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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980623016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-23
- Monat1898-06
- Jahr1898
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Allerdings, eine reservatio mentalis ist bei den Klerikalen nicht ausgeschlossen und wir können eö wieder erleben, daß die localen Führer und die Geistlichen die Wähler in Hellen Haufen gegen di« Nationalliberalen und für die religionsfeindliche Umsturzpartei ins Treffen führen, wie dies bisher fast regelmäßig und erst vor Kurzem bei einer Nachwahl in Dortmund geschehen ist. Die „Germania* spricht auch schon ganz anders als die Führer ihrer Partei. Immerhin hat das Centrum die Nothwendigkeit dcS ZusammenstehenS gegen die Socialdemokratie anerkannt, und so wäre programmatisch der Ring geschlossen, wenn die bürgerliche Demokratie aller Schattirungen nicht ferne bliebe. Ihre den staatserhaltenden Parteien feindselige Stellungnahme ist eS, die auch den Anti semiten in Berlin den Grund bietet, von einer grundsätzlichen Erklärung gegen die Socialdemvkratie Abstand zu nehmen. Daß der Freisinn entschlossen ist, bürgerliche Wahl- hilfe gegen die Socialdemokraten überall da, wo diese Partei nicht mit dem Centrum in der Stichwahl steht, mit der Unterstützung der Socialdemvkratie zu bezahlen, das ist nunmehr als sicher anzunehmen. Eine Weile hat Herr Richter von der Aufforderung zur Bekämpfung der Socialdemvkratie unter allen Umständen und ohne Ansehung der gegnerischen Person und Parteistellung in seiner Zeitung wohlgefällig Notiz genommen, ohne die Gegenleistung zu berühren. Jetzt spricht er sich direct gegen eine Cooperation gegen die revolutionäre Partei auö, fährt aber dabei fort, die seiner Partei günstigen Erklärungen anderer Parteien seinen Anhängern mitzutheilen, daS heißt, sie in der Auffassung zu bestärken, daß mit der Unterstützung der Socialdemvkratie lgegen Nationalliberale und Conservätive' keinerlei Gefahr M"dir freisinnige Volks- partei verbunden sei. Wir sehen ab von dem heraus fordernden Hohn, der in diesem unausgesetzten Namhaft machen der „guten dummen Kerle" im nationalen Lager liegt, und halten un» an die praktische Seite. Wie mit- getheilt, ist ja der Richter'sche Freisinn schon von der Theorie zur Praxis übergegangen: in Jena und Mannheim, in zwei Bezirken also, wo der nationalliberale Führer Bassermann in die Stichwahl mit einem Socialdemokraten gelangt ist, sind die Freisinnigen ofsiciell zur Wahl deS Letzteren auf gefordert worden, und eS besteht kein Zweifel, daß dieses Verhalten entweder überall beobachtet oder durch ein ihm in der Wirkung gleichkommendes zweideutiges Spiel ersetzt wird. Angesichts dieser cynischen Bekundung einer gemeingefähr lichen Parteisucht ist es Wohl zu begreifen, wenn die Stimmen gegen einen Löwenvertrag wie den der Fabel, bei dem der Partner deS Löwen bekanntlich der Esel gewesen ist, immer lauter werden. Man sucht nach den Gründen, welche die Zugehörigkeit eines politischen Untergebenen deS Herrn Richter zum Reichstag praktisch weniger schädlich erscheinen lassen, als die eines Socialdemokraten, — und findet sie nicht. Ist die Demokratie der Socialdemvkratie aber glcichwcrthig und kann man mit der Unterstützung der Ersteren gegen die Letztere in einer Reibe von Wahlkreisen nicht wenigstens erreichen, daß anderwärts, wo der Freisinn nicht mit einem Candidaten in Frage kommt, dessen Anhänger helfen, die Zahl der Socialdemokraten im künftigen Reichstag zu vermindern, dann hat es, so hört man immer häufiger sagen, absolut keinen Sinn, Beelzebub gegen den Teufel zu helfen. Geht nian davon au», daß der Reichstag lediglich eine gesetzgebende Körperschaft sei, so kann man dieser Argumen- ation sehr wenig entgegenhalten. Der