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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020925029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-25
- Monat1902-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./L 60.—, mit Postbeförderung 70,—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgeu-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Antigen sind stet» an tue Expedttion zu richten. Die Erprditton ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sk. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. September. Auch die gestrige Sitzung der Zolltarif-Commission des Reichstag- bat die Aussichten auf ein Zustandekommen de- Tarifs nicht gebessert; eher könnte man das Gegentheil behaupten. Es handelte sich um die Vieh zolle, deren in erster Lesung erfolgte Erhöhung die Regierungsvcrtreter be kanntlich als unannehmbar bezeichnet halten. Am meisten war man gespannt, wie in zweiter Lesung die dem Cent rum an gehörigen Commissionsmitglieder sich verhalten würden, daS bekanntlich beschlossen hat, nur im „Allgemeinen" an den Beschlüssen erster Lesung festbalten zu wollen. Aus dem Munde des Centrumsabgeordneten Herold erfuhr man nun, daß er und seine Freunde in diesem Punkte an den Be schlüssen erster Lesung starr festhaiten und ohne Mindest» zolle für Vieh und Fleisch den Zolltarif für unannehm bar erklären wollen. Zwar erklärte bann der gleichfalls dem Centrum angehörige Abg. Sittart, die Erklärung Hnold'S habe nur eine rein persönliche Bedeutung, dafür aber sprang der Abg. Speck seinem Parteigenossen Herold schleunigst mit der Versicherung bei, der weitaus größere Theil des CentrumS hege nicht die Absicht, von ven Mindestzöllcn für Vieh und Fleisch abzuweichcn. Wie vorauszuseben war, erklärte darauf der Staatssekretär Gras Posadowsky: Es sei die einstimmige Ansicht der verbündeten Regie rungen, daß einer Erweiterung des Systems der Mindestzölle nicht zugestimmt werden könne und auch die in erster Lesung beschlossene Erböhung der Vwhzölle nicht durchführbar sei. Die Aussichten auf ein Zu standekommen des Tarifs wäre» hiernach gleich Null, wenn das Centrum einig und wenn seinen Führern der Gedanke an die Mitverantwortlichkeit für das Scheitern der Vorlage nicht peinlich wäre. Daß er das ist und daß man im Centrumslager immer noch hofft, durch irgend welches Entgegenkommen der Regierungen in die Lage rer- setzt zu werden, vor den CentrumSwählern die Mitwirkung am Zustandekommen des Tarifs verantworten zu können, geht deutlich aus einem Artikel der „Köln. VvlkSztg." hervor, der folgendermaßen beginnt: „Die Frage des ZolllariseS treibt zu einer Krisis. Soll er noch gerettet werden, so müßte Verschiedenes geschehen, und zwar baldigst. Aber vom Bundesrath hört und sieht man nicht-: kein Entgegenkommen bei den Agrarzöllen, um die Lage gegenüber der Obstruction zu verbessern, keine Diäten, um die Beschlußfähigkeit des Reichstage- aufrecht erhalten zu können, nicht einmal der Versuch einer Verständigung mit der Mehrheit LeS Reichstages. Kann der Bundesrath nichts thun, um da- Werk zu retten, oder will er nicht- mehr dafür thun? Oder hofft er vielleicht gar, noch mit seiner Vorlage dnrchzukommen, ohne etwas zu thun? Es ist einstweilen sehr schwer, über diese Fragen volle Klarheit zu gewinnen, zumal der Bundesrath nicht versammelt und der Reichskanzler noch immer von Berlin abwesend ist." Da der Bundesratb erst