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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031012018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903101201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903101201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-12
- Monat1903-10
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Tabellarischer und Ziffernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertrnanuahme Sb H (excl. Porto). Grtra - Beilage« (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördernng 60.—, mit Postbesörderung 7V.—» Iiunahmeschiuß für Anzeigen: Abend-AuSgabr: Bormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pot- iu Leipzig. Nr. SIS. Montag den 12. Oktober 1903. 97. Jahrgang. Letzt« Nachrichten. G Berlin, 11. Oktober. In seiner letzten Plenar sitzung hat der BundeSrat AuSfllhrungsvorschriften -um Gesetze über die Bekämpfung gemeinge fährlicher Krankheiten den zuständigen Aus schüssen zur Beratung überwiesen. Der BundeSrat hat in dem Gesetze eine ganze Anzahl von Vollmachten er halten. So hat er Bestimmungen über die Ausführung der im Gesetze vorgesehenen Schutzmaßnahmen, insbe sondere der Desinfektion, zu treffen, hat Maßnahmen zur Verhütung oder Einschleppung der gemeingefährlichen Krankheiten aus dem Auslande zu ergreifen, ist ermäch tigt, Vorschriften über die Ausstellung von Gesundheits- Pässe» für die aus deutschen Häfen ausgehenden Seeschiffe zu beschließen, kann über die bei der Ausführung wissen schaftlicher Arbeiten mit Krankheitserregern zu be obachtenden Vorsichtsmaßregeln, sowie über den Verkehr mit Krankheitserregern und deren Aufbewahrung Be stimmung treffen, kann Verkehrsbeschränkungen und DeS- infektionSmaßnahmen für Eisenbahn- und Postverkehr, so wie für SchtffahrtSbetriebe bestimmen usw. In dem jetzt dem Bundesrate vorliegenden Vorschrtftenentwurfe dürfte eS sich um verschiedene dieser Maßnahmen handeln. Fehl gehen wird man wohl auch nicht in der Vermutung, baß darin die Ausführung wissenschaftlicher Arbeiten mit Krankheitserregern be handelt wird, nachdem bekanntlich vor längerer Zeit tu Berlin rin bedauernswerter Vorfall die Aufmerksamkeit noch besonders hierauf gelenkt hatte. /X Berlin, 11. Oktober. Die dem Reichstage zu gehenden Militärforderungen werben sich, wie wir zuverlässig Hörem, in sehr bescheidenen Grenzen Halter». Berlin, 11. Oktober. An den gegenwärtig hier ftattfindenben HjandelSvertragS-Berhand- lungen zwischen Vertretern der Reichs- und der schweizerischen Regierung nehmen auch Delegierte der süddeutschen Einzelstaaten teil. Letztere kommen als Adjazenten der Schweiz bet dem Vertrag mit der Schwei- hervorragend in Betracht. * verliu, 11. Oktober. Unter den Privatangestellten Deutschlands wird am 1v. d. MtS. aus Veranlassung des Reichsamtes des Innern eine allgemeine Erhebung durch Fragebogen stattfinden, zum Zwecke der Vorbereitung einer PensionS- und Hinterbliebenen-Ver sicherung der Privatangestellten auf staat licher Grundlage. (Lok.-Anz.) * Posen, 11. Oktober. Zur heutigen Enthüllungs feier des BiSmarckdenkmalS haben Sondcrzüge aus allen Richtungen der Provinz Tausende von Menschen hierher gebracht. Vereine und Gewerkschaften mit Fahnen und Kränzen sainmeln sich auf dem Sapiehaplatz und ziehen mit Musikkorps an der Spitze und im Zuge nach dem Denkmalsplatze vor dem Berliner Tor. Die öffentlichen Gebäude und viele Privat häuser tragen Flaggensckchiuck. — An der Bismarckfeier nahmen teil: Fürst und Fürstin Bismarck, Graf Rantzau, die Minister Freiherren von Nheinbabcn und von Hammerstein, der Kommandierende General von Stülpnagel, Oberpräsidcnt von Waldow, Oberbürgermeister Or WilmS. Polizeipräsident von Hellmann, die Spitzen sämtlicher Behörden, ferner in Ver tretung des Kultusministers