Freisinn hat sich m chnödester Nichtachtung der Existenzbedingungen deS Reiches ehr selten von den Socialdemokraten übertreffen lassen. Er hat elten etwas Anderes als sein Parteiinteresse zu Nathe gezogen, ast niemals eine Pflicht für die Gewählten deS Volkes anerkannt. DaS Flottengesetz ist even erst von ihm mit Mitteln, deren Niedrigkeit den Neid der Socialdemvkratie erregte, bekämpft worden, und wenn die Umsturzpartei jetzt von Candidaten, die in der Stichwahl ihre Stimmen haben wollen, die Zu sicherung fordert: „Kein Septennat, kein Quinquennat* —, die Bewerber auS der freisinnigen Bolkspartei können ruhig sagen, daß ihre Vergangenheit die Erfüllung eines solchen Versprechens verbürge. Gesetzgeberisch ist eS in der Thal ziemlich gleich, ob daö „Nein* zu allen nothwendigenForderungen der Entwickelung des Reiches und der Einzelstaaten von Bebel allein oder von Bebel und Richter zusammen ausgesprochen wird. Auch daS ist zutreffend: die Existenz einer bürgerlichen Gruppe, die mit der Socialdemokratie an einem Strange zieht, verstärkt die Stellung der Umsturzpartei moralisch, so daß eS unlogisch erscheinen könnte, die Erstarkung der Socialdemvkratie durch die Erhaltung der freisinnigen Volkspartei verhindern zu wollen. Ebenso ist anzuerkennen, daß eS für die Social demokratie eine Grenze giebt, über die hinaus sie dem Ultramontanismus nicht Gefolgschaft leisten darf, während nach diesen Stichwahlen der Gehorsam deS Herrn Richter gegen das Centrum sich notbwendig in vollkommene Unter würfigkeit gewandelt haben wird. Ist das Alles nur, zu richtig, so soll man nicht außer Betracht lassen, daß der Reichstag eben doch mehr ist, als eine gesetzgeberische, praktisch lhätige Körperschaft. Er bildet, mag er in seiner letzten Zusammensetzung dieser Würde noch so wenig entsprochen haben, eine Repräsentation des deutschen Volkes, eine Spitze auf dem Bau des National staates. Im Inland« kann eS entmuthigen, im Aus lande muß es befremden, wenn eine Partei, die den Nationalstaat wie überhaupt jeden Staat grundsätzlich verneint, ohne Noth im Reichstag verstärkt wird. Auf den Umstand, daß die freisinnige und die social demokratische Volkspartei den Etat im Ganzen bewilligen, ist gewiß wenig Gewicht zu legen. Immerhin darf eS zur Erkaltung der Fiction dienen, daß diese Parteien staatS- erhaltende seien. Und unter diesem Gesichtspnnct erhält daS Eintreten für sie und gegen die Socialdemokratie, daS ein Act der Verbesserung deS künftigen Reichstags in der Thal nicht ist, den Charakter einer Kundgebung für den be stehenden Staat, deren Ausbleiben seiner Todfeindin, der Socialdemvkratie, zu statten käme. Die freisinnige Volkspartei kann am 24. Juni nieder geschlagen werden, Centrum und Socialdemvkratie sind nicht im Stande, ihr so viel Sitze zu geben, daß von einer Partei noch gesprochen werden könnte, und was Eugen Richter von der „eigenen Kraft" sagt, ist eitel Dunst. Die Stichwahl ziffern deS Freisinns zeugen fast ausnahmslos von der Arm seligkeit, die es verursacht hat, daß kein einziger Mann der Volkspartei im ersten Wahlgang auS eigener Kraft siegte; das einzige biSber errungene Mandat von Alzey-Bingen ist ein Geschenk deS Centrums. Die nationalen Parteien sind in der Lage, mit dem längst zum Spott gewordenen Gebilde aufzuräumen. Sie werden und sollen aber bei ihrem Ent schlüsse bleiben und der Bolkspartei den Vorzug vor der Socialdemvkratie geben. Jedoch bleibt zu erwägen, ob nicht auS der Tbatsache, daß dem ehemaligen Fortschritt sein landeSverderberischer Charakter durch den jetzigen Führer ausgeprägt wird, Folgerungen zu ziehen wären. Wenn Herrn Richter'S Terrorismus außer Stand gesetzt wird, den freisinnigen Abgeordneten die eigene Grundsatz losigkeit und Pflichtvergessenheit unmittelbar aufzudrängen, dann ist