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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.11.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190711206
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19071120
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19071120
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- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
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Bezug» Prei» Mr L«lp,i» und Vorvrlr durch u»Mk« Lr»«er und Spediteur, tu» Hau« -«bracht: Nus-ad« » (nur moraen«) »ierteljt-rlich 3 M monaUich t Hk. Su«-abe 1t fm-r-en« und abend«) viertel. . jährlich 4.S0 M. mvnailich l.SO M. Durch di« Volk bezvaen :2 mal rt,lich) mnerbalb Deutichland« und der deutichan chalvnien vierteljädrlich -°>,N N. monatlich I.7S M autlchl Paß. brftell-eld «tr Oesterreich 8 L dv d. lln-aru 8 L vierteljährlich. Abonnemenl-Lnnabme Uo-ustutplatz 8, bei unseren Lrtaern Filialen, Lpediteuren und Lnruchmestellen, «wie PoftLmtern und SrieftrLgern. Die einzelne Stummer kostet W Pfg. stiedaktton und Erpettttou: Jodannirgastc 8. rüwbon Nr. 14SS2 Nr. 1E> Nr. 14SS4. Derltuer «edaktton« Bure«»: Vertin dI W. t Prinz Loui« Kerdinanb- vtr-d- I. Telephon I, Nr S27Ü. ' Morgen Auskrabe 8. MpMer.TagMM Handelszeitung. Amleviatt des Rates und des Rolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen. Preis stdr Inserate au« Leipzig und llmgebui^ di« Sgespaltene Petitzeile L Ps., stnanziell." Anzeigen 80 Ps. Neklamen I M.: von -u,wSrt« 30 Ps. Neklamen 1.20 M vom'LuIlandSOPs., finanz. «n,et-e»7üPs. Reklamen I.SO Pt. Anserate v Bebirden im amtlichen De« M l« Beilagegebübr 5 M. p. Tausend exkl. P-" gebühr. Sielchästeanzeigen an. bevorzua! » Ltelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarn. Aefterteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werben. Für da« Erscheinen a bestimmten Tagen und Platzen wird keine Garantie übernommen. «neigen-Annahme-. Aug»stu«»latz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen. Expeditionen der In- und Ausland«». Haupt Filiale Borkt» Larl Dunck v-rzogi Lahr. Hofbuch handlung Lützowstuaßc lO. (Telephon VI. Nr. «03> Nr. 322. Mittwoch 20. November 1907. IN. Jahrgang. Das wichtigste vom Tage. * Die Kaiserin hat sich gestern, vom niederländischen Volle leb haft begrüßt, nach Schloß Loo begeben. sS. Bericht.) * Der Kronprinz traf in Bad Kreuth ein. Er wurde nom Herzog und der Herzogin Karl Theodor, der Prinzessin Rupprecht and dem Fürsten von Monaco empfangen. * Der König von Sachsen hat dem bisherigen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes v. Tschlrschky und Bögendorff den Goldenen Stern zum Großkreuz des Albrechtsordens verliehen. * Der Bundesrat hat das Reichsvereinsgesetz in der Fassung des Ausschusses angenommen. * Der Ausschuß der preußischen Apothekerkammer bezeichnet in einer Entschließung den Entwurf eines Reichs-Apothekengesetzes als zur Neuregelung des Apoihekergewerbes ungeeignet. * In Berlin fand ein sozialdemokratischer Frauen tag statt. lS. Dtschss.'R.s Regievrrngsrat Martin und die Ttrisis der Gegenwart. ' Theorie und Praxis haben schon manchen schroffen Gegensatz ge zeitigt. Tie althergebrachten Tischreden des Kommerzienrats Baare beim Tividendenmahl des Bochumer Gußstahlvercins finden ihren Widerhall in sämtlichen deutschen Börsensälen, und die wirtschaftlichen i'Lrpektorationen eines Direktors unserer Hochfinanz werden vom deut- 'chcn Kapitalisten förmlich memoriert. Ten mitten in der Praxis stehen den Gewaltigen im Reich der Kohle und des Eilens, den Diktatoren