Ministerialdiektor Or. Schwartz- kopfs. Nachdem die Vereine mit ihren Fahnen im Halbkreise um das Denkmal Aufstellung genommen hatten, hielt der Vor- sitzcndc des DenkmalSausschnsseS, Major von Tiede mann - S c e h e i m , die Festrede, in der er ausführte, die Errichtung des Denkmals entspringe dem Wunsche, ein Panier deutscher Treue zu pflanzen dem zum Danke, der dem deutschen Volke wiederum Vertrauen zu sich und zu der ihm innewohnen den geistigen und sittlichen Kraft eingeflößt habe. Bismarck habe ohne Zaudern den Kampf gegen alles Undeutsche an des Reiches Grenzmarken ausgenommen und auch in der Ostmark die Deutschen zu neuer Pionierarbeit ermutigt. Diesem neu er weckten deutschen Geiste sei eS ein Bedürfnis, ein Bismarck denkmal in Posen zu errichten als sichtbaren Ausdruck der treuen deutschen Dankbarkeit, als feierliches Gelübde und stete Mah nung, niemals der Aufgabe untreu zu werden, die deutsche Vorherrschaft im Osten auf einen unzerstörbaren Fels zu stellen. — Nack der Enthüllung übergab Major von Tiedemann dem Oberbürgermeister daS Denkmal, der es in die Obhut der Stadt übernahm und ausführte, das Denkmal werde all täglich an die Pflicht gemahnen, dankbar eingedenk zu sein des genialen Schöpfer« einer großen Zeit, der seine welthistorische Mission in so wunderbarer Weise erfüllt habe und al« Dank für die allzeit bewiesene, den Grundzug seiner Lebens- und StaatS- auffassung bildenden Treue daS unerschütterliche Vertrauen seines kaiserlichen Herrn genossen habe, der seinerseits ein Vor bild der selbstlosen Pflichterfüllung gewesen sei. Den Ueber- lieferungen und Tugenden seines hochseligen Großvaters folge der Enkel. Auch ihm sei daS rastlose Streben und die nie er müdende Arbeit für das Wohl des Volkes eigen. Die Rede schloß mit einem Hoch auf Kaiser Wilhelm bl., das mit Be geisterung ausgenommen wurde. Nach der Besichtigung des Denkmals und nach Nicderlegung von zahllosen Kränzen er folgte der Abmarsch der Vereine zum Festesten. — Die Reihe der Toaste bei dem Festmahle im Saale des Zoologischen Gartens wurde von dem Kommandierenden General von Stülpnagel mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser eröffnet; in demselben mahnte er in Anlehnung an die Inschrift des Kaiser Wilhelm-Denkmal» am deutschen Eck zu Koblenz: „Nimmer wird das Reich zerstöret, wenn ihr einig seid und treu", die Deutschen in Posen zu jeder Zeit einig, deutsch und treu zu sein. Hierauf ergriff Oberpräsident von Waldow das Wort. Er führte aus, was Bismarck dem deutschen Volke gewesen und immerdar sein werde, könne in einem Denkmal nicht erschöpft werden. Es sei in das Herz des Volkes ein gegraben und werde nie vergessen werden, so lange das deutsche Volk noch Ehre im Leibe habe; denn Bismarck habe daS Volk aus dem Nebel kosmopolitischer Träume auf den realen Boden einet gesunden nationalen Egoismus gestellt, habe eS wieder deutsche Art gelehrt. Sein Wort: „Seien Sie einig und lasten Sie den nationalen Gedanken vor Europa leuchten", gelte auch heute, und zwingender als in allen anderen Gauen des Vater landes trete diese Mahnung an jeden deutschen Mann in der Ostmark heran. Das Vaterland solle das Kleinod sein, das über allem Tagesstreit in ungetrübtem Glanze erstrahlen solle. Die Rede schloß mit einem Hoch auf das deutsche Vaterland. — Nach der Begrüßung des Fürsten Herbert Bismarck und seiner Gemahlin durch den Vorsitzenden des Denkmalskomitecs, Major von Tiedemann-Seeheim, dankte der Fürst für die freundliche Begrüßung, die ihm zu Teil geworden, und knüpfte an die Worte seines Vaters an, der die Wacht an der Warthe der Wacht am Rhein gegenüberstellte. Er forderte die Deutschen auf, die Polen mit geistigen Waffen zu bekämpfen und sprach seine Ver wunderung aus, warum die Polen stets das Andenken seines VaterS