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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030915028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903091502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-15
- Monat1903-09
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Troß -er Länge -es Besuches und obwohl der Reichskanzler, entgegen den ur sprünglichen Nachrichten, an der Zusammenkunft in Wien teilnimmt, trägt der Besuch nicht -en Charakter einer hoch politischen Aktion. Die gegenwärtig in ein so akutes Stadium getretene Balkansrage, an der Oesterreich ein besonderes Interesse hat, ist in erster Reihe durch Ver ständigung Oesterreichs mit Rußland zu erledigen, ob wohl selbstverständlich auch diese Frage in den Unter redungen zwischen den Grafen Bülow und Goluchowski berührt werden wird. Aber, wie erwähnt, ln der Erörte rung außerhalb Deutschlands und Oesterreich-Ungarns liegender Kragen beruht nicht die eigentliche politische Be deutung der Wiener Begegnung. Wohl aber ist die er neute Zusammenkunft der beiden Monarchen ein Beweis der unerschütterlichen Fortdauer -es zwischen Deutschland und Oeslerrcich-Ungarn seit 24 Jahren bestehenden Bünd nisses. Was haben sich nicht gute Freunde für Mühe ge geben, die Allianz zwischen Deutschland und Oesterreich zu zerstören! Bald suchte man Deutschland die Unzuver lässigkeit Oesterreich-Ungarns plausibel zu machen, bal- -en Oesterreichern die Unzuverlässigkeit Deutschlands. Besonders als Oestereich-Unaarn das Abkommen über die Balkanhalbinsel traf, glaubte man Deutschland damit bange machen zu können, daß nunmehr Oesterreich gar nicht mehr -es Bündnisses mit Deutschland bedürfe, weil dieses Bündnis den Zweck habe. Oesterreich im Kalle eines russischen Angriffes -er deutschen Unterstützung zu ver sichern. Die Diplomatie Oesterreich-Ungarns hat aber sehr wohl erkannt, daß gerade dem Bündnisse mit Deutsch land das Entgegenkommen Rußlands zu verdanken ist, denn auf ein politisch isoliertes Oesterreich-Ungarn würde Rußland herzlich wenig Rücksickst genommen haben, um so weniger, als die habsburgische Monarchie durch die fortwährenden Streitigkeiten innerhalb jeder der beiden Reichshälsten und zwischen ihnen in ihrer Aktionsfähig keit sehr behindert ist. Gerade jetzt, wo die Wirren am Balkan das Abkommen mit Rußland ganz besonders wich tig und aktuell machen, ist es für Oesterreich-Ungarn von großem Wert«, daß -ie habsburgische Monarchie infolge des Fortbestehens des Dreibundes noch immer einen sehr wichtigen Faktor im Rate der europäischen Völker dar stellt. Aber auch aus Gründen der i n n e r e n Politik ist der Besuch -es deutschen Kaisers, insbesondere in Ver bindung mit dem kurz vorher erfolgten Besuche des Königs Eduard und der kurz nachher stattfindenden Anwesenheit des russischen Kaisers, von großem Werte für die habs burgische Monarchie. Diese Besuche, die -em Kaiser Franz Josef gelten und -en Reivekt vor dem ältesten unter den Herrschern -er europäischen Grotzstaaten zum Ausdrucke bringen, dienen dazu, die Autorität des greisen Monarchen zu bestärken, an -er die hadernden Parteien diesseits und jenseits der Leitha unausgesetzt rütteln. Setzten die Un garn ihren Wünsch durch, die gemeinsame Heeressprache zu beseitigen, und sähen die Tschechen ihr Trachten nach einem selbständigen Königreiche Böhmen erfüllt, so würde die österreichisch-ungarische Monarchie ihre politisch« Be deutung verlieren. Dann würden die Besuche der Herr scher der europäischen Grobstaaten am österreichischen Kaiserhofe sehr bald nachlassen, und wenn auch der ein zelne Staatsbürger Oesterreich-Ungarns an sich dadurch wenig Schaden erlitte, so wäre doch die Vereinsamung des