auf dem Geldmarkt, pflegt man nun einmal von Hous aus ein gewichtiges Maß von Urteilsfähigkeit über die wirtschaftlichen Verhältnisse zuzn» messen, wie man es dem Publizisten niemals konzedieren will, der von seiner stillen Srlrreibstube aus die aus und ab fluktuierenden Wozen des Geldmarktes beobachtet, der mit kühnem Arm das Schifsleln der Statistik durch ein Meer von Hahlen hindurchsteuert und die Klippen und Brandungen durch seiye scharfe Brille oft weit zuperlässiger und eher zu erkennen vermag, als der Mann der Praxis, der durch seine mehr oder minder vergrößernde Lupe seine Umgebung gar oft nicht nach den Dimensionen sicher abzusckätzen weiß. Wlr haben es ja erst kürzlich erlebt: in diesen Tagen, wo felbst der verlorenste Gazettenschreiber leine L-ser mit den neuesten Berichten über die „wirtschaftliche Arife" versorgt, wo unter der schweren Last eines unerhört hoben Bankdiskonts die Geld knappheit sich von Tag zu Tag drückender fühlbar macht, wo nicht nur irgendwo drüben „überm großen Teich", sondern im eigenen Lande eine Insolvenz die andere ablost und eine Betriebseinstellung der anderen folgt, in diesen Tagen unterbreitet der Stahlwerksverband der staunen- den Mitwelt einen Situationsbericht, der in eitel Lust und Zuversichtlich keit schwimmt: von einem Abflauen der Konjunktur, geschweige denn von einer „Krisis" nicht die Spur' Auch diverse Jndustriegesellsckasten bc- bandelten letzthin in ihren Geschäftsberichten die augenblickliche schwierige Lage so nonchalant, als ob eine „Krisis, ein Umschlag der Konjunktur noch in weitem Felde stände. Just zur selben Zeit erscheint der bekannte Publizist im Rcichsamt des Junern, Herr Regierungsrat Martin, mit einem knapp 80 Seiten füllenden Bändchen, betitelt „Die wirtschaftliche Krisis der Gegenwart" *f aus dem Plan, derselbe Autor, der sich durch seine Schritt „Die Zukunft Rußlands das Mißfallen hoher Regierungs- kreise zugezogen hat, derselbe, der erst vor kurzer Zeit durch fern Buch über „Kaiser Wilhelm und König Eduard" und durch eine Abhandlung über „Die Eroberung der Luft" von sich reden machte. Der Verfasser Tweifell selbst nicht daran, daß sich in der Presse Stimmen finden wer den, die seine Erklärung der augenblicklichen Krisis aus seiner Partei nahme gegen die russischen Anleihen ableiteu dürste». An der Tat wird man beim näheren Studium über eine solche Auf fassung schwerlich Hinwegkommen, um so weniger, als der Autor selbst ein förmlich erdrückendes Material zusammcngetragen hat, um eine derartige Anschauung zu stützen. Herr Martin bezeichnet als die primären Hauptursachen der gegen wärtigen Krisis die russische Katastrophe, die amerika nische Ueberspekulation und das Sinken der Trans vaal w e r t e. Seit dem Jahre 1903 hat nach dem Verfasser Westeuropa min destens 3 Milliarden Franken durch den Kurssturz der ln Westeuropa untergebrachten russischen Papiere in Höhe von 12 Milliarden Franken um ihres Wertes verloren. Dazu komme, daß Westeuropa feit Ausbruch des japanischen Krieges 3,7 Milliarden Franken dem russischen Staat geliehen hat. Tas Fehlen dieser 6,7 Milliarden Franken sei für Westeuropa um so schmerzlicher, als der wirtschaftliche Aufschwung der Landwirtschaft, der Industrie und des Handels während der letzten Jahre ungewöhnlich grobe Kapitalien sestgelegt hat, und da her eine sehr bedeutende Verminderung des flüssigen Kapitals nicht er- rraaen konnte. Die nun fehlenden 6,7 Milliarden Franken würden voll- kommen binreicken, um den gesamten Kurszettel zu beben und die wirt- ichastliche Vorwärtsbewegung ,n das bisherige Tempo