verunglimpfen, wozu ihnen jede Berechtigung fehle; so lange die Polen eine eigene Fraktion zur Vertretung der pol nischen Interessen bildeten, müßten die Deutschen eine einzige deutsche Fraktion den Polen gegenüberstellen. Fürst Herbert Bismarck schloß mit dem Wunsche, daß es der Hauptstadt der Provinz, die zugleich der Hauptsitz der Intelligenz der Deutschen dieses Landesteiles sei, immer gut gehen, daß sie wachsen und gedeihen und daß jede« Jahr die Zahl der Deutschen und der loyalen Untertanen zunehmen möge. Hierauf brachte der LandeSmarschall von Wilamowitz-Möllendorf einen Trinkspruch auf die Ehrengäste und den Schöpfer de» Denkmals, Professor Eberlein, au». Nunmehr ergriff Minister von Hammer st ein das Wort und führte nach dem Ausdruck des Tankes und der Anerkennung für daS Denkmalskomitee etlva folgendes aus: Die Fülle besten, was diese herrliche Provinz, diese in ihrer Entwicklung rüstig voranschreitende Stadt, wie deren liebenswürdige und arbeitsame Bewohner Erfreuliches bieten, ist so groß, daß es eine Freude und für einen seinem Könige und dem Vaterlande verantwortlichen Vertreter der Ne gierung eine besondere Freude ist, den Gefühlen des Dankes und der Anerkennung für die unablässige treue Mitarbeit von Stadt und Provinz in dem schweren Kampfe, den hier Deutsch tum und preußische Staatsidee zu führen haben, zum Ausdruck zu bringen. Wenn heute jedem guten Deutschen der Puls leb hafter, daS Herz wärmer und inniger schlägt, sowie eS Posens, der deutschen Vorburg im Osten, gedenkt, wo dem deutsch preußischen Panier zur Seite für unser Volkstum, für Staat und Reich so kräftig gearbeitet ist, so ist auch das Bismarcks Werk. Sein ganzes Leben war von Gedanken und Taten für Deutschlands und Preußens Grüße und Wohlfahrt erfüllt, und auch in unserer Ostmarkenpolitik hat er uns neue feste Bahnen gewiesen und das Banner neu aufgepflanzt: „Hie gut Deutsche allewege". Meine Herren! Draußen im Reiche hat leider nicht immer die Ueberzeugung geherrscht, daß alles, was hier geschieht, ganz Deutschland und Preußen berührt, daß die deutsche Vorherrschaft in der Ostmark ein Lebensbedürfnis für das gesamte Reich ist. Polens Auferstehung ist noch vor fünfzig Jahren von deutschen Dichtern nicht nur, sondern auch von deutschen Politikern als erstrebenswertes, ja als ideales Ziel allgemeiner Völkerverbrüderung gepriesen. Man empfand nicht die drohende Gefahr für unser ganzes Volkstum. Erst ein Bismarck hat das Nationalgefühl wieder geweckt und aus dem idealistischen Träumer den die realen Verhältnisse und Be dürfnisse berücksichtigenden Deutschen gemacht, der heute in Nord und Süd, in Ost und West sich eins fühlt mit seinem Kaiser und König, der hier vor Jahresfrist es als seinen hohen Willen bekundete, dafür zu sorgen, daß diese Provinz, die un auflöslich mit der preußischen Monarchie verknüpft ist, stets gut preußisch und deutsch bleibe. Freudigen, begeisterten Widerhall har diese kaiserliche Kundgebung auch hier gefunden, dessen ist auch das heute enthüllte Bismarckdcnkmal ein Wahrzeichen, ein Wahrzeichen zunächst für die Polen draußen im Auslande und für unsere polnisch sprechenden Staatsangehörigen. Die markige Gestalt des großen Bismarck möge in Deutschland die Kraft und den festen Willen verkörpern, hier auf dem in jahrelanger Arbeit zur deutschen Heimat ocwordenen Boden stets Deutschlands Recht und Macht festzuhalteu immerdar. Nach jenem Kaiserwort vom 4. September 1S02 wollen wir Stammeseigentümlichkeiten und Ucbcrlieferurigen schonen und pflegen; aber dieselben gehören der Geschichte, der Vergangenheit an. Gegenwart und Zukunft dieses schönen Lande» aber sind unser und liegen für alle geilen unter dem Schutze des deutschen Aar». Wie der eiserne Kanzler e» einmal ausgesprochen, erhoffen und verlangen wir eine