vorgestern durch den Mund deS Grafen Posadowsky sehr eingehend und entschieden ge sprochen hat, so ist eS allerdings sehr seltsam, baß das rheinische Centrumsblatt vom Bundeörathe nichts zu hören und zu sehen behauptet und volle Klarheit erst vom Reichs kanzler zu erwarten vorgiebt. Freilich hat der Staatssekretär des Innern von Diäten nicht gesprochen und auch von anderen Darbietungen nicht, die etwa dem Cenlrum für ein Einlenken gemacht werden könnten. Und das ist wohl der Hauptgrund, aus dem die „Köln. VollSztg." nach dem Grafen Bülow ruft. Daß dieser den StaatSiekrelär deS Innern verleugnen werde und könne, wird daS klerikale Blatt nach den wiederholten und übereinstimmenden Erklärungen einzel staatlicher Minister wohl selbst nicht glauben. In P renk cn soll wieder einmal ein Ketzergericht ver anstaltet werden, nachdem erst die Behandlung deS Falles Neidhardt durch die Kirchenbehörden die öffentliche Auf merksamkeit erregt hat. Die Angelegenheit hat eine um so größere Bedeutung, als sic darauf hinauslänst, die Frei heit der Wissenschaft auf den preußischen Universitäten an- zutastcn. Der Professor der praktischen Theologie in Kiel, Baumgarten, hat schon lange das Mißfallen der orthodoxen Geistlichen Schleswig-Holsteins erregt; eine frühere Eingabe an den Eultusminister ist erfolglos ge blieben, nunmehr fordern sie in einem neuen Schreiben an den Minister, daß die Professur für praktische Theologie nicht ferner einem Manne anvcrtraut bleibe, der dem Bckcnntniß der Kirche feindselig gegcnüberstehc. Hier wird also geradezu die Entfernung Baumgartens von seinem Lehrstuhle gefordert, obwohl die Geistlichen wissen müßten, daß diese Forderung nach dem Statut der preußischen Universitäten gar nicht erfüllt werden kann. Selbstverständ lich hat das Vorgehen der schleswig-holsteinischen Ortho doxie die volle Billigung der „Kreuzztg."; diese ist aber noch so besonnen, ihren Gesinnungsgenossen vorzuhalten, daß die Forderung der Absetzung sich nicht verwirklichen lassen wird. Dagegen weiß das Blatt einen anderen Rath, indem eS auf die Möglichkeit hinweist, dem Professor Baumgarten einen Eollcgen an die Seite zu setzen, der die praktische Theologie im Sinne -er 103Geistlichcn Schleswig-Holsteins vertrete. Es wäre in Preußen nichts Ungewöhnliches mehr, wenn der Eultusminister nach dem Rathe der ,„Kreuzztg." verführe; das Snstem der „Strafpro- scssoren " ist leider nicht mehr unbekannt. Vor einigen Jahren wurde die Universität Bonn dazu auscrsehcn, dieses Snstem in. der Praxis zu erproben. Man darf neu gierig sein, ob der gegenwärtige Enltnsministcr Studt dieses Mittel seines Vorgängers, liberale Theologen auf akademischen Lehrstühlen unschädlich zn machen, auch seinerseits anwendcn wird. Dr. Studt hat schon mancherlei Proben dafür abgelegt, daß seine Sympathie auf der Seite der evangelischen Orthodoxie steht; es wäre also sehr wohl möglich, daß in Preußen ein Verfahren sich cinbürgerte, das den Grundsätzen der Lehrfreiheit an den Hochschulen völlig widerspricht. Die Absetzung Baumgartens wird der Minister nicht verfügen können, aber cs ist nicht ausge schlossen, daß er durch die Befolgung des Rathcs der „Kreuzztg." der Orthodoxie sein Wohlwollen zu beweisen geneigt ist. Im Interesse der preußischen Universitäten müßte man die Berufung eines Strafprofessors nach Kiel tief beklagen. In England beschäftigt gegenwärtig die Frage der wirthschaftlichen Lage und