zu bringen. In her Tat, diese Deduktionen Martins sind bestechend. Die Welt hat fick nachgerade daran gewöhnt, dem russischen Staate daS Geld zur Äe- zahlung der von Jahr zu Jahr am'chwellenden Zinsen ferner stetig wachsenden Staatsschuld vorzustrecken. Der Dienst der russischen Staat-schuld erfordert zurzeit nicht weniger als 822L Millionen Mark jährlich. Diese Summe nimmt durch die fortgesetzten Anleihen ständig zu. Schon aus diesem Grunde haben die russischen Staatspapiere die Tendenz, zu sollen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte sich nur dann finden, wenn Rußland ohne neue Anleihen dauernd feine Zinsen zu zahlen vermag und wenn die russischen Staatspapiere durch eine Äe- iundung des kranken Rußlands steigen würden. Aber unftreitig geht der Verfasser zu weit, wenn er behauptet, daß die Starke und Lauer der gegenwärtigen Krisis und ihre Wiederkehr in Deutschland, in ganz Westeuropa, in Amerika und in der ganzen Welt abhängig sei von der Gesundung Rußlands. WaS Herr Martin von Rußland behauptet, dasselbe könnte er mit dem gleichen Reckte von Japan ansübren. das mehr als ein halbe- Dutzend Kriegsanleihen aus- gegeben und nock dazu schwere elementare Heimsuchungen, Ueder- 'ckwemmunaen und Hungersnot, nock in diesem Jahre zu verzeichnen batte Im übrigen stehn die Termine, an denen Rußlands Zahlungs- sähigkeit geprüft werden kann, vor der Tür: am 12. August 1908 bat die russische Regieruna 160 Millionen Rubel RenteibillettS einzulösen: am 14. Mai 1909 müssen 800 Millionen Franken tzproz. Sckatzscheine, die seinerzeit in Paris untergebracht wurden, eingelöst werden: am 1. Juli Leipzig, Verlag von Dr. Werner Kliakhardt. Preis 1 ^l. 1911 muß Rußland die Berliner Anleihe des JohreS 1905 von einer halben Milliarde zurückzahlen! Herr Martin hat starke Zweifel, ob Rußland diese 11H Milliarden Mark ausbringen kann: er beansprucht für seine Auffassung um so mehr Glauben, als er bereits im Jahre 1905 die Revolution und den Staatsbankrott in Rußland vorausoeiagt habe. Nun. auf das Prophezeien möchten wir uns vorerst nickt einlassen, wenn wir auch dem Beispiel der „Nordd. Allg. Zta." nicht folgen wollen, die seinerzeit Martins Ausführungen über Rußland als „abenteuerliche Prophezeiungen aus Grund haltloser Voraussetzungen" bezeichnet hat. Wir sind sogar der Ansicht, daß Herr Martin sich e»n Verdienst erwor- ben hat, als er vor 2 Jahren sich der Oefsnuna des deutschen Marktes für die geplante russische Rielenanleihe widersetzte. Und man darf es dem ehrlichen Wollen des Verfassers zugute halten, wenn er neuerdings feierlich versichert, „er werde stets bestrebt sein, sich um ein Mandat für das preußische Abgeordnetenhaus und den deutschen Reichstag zu be mühen, um alle Attentate gegen das deutsche Nationalvermögen abzu wehren. um der Industrie, dem Handel und der Landwirtschaft bil liges Geld zu verschaffen und um die finanzielle Mobilmachungs- sähigkeit des Deutschen Reiches aufrecht zu erhalten und zu vermehren." Wohl dem, der das alles zuwege bringt! Als die zweite Ursache.der internationalen Krisis bezeichnet Herr Martin den schrankenlosen Optimismus, der den Amerikanern eigen ist. Die Amerikaner überschätzten nach ihrer Gewohnheit ihre eigenen finanziellen Kräfte und diejenigen Westeuropas. Nock in den ersten Monaten dieses Jahres hat Amerika nack Möglichkeit Geld aus Europa, besonders für den Bedarf der Eisenbahnen, herangezogen. In den letzten Jahren des Aufschwungs haben die Amerikaner ganz ge waltige Kapnalanlagcn vorqenommen, und in Erwartung des Fort ganges dieser Kapitalinvestierungen