deutschtreue, wenn nicht deutsche Bevölkerung. Darauf arbeiten wir alle, und wir hier in der Provinz in erster Linie, und wenn wir das erreicht haben, so wird es auch dem Lande Wohlergehen für alle Zeit. Ein Wahrzeichen endlich aber ist das hohe Denk mal vor allem für uns Deutsche und insbesondere für die Deut schen in der Provinz, ein Wahrzeichen deutscher Gesinnung und Tatkraft. Und das möchte ich den Landsleuten angesichts dieses Denkmals ins Gedächtnis rufen, daß sie nicht allein und vereinzelt, nicht von den Stammesgenossen abgesondert und verlassen hier auf der Bresche stehen, sondern daß das gesamte Feuilleton „Hast fein tm Zug deine Leute — daS muß man sagen!" höhnte der Major mit malitiösem Kopfnicken. „Das laß nur meine Sorge sein! Und wenn dev Bambuse noch dickfelliger wäre, ich könnte ihn nicht ent- behren. Der Mensch hat eine Weinzunge, deren Treff sicherheit einfach unvergleichlich ist. Und das ist in meinem Betriebe 'was wert. Aber lassen wir das, Zimny", fügte Marquardt Lemmingen freundlich und eindringlich hinzu, indem er die nervös auf die Tischplatte trommelnde Hand de» Majors flüchtig berührte. „Ich muß wirklich mal mit dir reden — das geht so nicht weiter. Was du da vorhin gesagt hast, -aß du mir zu lange hier bist, umd so — das ist natürlich Unsinn! Und nicht das allein. Es ist wieder ein Ausdruck jener mißtrauischen Verbissenheit, unter der du selbst am meisten leidest — und dann natürlich auch alle diejenigen, mit denen du In Berührung kommst „Na schön! Selbstverständlich! Wenn Ihr unter meiner Gesellschaft leidet, dann kann ich ja abreisen! " ,Halt den Schnabel!" fuhr der Rittmeister auf. Weitere Ausdrücke der Empörung verkniff er sich, weil Jakob eben wieder eintrat. In der Linken trug er zwei lichtgrüne Römer, in zwei Fingern der Rechten — vorsichtig und weit ab vom Körper, wie ein Gefäß mit Nitroglyzerin — eine ungekapselte HauSflasche. Mit derselben Vorsicht stellte er die Flasche auf den Tisch, betrachtete seinen Herrn und besten Gast aus erschrockeinisten Augsn wie ein paar Selbstmörder, und zog sich dann wie vor einem drohenden Unglück bekümmert zurück. „Ich muß dich bitten, mich heute wenigstens auSreden zu lasten", sagte Herr von Lemmingen und schänkte den goldgelben Wein in die Gläser. „Wenn ich dir mal den Kopf zurechtsetzen will, so geschieht daS nicht utisertwegen, sondern um deiner selbst willen. Glaubst du denn, daß es mir gleichgültig ist, dich derart verbittert zu sehen? Einen Kerl von edelster Zucht, aus dem man drei normal gute Menschen machen könnte?" „Na prost, Lemmingen — auf diese schöne Redensart darfst du einmal trinken", knurrte der Major mit grimmigem Lächeln, indem er aus dem Römer einen kräf- ttgen Schluck hinter die Binde goß. Der Rittmeister trank nicht, sonder« beobachtete die Wirkung. Und die war fürchterlich. Zunächst sprühte Konstantin Zimny den Schluck Wein wie etir unter starkem Druck arbeitender Rasensprenger von sich. Dann hustete, keuchte und schnob er wie ein Wal- roß, das sich verschluckt hat — schließlich verharrte er regungslos mit sverrweit geöffnetem Munde, mit tränen den Augen und beide Hände gegen die Kinnbackangelenke gedrückt. „Wie ich sehe, lieber Freund, schmeckt dir diese Sorte nicht", äußerte Lemmingen teilnehmend, aber nicht ohne merkliche Befriedigung. „Immerhin wollte ich sie dir doch einmal zu kosten geben, damit du siehst, wie eS tut. Mit dem Wein, mein Lieber, ist e» nämlich ganz genau wie mit dem Menschen. Dieses Gewächs ist an sich bas edelste, wa» ich habe« vornehm, rassig und v«n einem önneren Der Lauerrvurm. Humoreske von Teo von Torn. Nachdruck »ervdten. Marquard von Lemmingen — ganz recht, derselbe, welcher den wundervollen Oberstetner AuSbruch baut — war trotz der Erntezeit nach Tisch nicht zur Lese hinauSge. gangen, sondern