Wiener Hofes ein Zeichen des politischen Niederganges, dem der wirtschaftliche sehr bald nachfolgen würde. So weit ist es glücklicherweise noch nicht und wir hoffen, daß es auch nie dahin kommen wird. Unsere Wünsche sind vielmehr darauf gerichtet, daß die inneren Wirrnisse in beiden Reichshälften und die Schwierigkeiten zwisclüu Oesterreich und Ungarn bald ihr Ende finden! «s versteht sich von selbst, daß gelegentlich der Anwesenheit unseres Kaisers auf österreichisch-ungarischem Boden diese Wünsche sich mit besonderer Lebhaftigkeit und Herzlichkeit in uns regen. Zur Mester Wassersnot. Der „Metzer Fall" hat infolge des Eingreifens deS Kaisers weit über seine örtliche Bedeutung hinaus Wellen tiefer Erregung erzeugt, deren Nachwirkungen sich noch lange Zeit fühlbar machen werden. Das praktische Ergebnis dieser Metzer Krisis ist jedenfalls die Beschleunigung der Maß nahmen zu gründlicher Abhülfe. Zur ernsten Arbeit dazu mahnt eine Zuschrift an die „Metzer Zeitung", der man ein kompetentes Urteil über die ganze Frage rugestehcn muß. Diese Darlegung über die vorgekommenen Typhusfälle in Gorze (wo das Wasser für die Metzer gefaßt wurde), und die Sperrung der Bouillonquelle sagt: Bis zum 18. August sind sechs Typhusfälle ärztlich kon statiert und angemeldet worden, darauf weitere drei. Schließlich schwoll die Zahl auf 22 und 24 an. Von diesen Fällen waren drei schwere Fälle, zwei weitere ernste Fälle, die übrigen leicht, teil weise sehr leicht, so daß die Kranken selbst von der Typhuserkrankung nicht viel merkten und manche nur einen Tag zu Bette lagen. Daß ein Laie solche Erkrankungen nicht als Typhus anerkennen will, ist nicht wunderbar. Immerhin sind sie typhösen Charakters. Die Ausscheidungen enthalten Typhusbazillen, und jede Uebertragung von einem solchen Leichterkrankten kann ebenso tödlich verlaufende Typhuserkrankungen zur Folge haben, wie die von Schwer erkrankten, das weiß jeder Arzt. . . . Die Sperrung der Bouillonquelle hat nicht, wie fast allgemein angenommen wird, die Militärbehörde, sondern das Bezirkspräsi- dium verfügt. Die Militärbehörde hat die Absperrung der Quelle wiederholt beantragt, ist aber damit abgewiesen worden. Die Sperrung erfolgte aber schließlich doch auf Grund amtsärzt licher Gutachten über die bestehende hohe Gefahr einer durch das Leitungswasser auf die Civil- und die Militärbevölkerung von Metz übertragenen explosiv auftretenden Typhusepidemie. Die Zuschrift an die „Metzer Zeitung" bemerkt dazu: Wir haben es leicht, heute Kritik zu üben, wo es durch den in zwischen leicht verlaufenen Typhus den Anschein hat, als hätte überhaupt keiner bestanden. Wir würden aber unzweifelhaft auch unsere Kritik üben, wenn es anders gekommen wäre, wenn gar Typhuskeime in das Reservoir und in unsere Hausleitungen gelangt wären. Dann hätte uns auch das schöne Wasser der Parfondval- quelle nicht mehr genützt. Sollte man, um das zu verhindern, erst einen Todesfall in Gorze abwarten? TyphuSfälle leichter Natur sind also in Gorze, nicht in Metz, vorgekommen. „Wer hat den Monarchen in den Irrtum einer in Metz bestehenden Epidemie versetzt?" Diese Frage wirst die erwähnte Zuschrift auf und antwortet: Dies ist heute noch nicht bekannt. Daß der Irrtum auf falschen Berichten aus Metz beruhe, wie das alle Welt anzunehmen scheint, ist unwahrscheinlich. Lügen haben kurze Beine. Das mußte sich der Berichterstatter sagen, wenn er überhaupt Hirn im Kopfe hatte. So ist denn auch dem Kaiser sowohl wie dem Statthalter sofort nach Eintreffen der Depesche des letzteren telegraphisch berichtet worden, daß in Metz keine Typhusepidemie besteht. Das hat der Bezirkspräsident dem Gemeinderat schon in der vorletzten Sitzung mitteilen