sogar zu hoffen, daß die Socialdemvkratie nicht mehr mit der bisherigen Sicherheit auf die Förderung ihrer Politik durch die Bolkspartei werde rechnen können. Deutsches Reich. * Leipzig, 22. Juni. Die von der Vertrauens männerversammlung der deutsch-socialen Reforms partei in Leipzig an die Gesinnungsgenossen gerichtete dringliche Mahnung, in der Stichwahl Mann für Mann für Herrn Professor vr. Hasse einzutreten, beweist schlagend, daß ein kurz vor der Hauptwahl verbreitetes Flugblatt, in dem u. A. gesagt war, die Gesinnungsgenossen des Herrn vr. Haedicke könnten ihre Stimmen „niemals" einem Nationalliberalen geben, nicht von wirklichen Gesinnungs genossen deS Herrn vr. Haedicke ausgegangen sein kann. Wir erkannten dies sofort und sprachen die Vermuthung aus, daß das Flugblatt ein socialdemokratisches Mach werk sei, das den Zweck verfolge, für den Fall einer Stich wahl zwischen Professor Hasse und dem Candidaten der Socialdemvkratie im deutsch-socialen Lager Stimmung für die Partei des Herrn Singer zu machen. Diese nahe liegende Vermuthung wirb bestätigt durch ein social demokratisches Flugblatt, das jenes angeblich von deutsch-socialer Seite ausgegangene und unsere Bemerkung dazu auszunutzen versucht zu einer Verhetzung der deutsch socialen Wähler gegen Herrn Professor Hasse. ES heißt nämlich in diesem socialdemokratischen Flugblatte: „War e» anständig, daß das nationallibcrale „Leipz. Tagebl." das letzte Flugblatt der deutsch-socialen Resormpartei als ein „socialdemokratisches Machwerk" hinstellte, um damit inbirect Herrn Vr. Haedicke zu verdächtigen und so zu ver hindern, daß dieser statt Herrn Hasse in die Stichwahl kam?" Diese perfide Verdrehung weist offenbar auf dieselbe Quelle hin, der das Flugblatt mit jenem „niemals" ent stammte. Nur eine solche edle Seele konnte auf den Ge danken kommen, aus der Thatsacke, daß wir Herrn vr. Haedicke gegen den Berdacht in Schutz nahmen, er könne ein solches „niemals" gesprochen oder auch nur gebilligt haben, zu folgern, wir hätten Herrn vr. Haedicke indirect zu verdächtigen gesucht. Der Aufruf der deutsch-socialen Ver trauensmänner beweist übrigens, daß auch der neueste social demokratische Jesuitenstreich keinen Erfolg haben wird. Außer diesem, auch sonst vou den gröbsten Entstellungen strotzenden soeialdemokratischrn Flugblatte ist übrigens noch ein anderes erschienen, das seines ZwillingSbruderS in jeder Hinsicht würdig ist. AuS der Fülle der in diesem Machwerke gegen Herrn Prof. Hasse erhobenen, eben so groben wie wahrheitswidrigen Beschuldigungen sei nur die hervorgehoben, Herr Hasse habe während der RcichStagösession 1895-96 einer Deputation deS Vereins Leipziger Cigarren händler aus die Bitte, dahin wirken zu wollen, daß den Restaurateuren der Verkauf von Cigarren an Sonn- und Feiertagen nicht mehr unbeschränkt gestattet werden möge, geantwortet: „Ja, meine Herren, was denken Sie denn, «ine solche Petition kann ich doch nicht vertreten; die Cigarren müssen doch verkauft werden, wenn auch eine Anzahl Ctgarrenhändler zu Grunde geht, eS giebt deren mehr wie genug." Herr Professor Hasse hat, wie er uns mittheilt, infolge dieser Beschuldigung an Herrn Emil Ulbricht folgende Zuschrift gerichtet, die schon allein für sein reines Gewissen bürgt: Leipzig, 22. Juni 1898, Nachmittag. Herrn Emil Ulbricht, Leipzig, Coloiinadenstr. 