hatte seinen Freund und früheren Re gimentskameraden, Len Major a. D Konstantin Zimny, am Rockärmel in sein Arbeitszimmer gezogen. Hier pflanzte er ihn in den von Wetnlaub dicht etnge. sponnenen Alkoven, schellte gewaltig nach dem Diener und ließ sich bann dem Major gegenüber nieder — mit einem Gesichte, als wenn er noch nicht recht wüßte, wie er die Geschichte am besten anfaffen könnte. „Du — hm, du bist jetzt drei Wochen hier, lieber Freund —" druckste er schließlich hervor. Gleich darauf kraute er sich ungeduldig mit beiden Händen den kur- ge schorenen Kopf, denn der Major hatte ihr äußerst em pfindlich angesahren. „Ist dir wohl schon zu lange, was!?" Dergleichen läßt sich ein gastfreundlicher Rheinländer nicht gerne sagen, und Marquard Lemmingen wäre da raufhin lieber gerne grob geworden. Aber er bezwang sich. Denn einmal hätte das die notwawdige Aussprache ungünstig beeinflußt, zum andern liebte er den nur äußerlich so bösartigen Kerl wirklich wie einen Bruder, und drittens schob sich eben -er Diener in die Tür — Jakob, der Mann mit den ewig erschrockenen Augen und der um so zuversichtlicher geröteten Nase. „Bringen Sie uns eine Flasche — Nr. 18!" beorderte Herr von Lemmingen kurz. Der erschrockene Zug tn der Umgegonb von Jakobs ko- lossaler und obendrein auch noch etwas schief etnge- schraubter Nase wich einem aufhorchenben Befremden. „Na, wird» bald!? Haben Sie nicht verstanden?" hauchte Lemmingen aus dem Alkoven in die Richtung der Tür. „Nein, Herr Rittmeister." „Sie — sollen — uns — eine — Flasche — Wein bringen", skandierte der Schloßherr unter dräuend zu- sammengezogenen Brauen. „Au» dem Borderkeller links — Nr. 18!" „Ich verstehe immer Nr. 18, Herr Rittmeister", er widerte Jakob, indem sich sein« Augenritzmr sür einen Moment noch fester schlossen, Gleich darauf riß er sie heftig erschrocken aus. Sein Herr hatte einen schweren bron-enen Aschenbecher ergriffen und sich mit dem gefähr lichen Projektil jäh erhoben. „Also Nr. 18 —" stotterte Jakob und drängte eilfertig w»r Tür hinaus — mit etn«m Besicht, als wäre ihm ein« direkte vepellimg an d«n Satan aufgegeben worden. Gehalt, an den mein Oberstetner kaum heranreicht. Und wie hat er sich angelaffen damals — vor Jahren. Es war eine Pracht, sage ich dir! Und wias geschieht? Gan- plötzlich — wie von Mittwoch auik Donnerstag, — kriegt er den Sauerwurm! Der befällt zunächst die äußeren Triebe. Man merkt das vorläufig nur bei aufmerksamster Prüfung — und wenn man da kräftig etngreift mit Säubern und Bürsten, so ist der Schädling auch noch zu beseitigen. Aber daS darf nicht verpatzt werden, wie ich es damals verpaßt habe. Einen Monat später drimgt der Wurm in die Trauben und frißt die Kerne heraus. Damit ist das Gewächs hin —" „Hol dich der " schalt der Major, indem er sich die Tränen aus den Augen wischte. „Solch ein verfluchtes Zeug setzt du mir vor? Das soll Freundschaft sein! DaS ist Körperverletzung, verstehst du?! Und ich erkläre dir " „Laß mich mal erst erklären. So wirkt der Sauer- wurm beim Wein. Er wird ungenießbar. Und wenn ich an das Teufelszeug überhaupt noch ein paar Flaschen gläser verschwendet habe, so geschah das zur lehrsamcn Erinnerung, um etwaigem, vom Sauerwurm befallenen Menschen nee, mein Lieber! Hier sitzen geblieben! Heute rückst du mir nicht aus! — Also mn solchen Leuten einmal klarzumachen, was sie sür zweifelhafte Genuß mittel siird. Seit gut, Alter! Schau mal — ich weiß ja ganz genau, wie eS mn dich steht. An den Kern ist dir der verfluchte Wurm gegangen, als du die Ulanka auSziehen mußtest und deinen weichen Filzhut gekauft hast. ES ist gewiß schlimm, von der Waffe abgehen zu müssen, die man liebt — und bloß deshalb, weil so ein malitivser Racker von Ganl einen vor den Augen des Höchstkommandicrenben nicht bloß abwirft, sondern