lassen. Höchst beklagens wert sind die Folgen, die dieser Irrtum gezeitigt. Metz ist in alle Zeitungen gebracht worden, der Reisendenverkehr ist gestört, ein schwer zu überwindendes Mißtrauen gegen die Militär verwaltung ist erzeugt worden, das die schwebenden Wasserleitungs verhandlungen sicher ungünstig beeinflussen wird. Der Gemeinderat hat ein Recht gehabt, dagegen vorstellig zu werden, und er hofft auf eine befriedigende Antwort. Der springende Punkt in der leidigen Metzer Angelegen heit ist also nach der obigen Darlegung eine unrichtige Berichterstattung an denKaiser, deren Ursprung man nicht kennt und die den Kaiser in den Irrtum versetzte, in Metz herrsche der Typhus. Dieser Irrtum hat dann aller dings dazu beigetragen, die Lösung der Frage der Wasser versorgung für Metz in greifbare Aussicht zu rücken. Hoffentlich aber wird diese glückliche Folge der unrichtigen Bericht erstattung an den Kaiser den Urheber dieser Berichterstattung nicht vor Untersuchung und Strafe schützen. Es liegt im Interesse aller deutschen Städte, daß die Neigung zu falscher Berichterstattung an den Kaiser nicht um sich greife. Der Konflikt in Serbien. Nach -er Verhaftung -er 38 serbischen Offizier« in Nisch, -ie den besten Familien -es Landes angehören und zu deren Gesiniiungsgenvsien man mindestens 1000 der 1400 Offiziere -er serbischen Armee zählen muß, sitzt König Peter mit seinem Throne auf einem Pulver fasse. Er fürchtet sich auch sehr und läßt die Wachposten vor -er Burg und auf den Gängen bei Nacht verdoppeln und mit schars«n Patronen versehen. Vor dem Eingänge zu den königlichen Gemächern stehen zwölf riesige Schweizer in der Uniform der königlichen Leibgarde. Tie Schweizer hat sich König Peter in ihrer Heimat an geworben, da er der „Treu« und Anhänglichkeit" der „serbischen Falken" für seine Dynastie, di« er in seinen Proklamationen betonte, doch nicht so recht traute. Zwei Schweizer müssen in der Nacht im Schlafzimmer weilen und den Schlaf des Serbenkönigs bewachen. Ein elek trischer Alarmapparat in der in nächster Nähe befindlichen Kaserne der Leibgarde kann vom Schlafzimmer des Königs aus in Tätigkeit gesetzt werden. Eine Strickleiter ist am Fenster angebracht und ein königlicher Kahn liegt i in der Save bereit, um den König Peter rasch auf öfter-! reichisches Gebiet zu bringen. Man sieht, der König Peter I von Serbien steht sozusagen fortwährend auf dem Sprunge und genießt einen recht unruhigen Schlaf in der Mitte ,,-rines treuen serbischen Volkes". Der arme Peter befindet sich aber auch in einem schrecklichen Dilemma. Die Macher seines Königtums kann er nicht bestrafen, diese Leute halten ihn in der Hand und er fürchtet sie; die anderen Offiziere wieder wollen nicht dulden, daß Eid brüchige und Mörder die Armee und das Land be herrschen; da wäscht König Peter seine Hände in Un schuld und sagt: ,^Ich bin ein konstitutioneller König, darüber entscheiden meine Minister!" Die Minister, in deren Mitte einige der Mordgesellen sitzen! Ist das nicht ein wunderbares slawisches Idyll? Bezeichnend für die aufs äußerste gespannte Lage ist ein Vorfall, der sich am 9. September bei der Truppenparade im Lager von Ban- jitza abspielte. Als König Peter die Front der Truppen abschritt, trat Oberleutnant Dragoljub Melimirowitsch vom Stande des 7. Infanterie-Regiments — das früher König Alexanders Namen trug und jetzt König Peter I. heißt — auS der Front, senkte -en Säbel und rief dem Könige zu: „Majestät, das Blut unseres gemordeten Königs schreit gen Himmel um Rache, unsere un schuldigen Kameraden sitzen im Kerker, die Mörder sind frei!" .... König Peter wurde leichenblaß und sah sich mit schreckentstelltcm Antlitz und furchtsamem Blick nach seinem