4. Geehrter Herrl Heute Nachmittag, in dem Augenblick, in dem ich vor der Mahl in der Presse nicht mehr antworten kann, vertheilt die Socialdemvkratie das beiliegende Flugblatt, in dem sich neben anderen Unwahrheiten eine unwahre Darstellung einer angeb lichen Antwort findet, die ich einer Deputation hiesiger Cigarren- Händler ertheilt haben soll. Da ich mit keiner anderenDeputation von Cigarrenhändlern verkehrt habe, al» mit derjenigen, an deren Spitze Sie standen, ersuche ich Sie um gefällige um gehende Angabe, ob die Darstellung deS Flugblattes auf Sie und Ihre Cvllegen zurückzusührrn ist, bezw. um eine Richtig stellung, die ich in den morgenden Tagesblättern veröffent lichen kann. Hochachtungsvoll und ergebenst gez. Prof. vr. Ernst Hasse. ES ist mit Bestimmtheit zu erwarten, daß jeder anständige Mensch durch derartige Flugblätter wie die oben gekennzeichneten sich lediglich dazu veranlaßt findet, seinen ganz»» Einfluß aufzubieten, um Leipzig vor der Wahl eines socialbemokratischen Abgeordneten zu behüten. 62 Berlin, 22. Juni. Wie mitgetheilt, hat die Regierung zu Gumbinnen einen Gutsbesitzer, der sich in der letzten Zeit als socialdemokratischer Agitator hervorgetha», des Amtes als Mitglied deS Schulvorstandes und als Schulcassenrendant seiner Heimatbaemeinde enthoben. Billigt man diese Maßregel — und ihre Nothwendigkeit springt in die Augen —, so wird man auch dem Berliner Blatte zustimmen müssen, das ein gleiches Vorgehen gegen Herrn Paul Singer verlangt, der dieser Tage in die Schul deputation der Stadt Berlin gewählt werden ist. Daß Herr Singer gewillt ist, die Volksschule i»i staatL- und vaterlandsfeindlichen Sinne zu beeinflussen, unter liegt keinem Zweifel, und daß er iu dem neuen Amte dazu im Stande ist, kann ebenso wenig bestritten werden. Seine Wahl hat übrigens auch eine Bedeutung für die Berliner Stichwahlen. Sie unterstützt di« Auffassung eines antisemitischen Blatteö, daS gegen die Unterstützung der freisinnigen Candidaten u. A. eingewendet kattc, eine Be kämpfung der Socialdemokratie sei in Berlin von der frei sinnigen Volkspartei schon deshalb nicht zu erwarten, weil beide Parteien auf dem communalen Gebiete in engster Ver bindung und gegenseitiger Abhängigkeit von einander lebten. tt Berlin, 22. Juni. Wenn in einigen Blättern Dar stellungen verbreitet werden, wonach anzuuehmen ist, daß der Sinn der Gesetzgeber deS sogenannten Arbriterschutz- gesetzes vom 1. Juni 1891 dahin gerichtet gewesen sei, in Zukunft die Schutzbestimmungen auf das ganze Hand werk auszudehnen, so beruhen diese Darstellungen auf Jrrthum. Im K 154 der Gewerbeordnung heißt es zwar, daß die betr. Vorschriften durch kaiserl. Verordnung mit Zu stimmung des BundeSrathS auch auf andere als elementareKraft verwendende Werkstätten ganz oder theilweise ausgedehnt werden können; man muß jedoch die Motive zu diesem Vor gehen vergessen haben, wenn man hierunter nun daS ganze Handwerk verstanden wissen will. Den Gesetzgebern kam eö im Anfänge der neunziger Jahre darauf an, die Möglichkeit zu Borbeugungsmaßregeln zu geben, daß nicht etwa die Kinder beschäftigung, die nian nahezu ganz auS den Fabriken verbannen wollte,in derHauSindustrie zu großem Umfange sichentwickcln würde. Deshalb betonten auch die verbündete» Regierungen, als sie die mitgetbeilte Bestimmung deS tz 154 in Vorschlag brachten, in der Begründung gerade diesen Punct und wiesen namentlich auf die Möglichkeit der Erhöhung der Gefahr bin, wenn die weitere Beschränkung der Kinderarbeit in den Fabriken ins Leben treten sollte, ohne daß gleichzeitig die Kinderarbeit in der Hausindustrie einer Regelung unterzogen werden sollte. Man hatte auch nur davon Abstand genommen, diese Regelung in das Arbeiterschutzgesetz auszu nehmen, weil sie lediglich auf Grund eingehender specieller Er mittelungen erfolgen kann und ihrer ganzen Natur nach weit eher im Wege der Verordnung als auf dem des Gesetzes vorzunehmen ist. Die Hausindustrie und nickt das gesammte Handwerk war es also, die man bei der Normirung dieser Bestimmung im Auge hatte. Erhebungen über die Be schäftigung von Kindern in der Hausindustrie werden ja auch schon angestellt. Man ersieht daraus, daß die Angelegenheit sich iu den einmal in Aussicht genommenen