hat der Stahltrust und der Kupsertrust die Preise m die Höhe getrieben. Sobald sich sedoch im Lause des Jahres 1907 herausstellte, daß die in den Vereinigten Staaten projektierten Eisenbahnen, deren Ausführung mindestens 15 Mil- liarden Franken fremden Geldes erfordert hätte, nicht gebaut werden konnten, war ein Sinken der von der Spekulation zu hoch geschraubten Rohmaterialien unvermeidlich. Es folgte zunächst ein gewaltiger Kuvterkrach, der dann den Zusammenbruch der bekannten Bankinstitute und Trustkompagnien zur Folge hatte. Tie starken Verluste, welche das europäische Kapital bei der großen amerikanischen Krise des Jahres l893 erlitten hat, hätten, so meint Herr Martin, eine dauernde Warnung für die europäischen Kapitalbesitzer sein müssen. Von diesem Gesichts- punkte aus gelangt er zu dem pyramidalen Lapidarsatz: „Amerika- nische Eisenbahnpapiere und Aktien industrieller Unternehmungen darf man nur in einer Zeit der Krisis kaufen, wenn sie ganz tief stehen, wie z. B. in der Gegen wart. Soll dieses Prinzip überhaupt Geltung haben, dann dürfte der selbe Standpunkt schlechthin auch gegenüber anderen ausländischen Papieren, ja schließlich bei allen Wertpapieren des In- und Auslandes ^treffen. Ten „unbegrenzten Möglichkeiten" in Amerika stehen eben die „begrenzten" in den übrigen Ländern des Erdballs gegenüber, was ja so ziemlich auf ein und dasselbe herauSkomvct. Die dritte Ursache der Krisis der Gegenwart sieht Herr Martin in dem Sinken der Goldshares und anderer Papiere in Süd- asrika. Seit Ende 1904 hat das gesamte in Transvaal investierte Kapital eine'ungeheure Einbuße erlitten, eike Verminderung, die'in der Zeit vorn 31. Dezember 1904'bis zum selben Zeitpunkt 1906 mit rund L8 Milliarden Mark beziffert wird' Deutschland dürfte an diesem Ver- lüft mit etwa 200 Millionen Mark beteiligt sein. Durch das Sinken der amerikanischen Papiere seit dem März 1907 an der Berliner wie an der New Aorker Börse ist ein weiterer Verlust für die deutsche Volkswirt schaft entstanden, der mehr als 100 Millionen Mark betragen dürfte. Die Konsumtionssähigkeit der deutschen Nation und die Aufnahme- sähigkeit des deutschen Marktes haben also durch Rußland, Amerika und Südafrika erheblich gelitten. Ter Verfasser hätte dabei vielleicht auch aus die kolossalen Verluste der Wertpapierbesitzer an der hcimilcken K a l i i n d u st r l e und den bedenklichen Kursstand unserer gering ver zinslichen deutschen Staatspapiere Hinweisen können. Gerade der hohe Zinsfuß der letzten russischen Anleihen war ja der Lauptanreiz für die Welt der Kapitalisten. Immerhin ist unseres Erachtens nicht zu ver gessen, daß gerade die Kursverluste weiterhin eine Folge der Geld knappheit sind, so daß man diese Einbußen eigentlich nicht als ,,Ur sachen der Geldknappheit bezeichnen dürste. Die südafrikanischen Papiere z. B. sind gesunken, trotz steinender Produktion und steigender Dividende der Goldgruben. Die „Krisis", der Rückschlag in der Kon junktur. folgt eben nach den bisherigen Erfahrungen regelmäßig auf etwa 5 bis 7 Jahre Hochkonjunktur. Die in den Jahren ver Hoch konjunktur ertolgende Festlegung von Kapitalien bedingt naturgemäß einen zunehmenden Mangel an Kapital und erst in welkerer Folge stellt sich dann ein Mangel an Geld, eine Geldknappheit ein, die wiederum an den Börsen starkes Angebot bei schwacher Nachfrage und daraus resultierend mehr oder minder starke Kurseinbußen mit sich bringt. Gegen den Mangel an Kapital läßt sich natürlich nichts tun. Aber dem Mangel an Umlaussmitteln kann gesteuert werden, worauf übrigens auch Herr Martin