verhüllen müssen, wenn der aller Bildung und Humanität bare russische Bauer sein Zerstörung-Werk beginnt. So wird die russische Revolution ihre doppelte Seile haben, den Nihilismus in den Städten, den religiösen Fanatismus der Bauern aus dem Lande. — Man kann heute nicht von der Schuld spreche», welche ein Regime trägt, das die russischen Bauern in ihrer Unwissenheit und Verkommenheit ließ; wir wollen nur von der gegenwärtigen Regierung Rußland» sprechen. Kein einziges Land in Europa ist von einer so schweren Krise bedroht, kein einzige- zur Zeit von so schweren Stürmen heimgesilcht; kein einziges hat aber auch eine Regierung, die so rath- unv thatloS. so unfähig wäre, wie die russische. Sie weiß nicht, ob sie vor- oder rückwärts gehen soll; daS Ein» zige, wa« sie gethan bat, ist die Verstärkung der Polizeigcwalt, eine in solchem Falle ganz unwesentliche Sache, wie man doch nun genugsam belehrt sein könnte. In solchen Fällen nluß eine Regierung doch endlich wissen, ob sie vorwärts oder rückwärts gehen soll. Alexander II. hatte sich entschlossen, vorwärts zu gehen und eine Verfassung zu geben, aber der Tod kam ihm zuvor; oie gegenwärtige Regierung scheint an derselben Stelle stehen zu bleiben und warten zu wollen, bis die Katastrophe heran naht, die ihr den letzten Boden unter den Füßen wegzieht. Noch niemals, wir wiederholen eS, hat eine Regierung so rathloS und thatloS einer großen Katastrophe gegenüber ge standen und man wird sich doch wohl jetzt überzeugt haben, daß Herr Jgnatiefs, weil er einige Mal die Türken über» vortheilt, deshalb noch lange nicht znm Reformator der inneren Zustände Rußlands eignet. Deshalb aber wird er wahrscheinlich doch aus seinem Posten bleiben, denn man hat da» Pech, daß man in solchen Momenten gewöhnlich die u»- gceignelsten Leute hcrauSwählt. Wer soll die Katastrophe aushaltcn? Vor einigen Monaten war cS noch Zeit; hätte man eine Verfassung gegeben, so wäre sie zum Messias geworden. Jetzt aber gehl der „Messias" der Bauern um und wohl Dem, der nicht- mit ihm zu thun habe» wird! Die „Nordd. Allg. Ztsi." beschäftigt sich wieder einmal mit der Haltung der Nat>onalliberalen. „Wenn die selben, meint daS freiwillige Regierungsblatt, sich nicht rasch entschließen, vor den Wahlen öffentlich und scharf die Scheide linie zu ziehen, welche sie von den radical-liberalen Secessio» nisten trennt, so werden di« Wähler sie mit den Aposteln Ve das Vaterland ruinirrnden Freihandels in einen Tops werscn und veriversen." Wir wissen nickt reckt, warum die „Nordd. dftlg. All" sich ben Kops der Rationalliberalen darüber zer bricht, waS dieselben vor den Wahlen zu thun haben. Soeben bat da» Programm der badischen Nationallibcralen sehr eingehend, sehr verständig und wir meinen auch verständlich — wenigsten» für Jeden, der lesen kann und lesen will — die Berhaltung-linie in den Haupt- puncten gezeichnet, welche die »ationalliberale Partei wohl allgemein al« die für die Zukunft rinzubaltende a»er- kennen kann, da sie mit dem, wa- die gemeinsam seiner Zeit erlassene Erklärung der Partei enthielt, in dollem Einklänge steht. Wer diese» Programm unbefangen durchliest, dem muß. sollten wir denken, klar werden, wie überflüssig den National liberalen gegenüber jede Ermahnung ist, sich wirthsch-stlichen Fragen gegenüber aus einen von einseitigem Doktrinarismus freien, de» praktischen Bedürfnissen Rechnung tragenden Standpunkt