Zukunft der ans Südafrika zuriickkehrenden Truppen weite Kreise, zumal die allge meine Arbcits- und Geschäftslage eine solche ist, daß man nicht ohne erhebliche Bedenken der infolge des starken An gebots billiger Arbeitskräfte zu erwartenden weiteren Herabsetzung der Löhne entgcgcnsieht. Schon jetzt hat sich die Zahl der bei den für Reservisten eingerichteten Arbeits nachweisen ansprechenden Beschäftigungslosen mehr als verdoppelt. Dabei steht die Gefammtzahl der zur Ent lassung kommenden, Mannschaften keineswegs fest, was allerdings der Vcrwaltungsthätigkeit der britischen Mili tärbehörden kein sehr günstiges Zeugnis; aussteilt. Unter den zur Entlassung kommenden Mannschaften dürften die jenigen Soldaten, deren Dienstzeit abgelaufen ist, und diejenigen, die sich für eine zeitlich begrenzte Dienstzeit anwerben ließen, die größten Evntingente stellen, während andererseits die Zahl derer, die theils zur Reserve über treten, kheils weiter in der activcn Armee verbleiben, ver- hältnißmäßig gering sein dürfte. Merding's werden die Uebclstände, welche der wirthschaftliche Wettbewerb der beschäftigungslosen Mannschaften naturgemäß mit sich bringen muß, dadurch einigermaßen gemildert werden, daß für die im Laufe des Krieges getödteten oder invalid ge wordenen Truppen des stehenden Heeres Ersatz geschaffen werden muß. Das Kriegsamt aber erklärt sich außer Stande, die Zahl der erforderlichen Mannschaften auch nur annähernd anzugebcn, bevor nicht eingehende Berichte der auf dem Kriegsschauplatz thätig gewesenen Verwal tungsbehörden vvrliegen. Immerhin läßt sich ermessen, daß, wenn in gewöhnlichen Jahren 40 000 Mann zur Entlassung kommen, zu einer Zeit, die eine ganz außerordentliche Vermehrung der Streitkräfte nvthwendig gemacht hat, diese Zahl ganz erheblich überschritten werden wird. Im Jahre 1001 hatten 18 000, im laufenden Jahre Haven 10 000 Mann ihre Dienstzeit beende:, weitere 80 000 Mann, nach den Angaben des Kriegsamtes, wurden als Reserven einberufen, so daß danach die Zahl der zur Entlassung kommenden Mannschaften, vermehrt durch die Zahl der „auf Zeit" angcworbcnen Truppen, auf min destens 150 000 Mann zu veranschlagen sein dürfte. Hier von wäre außer den gesetzmäßig erforderlichen 34 000 Maun, die zur Nccrutirung der ausgedienten Mann schaften einberufen werden müssen, roch diejenige Zahl in Abzug zu bringen, die in Folge der durch die Arinccreform beabsichtigten Vermehrung der Eadres erforderlich wer den würden. Man steht aber in sachkundigen englischen Kreisen diesem Plane durchaus skeptisch gegenüber und ist der Meinung, daß die vollständige Durchführung des Projektes an dem Mangel des erforderlichen Recruten- matcrials scheitern wird. Mithin kann die wirkliche Zahl der nach nnd nach zur Entlassung kommenden Mann schaften auf rund 100 000 Mann angenommen werden. Ein Theil dieser Leute wird bei den Verwaltungsbehörden, so wie im Pvstbetricb, der jährlich 2500 Neueinstellungen er fordert, Beschäftigung finden können. Natürlich kann die Zahl der auf diese Weise absorbirten Arbeitskräfte nicht allzu bedeutend sein, so daß, wenn nicht der von den Leitern der Arbeitsnachweise für Reservisten ausgcgangene Vor schlag, die „erfolgreichen" Armeelieferanten zur Be schäftigung von Reservisten zn verpflichten, in weiten Kreisen Anklang nnd Unterstützung findet, die allgemeine Wirthschaftslage der breiten Volksschichten Englands unter der wachsenden Vermehrung