Gefolge um. Zwei Adjutanten verhafteten den kühnen Offizier und er ließ sich willig abführen. In Nisch revoltierte ein Teil der Bevölkerung und verlangte die Freilassung der 98 Offiziere. Man traute sich nicht, Mili tär entgegenzustellen, da man befürchten mußte, dasselbe würde mit deu Demonstranten gemeinsame Sache machen. Gendarmerie mußte einschreiten und das Volk zerstreuen. In Belgrad verlangt der pensionierte General Magda- lenowitsch eine Audienz, um dem Könige die Wahrheit zu sagen, „die Mörder" Hintertreiben den Empfang, worauf der alte Gen«ral sagt, gut, so werde ich die Wahr heit, die Meinung des Landes, veröffentlichen. Die Mörder aber arrangieren in Belgrad eine Demon stration mit Zuhülfenahme unsauberer Elemente und be» drohen, ohne daß -ie Polizei sich hineinmischt, die Redak teure -er Zeitungen, die die Proklamation der Jüngst verschworenen veröffentlichen. Ein Redakteur schießt in die Menge und verwundet vier Personen, worauf der Mob auseinanderläuft. Das sind -i« Ereignisse der jüngsten Tage, ans denen hervorgeht, daß in Serbien anarchistische Zu stände herrschen. Die Gärung ergreift immer weitere Kreise, und so -rängen die Mörder den König dazu, in die äußeren Ver wickelungen einzugreifen, um die inneren Schwierigkeiten zu überwinden. Die Balkanwirreu. Die Meldungen über die Mobilmachung im zweiten Korpsbereich Adrianovel bedürfen der Richtig stellung, da im Laufe der Durchführung der Mobilmachung vielfache Veränderungen vorgekommen sind. Es stehen derzeit im Bereich des zweiten Korps folgende mobile Truppen: 12 Bataillone -er europäischen Redifdivision Nr. 5 (das zu dieser Division noch gehörende Regiment Sultan Kale-Dardanellen wurde nicht mobilisiert), die kleinasiatisch« Redifoivision Nr. 11, Panderma, mit 8 Ba taillonen, und 38 Bataillone Rcdifs zweiter Klaffe (früher Jlawe), somit zusammen 58 mobile Bataillone; hierzu kommen an Linientruppen 54 Nizambataillone, 30 Eska- Feuilleton. ii j Jngeborgs Linder. Roman von MargareteBöhme. Nawtruck Violen. ,^Ia, es ist eine eigene Sache um die Ehe", sagte Doktor Fabriani bedächtig. „Ich habe in meiner Praxis oft genug Gelegenheit gehabt, in das namenlose Elend unglücklicher Ehen zu blicken, und ich muß gestehen, wo die Konflikte so stark waren, daß eine wirkliche Versöhnung und ein dauernder Friede ausgeschlossen schienen, habe ich nie zu einem Vergleich geraten. Kein Unglück ist furchtbarer und unerträglicher als eine friedlose Ehe. Und wahrhaft glückliche Ehen, die beide Teile vollauf befriedigen, sind sehr selten. Ich wette, daß von hundert Paaren fünfund achtzig schon nach Jahresfrist eine Wiedereiltsetzung in den vorigen Stand möchten, wenn das so im Hand umdrehen ginge. Ich rechne auf hundert Ehen zehn Pro zent ideal glückliche (das ist sogar eine optimistische An nahme), fünfundzwanzig positiv unglückliche und fünfund- sechszig Normalehen, also solche, die nicht direkt unglück lich, aber auch nichts weniger als glücklich sind." „Eine düstere Statistik. . . . Wenn Sie recht haben, käme also in der Heiratslotterie auf neum Nieten nur ein Treffer. In diesem Falle wäre das Heiraten aller dings eine ungeheuer riskante Sache." „Ist es auch. Ich möchte jedem Brautpaar meines Be kanntenkreises die Mahnung zurufen: Besinnt Euch, Kinder. Ucberlegt Euch die Sache zehnmal, zwanzigmal, ehe Ihr Euch anstatt miteinander gegeneinander ver heiratet. Man braucht durchaus kein Prinzipienreiter und geschworener Weiberfeind, respektive keine Männer feindin zu sein, um die Ehelosigkeit für das kleinere von Met Uebeln zu halten. Ich wäre wahrscheinlich kein Junggeselle geblieben, wenn ich mir diese Wahrheit nicht stets vor Augen gehalten hätte, und — aber wir sind auf ein