zu stellen; eS muß ihm klar werden, wie krastlo» alle ofsieiösen Deklamationen über Mangel an Gefübl für die nationale Industrie, für die Interessen deS kleinen Gewerbes und für das Wohl des arbeitenden Volkes an de»« guten Gewissen der gemäßigt liberalen Partei abprallcu müssen; e» muß ihm auch klar werden, wo die ganz bestimmte Grenze liegt, an welcher die nativnalliberale Partei bei der Unter stützung irgend welcher gesetzgeberischen Reformen auf den Gebiete» der Besteuerung, der VolkSwirthschaft und der Socialpolilik i»> Interesse der freien wirthschastlichen Be wegung, der individuellen Selbstbestimmung und der gerechten Bertheilung der Lasten mit Nothwendigkeit würde Halt machen «iisse«. ES wird also dem Belieben der „Nordd. Allg. Ztg." zu überlasscn sein, ob sie es für angemessen hatten will, die Nationallibcralen „mit Len Aposteln deS da» Lstiterland ruinirenden Freihandels in einen Tops zu werfen". Was die Wähler thun werden, dar über sollte sie sich dock) keine Sorge macken. Die Art übrigen», in welcher jetzt von den ofsieiösen Lobrcdncrn der neuen Wirtschaftspolitik die kehre de« Freihandel» und deren politische Vertreter behandelt werden, verdient auch von un serem dabei durchaus nicht allzu stark intercssirtcn Stand- puncte eine entschiedene Zurückweisung. Wir können es noch versteheil. wenn man den sreihändlerischen Gegnern i» der Aufregung deö Kampfe» den auch von ihnen nicht gesparten Vorwurf einseitiger Jnteresseiipolitik macht, wenngleich etwa- mehr Achtung vor den Motiven der Gegner auf beiden Selten vielleicht zu wünschen wäre. Das aber geht doch wahrlich über alles «n, politischen Kampfe Zulässige hinaus, daß man die Vertreter einer abweichenden WirthsckaslSlchr« alS die Pioniere einer antinationalen, sogar vom Ausland« auS geleiteten Politik hinzustclle» sucht. Das sind widerwär tige Auswüchse einer von gewisser Seite seit Langem gepfleg ten Anschauung, welche Alle-, waS den jeweiligen Absichten deS Reichskanzler» in irgend einer Weise störend ist, ohne Weiteres alü „reick-feindlich" verdammen zu dürfen glaubt. Die übereifrigen Osticiösen, welche so sinnlo- gegen hochver diente Männer von bewährtester patriotischer Gcsmnnng eisern, sollte» sich doch erinnern, in welchem Sinne der Reichskanzler selbst die Wirthschastsreforul eingeleitct hat. Er sagte damals, er halte nach n ie vor den Freihandel für vaS principicll Richtige, aber so lange die übrigen Länder unserer Industrie ihre Grenzen v-xschlLssen., so lange könne Deutschland nicht für sich das Princip de« Freihandels dnrchführrn, ohne seine Industrie einer erdrückenden Coiicurrenz preiSzngcbcn. Damit ist der rein praktische Charakter der ganzen Streitfrage sehr deutlich bezeichnet, und wenn jetzt die Sckaar der ossiciüsen Preß- kosakcn über Leute, welche daS Princip deS Freihandel» nicht auf den Wunsch deS Reichskanzler» abschwören wollen, al» über wissentliche oder unwissentliche BatcrlandSverräther her füllt, dann sollte man doch wohl die moralische Verpflichtung fühlen, solchem Treiben baldigst ein energisches Halt zu gebieten. Man schreibt unS au» Berlin: „Im Berliner Magistrat hält man sich täglich auf die Aufforderung deS Oberpräsidentm bereit, die amtlichen Listen für die Reich»« tagSwahlen fertig zu stellen. DaS Gerücht tritt neuer dings mit größerer Bestimmtheit aus. daß nicht die Mitte des Oktober, wie bisher angenommen wurde, sondern