a»lch noch >nit dem Hosenboden an einen Staketzaun hängt, was ebenso genierlich wie gefährlich ist. Aber das ist doch schließlich überwunden, meine ich. Der Kommandierende ist tn die Wurst gekommen, der Gaul ist auch in die Wurst gekommen — und die Zeiten, wo du egalweg auf dem Bauch hast liegen müssen, sind doch vorüber. Vorgestern hast du schon drei Stunden zu Pferd gesessen —" „Wie auf einem Nadelkissen, jawohl!!" „Na schön, aber bas wird sich doch geben«! Ich will dir mal was sagen, Zimny — der Sauerwurm ist bei deinem Abschied nur in sein -weites Stadium getreten. Verstehst du? Vorhanden war er seit dem Tage, wo du dich mit Liese Können überworfen hast, mit deiner Braut — einem Prachtmäbel, das aus dir einen lebensfrohen und " Der Major hatte sich finster erhoben. „Mein Lieber", stieß er hervor, „ich lasse eS mir bieten, wenn du mir ein Gemenge von Schwefelsäure und Glas- scherbcn als Wein vorsctzest; auch daß du mich an den Abschied und meine ramponierte Litzfläche erinnerst, mag dir hingehen, obwohl daS nicht gemütvoll ist. Aber daS andere — da möchte ich doch bitten! DaS verstehst d« nicht!" Abendfrieden am Rhein. Durch die wettgeöffneten Fenster des Alkovens weht es herbstduftig von den Hügeln. Die beiden Freunde schauen den Damen nach, die den Winzern entgegengehen, welche bald mit den letzten Lasten für heute heimkehren müssen. Vom Schloßtore winkt ei«e schlanke Frauengestalt mit dem Taschentuche heraus. Major Konstantin Zimny schlägt die Hände vor daS Gesicht und läßt sich schwer in den Stuhl fpllen. „Aber es ist doch nicht möglich, Lennningon! ES ist nicht möglich! Mensch, ich bin doch alt geworden und grau! Sie kann mich nicht mögen! Es ist nur Mitleid von ihr!" „Mein lieber Freund, auS Mitleid schenkt man jemandem einen Taler, aber man heiratet ihn nicht. Außerdem ist die Liese genau um dieselben zehn Jahre älter geworben, wie du — und daS ist kein Fehler. Ah will dir das wieder an einem Beispiel klarmachan. Da kommt Jakob — und diesmal bringt er eine andere Flasche — daS kannst du ihm schon an der Nase ansehen. Wollen Sie mal gefälligst die Gurke wegnehmen von der Flasche!? Was fällt Ihnen beim ein?" „O, Herr Rittmeister!" stöhnte Jakob, indem er die Flasche auf den Tisch stellte und sie aus ganz kleinen Schlitzäugelchen verliebt anschaute. „DaS ist ein Duft! Ein Duuuuuft —!" „Also verduften Sie gefälligst!" Jakob ging — aber nicht, ohne bet jedem Schritt noch «tn paar Nasenlöcher voll des DusteS tn sich aufzusaugen. „Das ist ein Wein, Alterchen", sagte der Rittmeister, indem er den edlen Trossen vorsichtig etugoß, „ein Wein, der ans der Traube die Sdelfäule durchqemackft hat. Weißt du, was daS ist? Da« ist, wenn man die Traube überreif werben läßt, ehe sie geerntet wird. Dadurch wird alle», was in ihr steckt, -u höchster Vollkommenheit entwickelt — jede Säure verliert sich, der Edeling erscheint tn seiner reinsten Form. Prosit — in diesem Sinne " „Kannst recht haben. Ich verstehe heute noch nicht, wo man eine solche Unsumme von Eigensinn und Dickköpfig keit herntnrmt, um eine Seele von Mädel, wie meine Cousine, soweit zu bringen, daß sie dir den Abschiedsbrief schreibt. Ich verstehe ferner nicht, wie ein solches Mädel es fertig bringt, dich trotz alledem heute noch zu lieben —" „Lemmingen —l!" Das klang wie ein Schrei, gepreßt und qualvoll, sodaß es dem Rittmeister heiß in die Augen stieg. „Jawohl — Lemmingen, Lemmingen!" äffte er -wischen Äerger und Rührung nach. „ES ist so, du aller Esel! Sie hat von meiner Frau erfahren, wie cs dir gegangen ist. Sie weiß, daß du hier bist, weiß, wie der Sauerwurm an dir nagt, sodaß das ganze Gewächse kaum noch genießbar ist. Kurz und gut — sie will dich sprechen, nachmittag mn vier ist sie da."
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