der Arbeitslosen noch mehr als bisher zu leiden Haven wird. Ueber die Verhaftung der bulgarischen Agitatoren in Athen wird uns von dort nnterm 22. September ge schrieben: Die griechische Regierung befindet sich schon jetzt in einer sehr schwierigen Lage gegeniiber den Umtrieben des bulgarisch-makedonischen Comitös. Täglich lommen neue aufregende Meldungen über Unthaten, welche von Bulgaren gegen makedonische Griechen verübt werden. Die Nachricht, daß der Metropolit von K a st o r i a von Meuchelmördern getödtet sei, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt; thatsüchlich wurde ein Anschlag gegen das Leben dieses Kirchenfürsten verübt, der jedoch rechtzeitig vereitelt wurde. Immerhin aber kommt jede Woche mindestens eine Mordthat gegen Griechen zur Aus führung, fo daß die gesammte griechische Bevölkerung Makedoniens in steter Furcht und Aufregung leben muß. Es ist daher begreiflich, daß die öffentliche Meinung iu Griechenland das denkbar strengste Vorgehen gegen die in Athen verhafteten Bulgaren fordert. Ganz besonders verlangt man den peinlichen Proceß gegen den hier ver hafteten Agitator und Arzt Tartitschew, welcher er wiesenermaßen an der Ermordung des griechischen Arztes Sakcllarion in Saloniki betheiligt war. Allerdings Hal Tartitschew wegen seiner Thaten bereits vor den türkische,! Gerichten gestanden und wurde dafür zu siebenjähriger Zwangsarbeit verurtheilt. Wenn er nun jetzt vom Sultan begnadigt wurde, so ist es für die griechische Regierung vom streng juristischen Standpuncte schwer, gegen ihn wegen der gleichen Thaten noch einmal vorzugehen. Da gegen liegen auch sehr viele Angriffe des bulgarischen Eomites gegen griechische Staatsangehörige vor, außerdem ist cs erwiesen, daß das Eomitö, dessen Mitglied Tartitschew ist, auf griechischem Boden viele Strafthaten vorbereitet und theilwcise auch ausgeführt hat, fo daß auf Grund dessen sehr wohl ein Strafverfahren gegen Tartitschew und dessen mit ihm verhaftete Genossen cingeleitet werden kann. — Jedenfalls aber befindet sich die griechische Re gierung in der größten Schwierigkeit hinsichtU-h dieses Treibens. Sic weiß, daß jede Verurtheilung der in ihre Gewalt gefallenen Bulgaren von dem bulgarischen R c v o l u ti o n s c c m i t 6 an makedonischen Griechen dreifach ge rächt w e r d e n wird. Die Regierung ist daher völlig rathlos, wie sie sich in dieser Frage verhalten soll; voraus sichtlich wird sie sich an die Großmächte mit der Bitte wenden, gegen die Anarchie in Makedonien mit ernsten Maßnahmen einznschrcitcn. Deutsches Reich. /V Berlin, 24. September. (Statistik der Ar beitslosigkeit.) Zu den nicht unerwünschten Folgen der wirthschaftlichen Krisis, welche vor zwei Jahren ein gesetzt und insbesondere auch die Arbeiterschaft schwer be troffen hat, gehört die wachsende Einsicht in die Noth- wcndigkeit, eine genaue fortlaufende Statistik der Arbeits losigkeit zn führen. In -er Versammlung -er Vorstände und Verwaltnngsbcamten der Krankenkassen Berlins und der Vororte im August dieses Jahres wurde der Vor schlag der Arbcitervcrsicherungsämter, die Summe -er monatlichen Bacanzen von der Summe der Arbeits angebote zu subtrahiren, für nicht annehmbar erklärt, weil dieses Verfahren keine genauen Zahlen über Arbeits losigkeit ergeben würde. ES sei aber möglich, diese Zahlen durch eine monatliche Statistik der Krankencassen zu er mitteln; denn wenn die Zahl der Versicherten