die Mitte oder daS Ende deS September zum Wahltcrniinc auS- ersehen sei. Von der Verfügung, welche Ausstellung der Listen anordnct, bi» zum Tage der Wahl vergehen ersahrungS- mäßiq etwa 6 Wochen. Thatfächlich ist aber auch schon in einzel nen Bundesstaaten, so beispielsweise im Großherzogthum Hessen, jene amtliche Verfügung ertasten worden. Die Be völkerung wird also gut thun, sich nicht durch eine plötzlich erfolgende Anberaumung deS Termins überraschen zu lassen. Es darf angenommen werden, daß das preußische Staats- Ministerium sich über den Wahltag bereits schlüssig gemacht hat. und cS wäre hiernach nicht ausgeschlossen, daß >ene Mit theilung, welche den 16. oder 18. Oktober alS Termin fest- hält, mit der Absicht lancirt worden ist, die berech tigte Wißbegier der Wählerschaft scheinbar zu befriedigen, in Wirklichkeit aber irre zu sichren. Dem gouvcrnemcntalen Interesse entspricht ein früherer Termin durchaus. Nicht nur. daß im September die Segnungen de» Steuererlasses noch srisch im Gcdächtniß der Bevölkerung sind, sondern eS würden auch die wahrhaft kolossalen Geldleistungen erheblich vermin dert werden, welchen sich jetzt die agrarischen Großgrund besitzer im Interesse der „guten Sache" unterziehen müssen und welche unter den verschiedensten Namen in dem unersätt lichen Scklunde der conscrvativen Wahlagitation verschwinden. Daneben hat dies oder jene» reactionaire Fractiönchen seine eigenen Anliegen. So ist z. B. die Hofpredigcrpartei sehr un zufrieden über die Meldung, daß die Wahlen im Oktober staltsindcn sollen. ES ist dies nämlich gerade die Zeit, wo die Provinzialsynoden tage», und sic hält deren Mitwirkung bei den Wahlen für wichtig genug, um die Verlegung de» Termins aus den September als dringlich zu empfehlen." Man fragt sich vergebens, welchen verständigen Zweck Herr v. Puttkamer mit seiner Rcsorm deS C taiibcöamtS« wesen« anftrebt. Wenn alle die Tausende, ivelche jetzt die EivilstandSregisler ehrenamtlich führen »nd zwar zur Zu friedenheit de» Publicum? und »nter vollster Wahrung deS öffentlichen Interesse- führen, durch Staatsbeamte ersetzt werden sollen und wenn diese die neuen Functionen auch nur im Nebenamt übertragen erhalten, so würde da- den Etat mit mehreren Millionen dauernder Ausgaben belasten — eine Verwendung der öffentlichen Gelder, die doch wahrlich in der Aera der Steuerresormprojectc besser motivirt werden müßte, al- bi»her geschehen. Soweit sich in dieser parlament-losen Zeit die Auffassung von Abgeordneten verschiedener Parteien sondiren ließ, kann schon jetzt gesagt werden, daß der Minister de» Innern für seinen Vorschlag schwerlich eine Majorität im preußiichen Abgeordnetenhause erhalten wird und daß selbst die Conservativen sich höchlichst besinnen werken, für einen »nfindbaren Zweck ungezählte Summen herzugeben. ES ist nicht außer Augen zu lassen, daß gerade sic cS waren, welchen die gegenwärtige Fassung de« Gesetze« zu danken ist. In der ursprünglichen Regierungsvorlage war die Staats anwaltschaft mit der Aussicht über die Standesbeamten be traut worden, da« prenßischc Abgeordnetenhaus änderte als dann diese Bestimmung aus Antrag de» Abg. MiquLl und unter Zustimmung de» JustizministerS Leonharvt dahin, daß die Gericht« die AnssichtSinstanz rn bilden hätten; erst da« .Herrenhaus stellte den jetzigen Wortlaut deS tz. 7 her.
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