Thema gekommen, das wenig zu der heiteren Um gebung und in die Situation paßt. Sie werden sich für solchen Gesellschafter bedanken, das kommt davon, wenn man unvorsichtig genug war, sich einem alten Hagestolz und Aktenmensch für die Dauer eines ganzen Tanzes zu überlassen." »Der Tanz geht zu Ende. Wir wollen in den Saal -urllckkehren", sagte Thyra beklommen und erhob sich, vr. Fabriani folgte ihr. Im Saal kam Kusekoff auf sie zu. Der nächstfolgende Tanz gehörte ihm. Sechstes Kapitel. Mitte Dezember schickte die Redaktion den Roman zurück. Mit dem üblichen Bedauern Nicht für ihre Zeitschriften geeignet. Wo nun hin damit? Aufs Geratewohl adressierte sie das Paket an einen Berliner Verlag — eigentlich nur, um es aus den Augen zu bekommen. Ihre Hoffnung auf An nahme war auf den Gefrierpunkt gesunken. Mittlerweile hatte sie auch eine kleine Novelle sertiggeschrieben. Auch diese sandte sie an die Redaktion einer Berliner Tages zeitung. Bor Ende Januar konnte sie natürlich von keiner Seite eine Antwort erhalten, und mit Ende Februar gingen — bei sparsamster Haushaltung — ihre Bar mittel zu Ende. ,^Venn zu einer echten Künstlernatur der vielge priesene „göttliche Leichtsinn" gehört, darf ich mich nicht als solche betrachten", dachte Thyra, wenn ihr Sorgen und Bedenken, die Zukunft betreffend, kamen. Sie hätte zu gern die Einlösung ihres Sparkassenbuches vermieden, aber es war ausgeschlossen, daß sie daran vorbei kam. Ueber Mangel an Anregungen, Eindrücken und „Stoffen" brauchte sie sich nicht zu beklagen. Manchmal wollte es ihr beinahe scheinen, als sei die bunte Wechsel folge der neuen Eindrücke eher geeignet, sie von ihrer Arbeit abzulenkcn, ihre Gedanken zu zerstreuen und irre zuführen, als ihr Können zu fördern. Das war seltsam; aber Tatsache. Auf dem literarischen Thee der Gcheimrätin, der übrigens mit der Literatur nur in einem sehr losen Zu sammenhang stand, batte sie einige recht interessante Be kanntschaften gemacht. Unter anderen diejenige einer Gräfin Waldmeister, welche sich sehr für junge, strebende Talente interessierte, und die sie eingeladen hatte, sie zu besuchen. Fräulein Olga und Gusti hatten sie übrigens in liebenswürdigster Weise eines Tages abgeholt und sie bei einigen ihnen befreundeten Familien eingeiührt. Daraus waren schon mehrere Einladungen zu DincrS und kleinen Festlichkeiten erfolgt. Ohne ihr Zutun stand sic plötzlich mit beiden Füßen im Strome des gesellschaft lichen Lebens und in der „großen Welt", deren Leben und Treiben sie bisher nur aus Büchern kannte, und daS war, wie Fritz immer wieder betonte, für sie, di« unbe kannte Schriftstellerin aus der Provinz und die Schwester eines jungen, gleichfalls unbekannten Assistenzarztes, eigentlich ein ganz unerhörtes, riesengroßes Glück, das sie nur Kusekoff verdankte. Ja, Kusekoff! Sie selber mar nicht einmal so sehr überzeugt von der Größe dieses Glückes. Was sie zu finden hoffte, hatte sie bislang nicht gefunden. Es waren dieselben Menschen mit ihren kleinen Fehlern und Schwächen, ihren großen Leidenschaften, ihren egoistischen Interessen, hier und dort, oben wie unten. Auf dem ästhetischen Thee hatte der Klatsch seine lieblichen Blüten fröhlich entfaltet, und die gewöhnlichen Boudoirgespräche drehten sich, gerade wie die Unterhaltungen der Bürgersfrauen, um Putz, Dienst boten, Vergnügungen und die Angelegenheiten des lieben Nächsten. Wenn sie die Gefühle, welche der Verkehr in den vornehmen Häusern in ihr erweckten, summierte, kam dasselbe Resultat wie bei ihrer ersten Visite bei Leise manns heraus: Enttäuschung. Der Dezember brachte viel Kälte und riesige Mengen Schnee. Von dem letzteren war freilich nicht viel zu sehen. Was die Füße der Passanten