abnehmc, müsse natürlich Arbeitslosigkeit die Ursache fein. Nur die Krankencassen seien in der Lage, ein genaues Bild vom Stande des Arbeitsmarktes zu geben. Zum Zwecke dieser Statistik müßten sie sich eines einheitlichen An- und Ab- meldeformulars bedienen. — Zur Zeit schweben zwischen dem reichöstatistischen Amte und der Centralcommission der Krankencassen Berlins Verhandlungen, die noch nicht zum Abschlüsse gelangt sind. Dem Verbandstage der deutschen Ortskrankcncassen, der vom 5. bis 8. October in Hamburg tagen wird, ist folgende Resolution zur Ab stimmung unterbreitet: Der Verband der Orts-Krankcn- cassen wolle beschließen: Zum Zwecke einer fortlaufenden Fenilletsn. Das Testament. Eine oberösterrcichische Erzählung v. Fanny Kaltenhauser. (Nachdruck ohne Honorirung auch in Amerika verboten.) Da ist er mit zwei, drei Schritten bei ihr und zieht sie an -er Hand herein. Und er merkt, daß sic nicht zu viel gesagt hat, daß sic ganz naß ist. Die Tropfen rieseln nur so herunter an ihr und rollen auf den Fußboden hin. „Jessas mein', so naß bist!" stotterte er. „Kein Faden trocken am G'wand! Arm's Dirndl! Geh', geh', komm' — und da setz' Dich lieber zum Ofen, ist besser! Wart', i leg' ein Scheitl nach, daß 's Feuer besser brennt! Da kannst ein bißl trocken, derweil i such'/' Er wirft richtig ein paar Scheite in die Gluth, die noch übrig ist vom Feuer, das zu Mittag im Ofen gebrannt hat; denn cs ist schon ein wenig kalt an diesen regnerischen Herbsttagen. Da es nicht gleich brennt, legt er noch Späne in den Ofen und bläst hinein in die Gluth. Endlich flackert cs hell, glühroth auf. Er richtet sich empor und sieht wieder nach dem Dirndl, das sich nicht gesetzt hat. :sm Schein der flackernden Flamme steht die schlanke, schmiegsame, reizvolle Gestalt; der röthlichc Schimmer füllt über das weiße Gesicht. Eine Strähne des rvthbrauncn Haares fällt auf die schmale, niedere Stirn herein und flimmert goldig auf im Feucrfchein. Wunderlich schön steht sie da mit den trotzig leuchtenden Slngcn, dem tiefrothen, znsammcngeprcßtcn Mund. „Wie heißt denn?" fragt er jäh. Einen Augenblick lang schaut sie ihn an, schier böse und als wolle sie ihm leine Antwort ans seine Frage geben; aber wie er sie so anschaut mit so heißem Schimmer in den Augen, als hänge für ihn gar viel daran, die Antwort auf seine Frage zu erfahren, da schmilzt der Trotz in ihren Zügen, der flackernde Blick ihrer Augen erlischt zu einem ruhigen, stetigen Schauen. Dennoch ist der Ton zögernd, mit dem sie Antwort giebt: „Jula!" „Jnla heißt D'? Ah geh', Jnla!" Er spricht es für sich hin, als müsse er sich erst in den Namen finden, als wäre ihm derselbe arg fremd; und dann wiederholt er ihn ein paar Mal, bis derselbe zuletzt in einem heimlichen, süßen Ton verklingt: „Jula — Jula! Jula — Jula!" Selbstvergessen starren sie seine Augen an; nun hat er sich in den Namen gefunden, nun klingt ihm derselbe lieb und vertraut; und als gefalle ihm das Dirndl durch den Namen noch besser, so leuchten jetzt seine Augen auf, während er in das schöne, blasse Gesicht sicht. Er streckt dem Dirndl beide Hände hin und stößt hastig hervor: „Der Nam' g'fallt mir! Der ist so lieb wie — wie Du!" Sie nimmt seine Hände nicht; verwirrt steht sie und schant ihn an — einen wunderlichen Blick in den Augen. Langsam steigt in ihr Gesicht eine Gluthröthe, die ihr zn dem wunderlichen Ausdruck der Augen sonderlich gut steht. Aber jah wendet