Bahnen fortentwickelt. Anlaß zu Besorgnissen liegt deshalb für daS Handwerk im Allgemeinen nicht vor. Die Bedeutung der Blumen aus den Gräbern. Von E. Glaser. Nachdruck verboten. E» ist ein alter Glaube, welcher den Pflanzen eine Seele zu schreibt. Man beobachtete das WachSthum der Pflanzen, man sah bei ihnen dir Erscheinung de» Lebens und deS Todes, der Gesund heit und Krankheit und machte den Schluß, daß sie beseelt seien. Deshalb standen auch die Bäume in einem gewissen Heiligkeits verhältnisse und Plinius beginnt seine Naturgeschichte der Bäume mit folgenden Worten: Di« Bäume ermangeln ebenso wenig der Seele wie jedes andere Lebende, es sind stets Bäume und Wälder für da» höchste Geschenk gehalten, wa» die Natur dem Menschen verliehen. Lei den Griechen finden wir die Beseelung der Bäume durch Nymphen. Baum und Nymphe entstehen gleichzeitig und sterben aememschaftlich. Wenn aber der Tod berantritt, so werden die schönen Bäume dürr, die Rinde stirbt ringsum ab, e» fallen die Aeste, und zugleich verläßt die Nymphe den Baum. Dass der Baum beseelt sei, geht später in den Glauben Über, daß die Seele (da» Blut, d. i. das Leben) eine» Verstorbenen in elntn Baum sich wandle und daß dieser bei Verletzungen blute. Al» Aenea» auf dem Grabe seine» ermordeten Verwandten PolydoruS Laubwerk zur Bekränzung der Altäre abhauen wollte, flössen aus dem ersten Baume, den er mit den Wurzeln aus den Boden riß, Blutstropfen hervor und befleckten die Erde, und immer weiter strömte schwarzes Blut au» den abgebrochenen Zweigen, endlich ertönte aus dem Grabe ein Seufzer und eine Stimme: „Was verfleischest Du mich Unglückseligen, der hier begraben liegt? Nicht fremd ist Dir daS Blut, daS au» diesem Stamme fließt. Ich bin PolydoruS.* AuS dem Glauben, daß die Pflanze eine Seele habe, er- wucht später die Ansicht, daß dieselbe der zeitweilige Körper einer Menschenseele sei. Die Seelen Liebender oder unschuldig Ge mordeter wandeln sich in weihe Lilien und andere Blumen, welche aus dem Grab« odrr au» dem hinströmenden Blute hervor sprießen. Wegen der Vorstellung, daß da» Leben, di« Seele des Be statteten, in den sein Grab beschattenden Baum oder Hain über gegangen sei, war es demnach natürlich, daß die Athener Jeden, welcher «in Bäumchen in dem Heroon (Heroentempel) abhicb, mit dem Tode bestraften. Später glaubte man, daß die Seele (da» Lcbentprincip) jedes Begrabenen in eine Blume, ein Kraut, einen Strauch übergeh«, und so entstand der Brauch, Blumen oder Bäume al» Abbilder davon auf die Gräber der Angehörigen zu pflanzen. Aus dem Grabe von Liebenden, zumal wenn sie in der Blüthe der Jugend durch einen gewaltsamen Tod dahingerafft worden, entsprießen Lilien, Rosen und andere Blumen mit und ohne Schrift auf den Blättern, ohne daß eine Menschenhand sie dahin gesäet oder gepflanzt hat. Ein Ritter hat eine Jungfrau verführt, er bietet ihr al» Ersatz der verlorenen Ehre die Hand eine» Reiterknechtes und eine Mitgift an Geld. Sie verschmäht den Ersatz und zieht weinend heim nach Augsburg zu ihrer Mutter. Al» diese da» Herzeleid de» Kinde» vernommen, will sie die Erschöpfte zuerst mit Speise und Trank erquicken. Di« Tochter entgegnet: Ach Mutier, liebe Mutter, mein, Ich kann nicht essen und trinken. Mach' mir «In Betiteln, weiß und fein, Dass ich darin kann liegen. Der Ritter hat einen schweren Traum, er träumt, sein lieber Schatz wäre im Kindbett gestorben, und befiehlt dem Reit knecht: Steh' auf, sich' auf, lieb' Reitknecht mein Sattel' mir und dir zwei Pferde! Wir wollen reiten Tag und Rächt, Bi» wir den Traum erfahren. Als der Ritter die Stadt Augsburg erreicht, kommen die Träger ihm mit der Leiche entgegen: Er zog heraus sein blanke» Schwert Und stach sich in sein Herz«. ,.Hab' ich dir geben Angst und Pein, So will ich leiden