tagsüber nicht zer- traten, das schassten fleißige Hände nachts fort. Nur auf den Dächern blieb die weiße, glitzernde Decke unberührt liegen. An den langen einsamen Winterabenden dachte sie oft an die verlassene Heimat zurück. In greifbarer Deutlich keit stand das alte Giebelhaus vor ihren Augen — ganz märchenhaft anzuschauen in seinem dicken, weißen Schnee pelz und den langen, diamantklaren Eiszapfen, die von dem überhängcnden Dache beinahe bis an die niedrigen, verhüllten, schwach erleuchteten Fenster reichten. Und hinter den Fenstern die kleine Stube, mit ihren eng zu- sammengedrttckten Wänden, — die sie so oft hätte ausekn- anderschieben, weiten mögen! — dem behagliche Wärme ausströmenden Ofen, auf besten Platte unter der Messing stulpe Bratäpfel schmorten und dem summenden, singenden Theekcffel in der Röhre. Im Ofen knisterte daS Feuer, der Wind heulte im Rohr, die Wanduhr rief ihr Ticktack in die Stille und die Stricknadeln in Tante Jngeborgs Händen klapperten und klippcrten . . . auf und nieder . . . auf und nieder ... Sie kamen nie zur Ruhe, diese blanken, fleißigen Nade'n. Schockweise lagen die Strümpfe im Kasten, die am Weihnachtsabend in der Herberge zur Hei mat an reisende Handwcrksburscheu und in der Warte schule an arme Kinder verteilt wurden. Klipp-klapp-tick tack, Klipp-klapp-tick-tack. . . Die kleine blankgeputzte Messßnglampe warf ihren runden Schein über die weiße, hartgestärkte Damastserviette, daneben stand der flache Teller mit braunen Pfeffernüssen und vor Jngeborgs Platze die uralte Theeschale aus feinstem Porzellan mit goldener Inschrift: In deinem Herzen wohne Frieden. Das heimatliche, lieblich trauliche Idyll übte immer eine beruhigende, besänftigende Wirkung aus ihre jetzt ost erregten und verstimmten Nerven; sie hatte eS beinahe schon ganz vergessen, eine wie „tödliche" Langeweile sie an den stillen Winterabenden daheim empfunden hatte, wie sie den Winter überhaupt eben dieser langen „öden Abende" wegen gehaßt hatte. Die Heimat gehörte der Verganganheit an, und über allem, was mit der Heimat zusammenhing und zu ihr gehörte, schwebte vergolden-, verklärend der Sonnenduft der Erinnerung. Wenn sie nicht gerade eingeladen war, boten ihr die gegenwärtigen Winterabende auch nicht viel Anregung. Fritz war oft abgehalten und die Bewohner der Pension zerstreuten sich oder blieben auf ihren Zimmern. Frau Weingarten hatte meistens noch abends zu arbeiten. Nur Fräulein Dupuy leistete ihr öfters nach dem Abendbrot eine Stunde Gesellschaft. Die kleine, ganz von ihrer Patentsache erfüllte Dame hatte oft das Bedürfnis jemandem ihr Herz auSzuschittten. Das Reichsamt hatte ihr das Patent auf ihre neueste Er- findung bewilligt; nun war sie voll guten Mutes für die Zukunft. Eines Nachmittags ... die frühe Dämmerung hinderte Thyra bereits am Arbeiten, so daß sie eben die Feder bei seite legte, stürmte Fräulein Madelatne nach kurzem An- klopfen wieder in ihr Zimmer. In der einen Hand hielt sie ein Pack Briefe, in der andern einen etwa meterlangen, an einem Ende wunderlich gebogenen Stock. Die zukünftige Millionärin hatte ein dickes graueS Tuch um die Schultern gewickelt und trug große mit Schafpelz gefütterte Hausschuhe. Sie sparte in ihrem Zimmer gern an Heizmaterial, denn wie sie Thyra ein. mal unter dem Siegel strengster Diskretion vertraute, hatte sic ihr kleines Vermögen bei den vorigen Patenten beinahe zugesetzt. Die Zinsen reichten nicht mehr zum Leben, sie mußte jedes Jahr vom Kapital nehmen. Heute strahlte sie vor Wonne. Die Briefe, die sie Thyra zeigen wollte, waren von in- und ausländischen Agenten, die ihre Vermittlung in der Patentsache an- boten.
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