sie sich von ihm ab und stößt in herbem Ton hervor: „Was willst von mir, daß D' so red'st? Das ist mir ung'ivohnt nnd i will's auch nct hören! B'sinn' Dich, i will nichts von Dir wie — Hadern!" Nachdrücklich spricht sie das letzte Wort, als möchte sie ihn darauf aufmerksam machen, was cs mit ihr sei. Und er schrickt zusammen; er hat völlig vergessen, was sie ist und was sie hier haben will. Gesenkten Kopses geht er an ihr vorüber und will in seine Kammer treten; aber da besinnt er sich, daß er nichts hat für sie da drinnen. Nur sein Svnntagsgcwaüü hängt im Kasten und in der Truhe liegt seine Wäsche, deren abgenutzte Stücke sauber geflickt sind; seine Mutter hält eben Alles gut in Ordnung; von seinen Sachen kann er nichts wcggcben, da ist Alles noch gut zu gebrauchen. Aber in der Kammer seiner Eltern, da ist sicherlich 'was zu finden; dort hat die Mutter ihre Flicktruhe stehen und in derselben wird Allerlei sein, was er dem Dirndl geben kann. Er geht quer durch die Wohnstube und aus dieser hinaus, schweigend, ohne einen Blick nach dem Dirndl zu thun. Die Jula aber starrt ihm nach, ein seltsames Glänzen in den dunklen Augen, still, ohne sich zu regen; nur die Lippen zucken leise. Da hört sie im Flur draußen die Stimme der alten Magd erschallen. „Was will denn der Franz? D' Mnatter hat nichts drinn' in der Kammer, hat All's der Peter neulich mitg'nommcn." „Ah, 'leicht ist doch noch 'was zu finden!" antwortet der Franz. Und Jula hört eine Thür im Flur auf gehen, — und jetzt kommen Laute von ihren Lippen, gestammelte Worte in herzinnigem Ton: „Franz — heißt er! — Franz!" Ein Zittern überläuft die schmächtige Mädchengcstalt; dann fahren die beiden Hände empor nnd legen sich vor das weiße, schöne Gesicht, in dem es leidenschaftlich zuckt. In verhaltenem Schluchzen bebt die junge Brust. Draußen in der Eltern Kammer aber kramt der Franz in der Flicktruhc. Da scheint wirklich Alles ausgeräumt zu sein. Die paar Flicken da drinnen kann er der Mutter nicht nehmen, er weiß nicht, ob sic dieselben nicht noth- wcndig braucht. Aber da ganz unten, zuletzt, liegt ein alter Kittel, vielfach abgeflickt und altersmürbe in jedem Fädchen. Den giebt er ihr, der Jnla; er legt ihn auf einen Stuhl. Aber das ist noch zu wenig, das zahlt sich ja mit dem Wägen gar nicht aus. Und hastig beginnt er in den zwei Schränken und in einer zweiten Truhe zu kramen. In dieser Truhe sind des Vaters Sachen; die selbe ist sonst gern versperrt, der Vater hat im Seiten fach da drinnen verschiedene gut aufzubewahrende Schriften. Heute steckt zufällig wieder einmal der Schlüssel. Vielleicht hat der Vater eine alte Hose oder einen Nock oder sonst 'was Unbrauchbares da drinnen. Er nimmt Alles heraus und legt es nach genauem Be sehen bei Seite. Es dünkt ihm Alles noch gut und brauchbar. Der Vater würde schelten, gäbe er 'was Gutes her. Aber da — ja, dieser alte, abgenützte Nock da, der ist nichts mehr wcrth. Er faßt den Stoff zwischen zwei Fingern an und beginnt die Festigkeit zu prüfen; aber kaum cr'S thut, gehen die Fäden schon auseinander. Der ist nichts mehr wcrth; der Vater hat sicher vergessen, den Rock einmal hcransznthun, um denselben dem Hadernsammlcr zu geben; er hat ja auch ganz unten ge legen — wie ein längstvergessencs Stück. Und ziemlich alt muß der Rock schon sein; denn er kann sich nicht erinnern, denselben jemals am Vater gesehen zu haben. Den giebt er zum Kittel — das ist