Schmerzen." Man legt den Ritter zu ihr in den Sarg, Begräbt sie wohl unter die Linde. Ta wuchsen nach drei Vierteljahr'« Aus ihrem Grab drei Lilien. Nach einer anderen Auffassung des Gegenstände» sind es drei Nelken, die aus dem gemeinsamen Grabe des Ritters und der Maid wachsen, nach einer dritten, die nur die Maid an geweihter Stätte, den Ritter aber unter dem Hochgericht begraben werden läßt, entsprießen au» ihrem Grabhügel zwei oder nur eine Lilie, und da» Lied setzt hinzu: ES stand geschrieben auf den Blättern da, Beid' wären beisammen im Himmel. Am Ende einer verwandten schwedischen Ueberlieferung heißt e»: Da wächst eine Lind' auf Beider Grad, Tie stehet allda bi» zum jüngsten Tag. Die Linde, sie wächst über» Kirchendach, Tas eine Blatt nimmt das andere in Arm. Bei den Blumen auf den Gräbern erscheint auch eine Schrift auf den Blumenblättern. Dieser Schrift gedenkt ein weitver breitete» Lied von der Grafentochter, dte bet ihrer in Niederland verheiratheten älteren Schwester unerkannt sieben Jahre als Magd dient, weil sie heimlich deren Gatten liebt, dann zu kränkeln beginnt und zuletzt stirbt, nachdem sie sich kurz vor ihrem Tode zu erkennen gegeben: Und al» das Mädchen gestorben war, Da wuchsen drei Lilien auf ihrem Grab. Und unter der mittelsten stund geschrieben, Ta» Mädchen wär bei Gott geblieben. Neben der Rose, dem Zeichen der nach dem Tode noch fort dauernden Liebe, ist die Lilie die zweite deutsche Todtenblume. Sie bedeutet in einigen Volksliedern die verlassene Unschuld, der Liebe Schmerzen und Klagen, hat aber besondere Siaenthümlich- keiten. Sie wird nicht von den Hinterbliebenen auf das Grab gepflanzt, sie sprießt von selbst, durch eine unheimliche Kraft getrieben, aus dem Grabe hervor, in einer bestimmten Frist, gewöhnlich nach drei Tagen. Ferner wächst die Lilie auf den Gräbern solcher Personen, die eines unnatürlichen Todes ge storben sind. Wenn sie auf der Friedstätte unschuldig Ermor deter erscheint, so ist sie ein Zeichen von der kommenden Rache; entsprießt sie auf dem Grabhügel eines armen Sünders, so kündet sie die Vergebung, die Sühne der Todesgottheiten an. Endlich ist sie auch wohl aufzufaffen als ein Gruß des Todten an den zurückbleibenden Lebenden, daher die Sage, daß der Geist des Verstorbenen selbst die Blume auf sein Grab gepflanzt habe. So der bekannte Text: „Es wuchsen drei Lilien auf ihrem Grab, Es kam ein Reiter, wollt's brechen ab. Ach Reiter, laß die Lilien stahn! Es soll sie «in junger frischer Jäger Han." Ein Bild der drohenden Rach« sind die Lilien in der Ballade „Der Mordknecht". Eine Edelfrau besticht um ihres Buhlen willen den Knecht ihre» Gemahls, diesen auf breiter Heide zu erschlagen. Sie lobt den Knecht nach vollbrachter That. Als sie aber auf ihrem grauen Rosse über jene Heide sprengt, da winken ihr weiße Lilien unheimlich entgegen. Angst und Reue überfallen sie, und sie geht in ein Kloster. Der Leichnam Ermordeter fängt an zu bluten, sobald ihn der Mörder berührt oder ihm nur nahe kommt. Dieses ist auch guf die Blumen übertragen, sie bluten auch auf dem Grabe. In Schlesien singt man von einer ermordeten Braut, deren Seelen leben sich ebenfalls in den Lilien auf ihrem Grabe zeigt: Wa» wuch« au» ihrem Grabe? Eine Lilie schön weiß und roth, Mit zweien Herzen, Er konnte sehen Jedermann, Junggesellen oder Herrn, Thut sich nicht färben. Als nun der Gesell« kam Und schaut die Lilie an Mit zweien Herzen, Ta färbte sich die weiße roth, Färbte sich die weiße roth, Fing an zu bluten. Die Dichtung ist dabei nicht stehen geblieben, dem Leben Liebender, die im Grabe vereinigt worden, über dasselbe hinaus in vereinzelten, still nebeneinander emporwachsenden Blumen Fortdauer zu verleihen. Sir setzt die süße Bereinigung und
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