dann doch etwas, wenn auch nicht viel, für das Dirndl dort drinnen. Und mit den beiden Stücken geht er hinein in die Wohnstube, voll Hast, zufrieden lächelnd. „Hab' halt doch 'n»as g'sunden", sagt er, da er cintritt. „Freilich, ob Du'S magst, ist eine Frag'! Wird grad' net viel dran sein." Und er lacht leise. „Ist ja nur grad', daß i Dich net um sonst gehen lass'; hätt'st ja Zeit und Weil' umsonst vcrthan im Hof da. Und möcht'st sagen, zuerst tractirt er mich in d' Wohnstuben herein und thut groß, und nachher find't er net einmal so ein lumpig's, einzig'ö Stückl!" Ueber ihr eben noch so ernstes Gesicht zieht es nun doch auch wie ein Lächeln. Und da läßt er die beiden Stucke aus seinen Händen fallen nnd streckt ihr diese mit rascher Gebcrdc hin. „Schon, wenn so gut lachen thnst, viel schöner bist noch!" entfährt eS seinen Lippen in ehrlicher Bewunderung. „Ja, 's Lachen hab' i schier net g'lernt", meint sie und beugt sich dann hastig zu den Sachen nieder, die der Franz fallen gelassen hat. Die Waage liegt neben ihr am Boden, sic greift darnach, nestelt den Rock und den Kittel zusammen und hängt Beides an die Waage. „Mich ziemt, da im Nock raschelt ein Papier", sagt sie unter dessen. „Hast doch nichts vergessen da drinnen?" „Meinst cppa, ein' Fünferbanknoten?" fragt der Franz lachend dagegen. „Ah wohl, da sei unb'sorgt! Bei uns fliegen die Fünfer! net so herein, daß wir's grad' so ver gessen könnten in der Rocktaschen! Die finden allemal gleich wieder ihren Weg aus der Brieftaschen hinaus und beim Hvfthor hinaus. I mein', 's kann Niemand g'schlcunigcr von uns fortgchcn, als wie d' Fünfer!«! Aber wcnn's einer ist, daß D' ihn halt fein sauber zurück bringst, hörst?" Und ernsthafter setzte er hinzu: „Wird halt ein Tabakpapier sein, was der Vater da eing'steckt hat — wenn Dich überhaupt net girrt hast mit 'm Rascheln! Mein Vater hat ja in seiner Jugend schon so gern g'raucht wie jetzt noch alleweil, weißt? Aber jetzt wirft er die Tabakpapicrln eher in 'n Ofen, als daß er s' in 'n Sack steckt; denn wenn d' Muattcr über so ein Papicrl kommt, nachher schimpft s', daß der Vater auch noch dazu hüls', daß 's liebe Geld in Rauch aufging' bei uns!" „Ist Deine Mnatter so eine Knickerische?" fragt das Mädchen leichthin, noch immer an der Waage nestelnd. „Ah wohl, das net! Sie ist eine Hstitc!" versichert der Franz hastig und fügt dann seufzend hinzu: „Aber 's Geld hat halt keine» B'stand bei uns! Da heißt 's sauber Zusammenhalten, sonst —"; er endet nicht, sondern sicht schweigend dem Dirndl zu, das eben die Waage mit den darangehängten zwei Stücken emporhebt und aufmerksam das Geivicht prüft. „Da", sagt sie, „viel kriegst nct dafür! Vier und einen halben Kreuzer. Mehr wicgt's net. Schan selber zu!" Da drängt er sich nahe an sie, so daß ihr Athem seine Wange berührt. „Jawohl, Tu könnt'st mich betrügen mit die zwei Stück'!" sagt er ernsthaft, und dann, wie er zurücktritt, lacht er. „Wär' schon gleich g'scheiter, i nahm' gar nichts dafür und thät' Dir's schenken! Aber i fürcht', Tn nähmst es nct einmal an. Schaust mir grab' aus darnach!" Die Jula hat sich eben gebückt, um die Sachen von der Waage lvszulöscn, jetzt wendet sie hastig den Kopf zur Seite und sicht so von unten auf zu ihm cmpor. Vorhin schon mögen sich die Zipfel des Kattuntuchcs, welches sic um den Kopf geschlungen trägt, gelockert haben, jetzt, bet
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