hinweist. Bezüglich der Kursverluste darf ferner nicht außer Acht gelassen werden, daß diese für den Wertpapier besitzer, der seine Effekten durchhält, bis wieder eine Kursbesserung ein tritt. einen tatsächlichen „Vertust" nicht involvieren. AuS diesem Grunde schon erscheint es uns nicht angängig, wenn Herr Martin z. B. bei der rassischen Anleihe einfach aus der Differenz zwischen dem höchsten und niedrigsten Kursstand seine Millionenverluste herausrechnet und diese Einbuße für die augenblickliche Geldknappheit mit verantwortlich macht. Hier zeigt sich wieder einmal der Fall, daß der Theoretiker die Erfahrungen der Praxis nicht genügend zu würdigen weiß. Der Verfasser kommt zu dem Schluß, daß die Geldknappheit und Kreditbeschränkung wie in Amerikas auch in Westeuropa noch Bankrotte über Bankrotte zur Folge haben durfte. Aber dos Bewußtsein und die Zuversicht, daß wir nach Ueberwinduna dieser Geldknappheit schon in 2—5 Jahren einem großen wirtschaftlichen Aufschwung cntgegengehen, werde das allgemeine Mißtrauen mindern. Seit dem Auskommen der Motorlustschiffahrt habe jede Großmacht die Neigung verloren, die plötzlich viel ungewisscrgewordenen Chancen eines Krieges aus sich zu nehmen. Und so sagt Martin aus die gegenwärtige Baisse eine Hausse voraus, wie sie die Wirtschaftsgeschichte noch nie gesehen hat. Er ver- weist dabei auf die große Umwälzung, welche die Motorlustschisfahrt sckon in der nächsten Zeit bervorbrinaen werde und glaubt, daß in den nächsten 20 Jahren viele Milliarden Mark in Luftfahrzeugen aller Art, Luftschifshäfen, Fabriken für den Bau von Luftfahrzeugen und Motoren werden angelegt werden. Der gesamte Handel werde einen großen Auf- schwung nehmen: ganz Afrika werde in wenig Jahren vollkommen er schlossen werden: die europäischen Industrien werden für alle ihre Er- zeugnisse ein größeres Absatzgebiet haben. Sollte aber die Geldnot in Deutschland noch zunehmen oder längere Zeit anhalten, so würde es nach hem Verfasser aenüaen. wenn die 900 Millionen Mark, welche in den Jahren 1902 und 1905 nach Rußland gewandert sind, vorläufig von Reichs wegen durch Inanspruchnahme des Kredits dem flüssigen Kapital der Nation wieder zugesührt würden. Dieser Vorschlag Martins bat aewiß viel für sich, aber es fragt sich nur, ob er damit an den maßgeben den Stellen Gegenliebe finden wird. Herr Martin selbst scheint wenig Zutrauen zu haben: denn er läßt eS dahingestellt, „ob unser wirtschaft liches und politisches Leben noch gesund genug ist. um denjenigen Män nern den notwendigen Einfluß zu verschaffen, die das nationale und soziale Interesse der deutschen Nation gegen die Machtmittel des russi schen Staates verteidigen wollen". Das bezieht sich offenbar auf die- lenige höbere Stelle, die gegen die antirussische Propaganda des Autors einschreiten zn müssen glaubte. Ob man das heute noch für tnnlick hält? die andern immer p Man läßt beim ..... beiseite und hält sich an die Realitäten. Aber auch dann kann man sehr wohl zu der Vermutung kommen, daß hier, im Frieden wenigstens, ein Beispiel traditioneller und sehr gefährlicher Kraftvergeudung vorliegt. Früher lagen die Verhältnisse völlig anders. Es mangelte die Nach- richtenübermittelung durch Telegraph und Presse, es fehlte die intime Kenntnis des nachbarlichen Lebens, und daher mochte es wohl manchmal nützlich und der Mühe wert sein, sich durch Spione über die kriegerischen Absichten und Rüstungen informieren zn lassen. Trotzdem kann man behaupten, daß nur sehr, sehr selten eine so erworbene Kenntnis zu der Entscheidung einer Scklackit oder aar eines Krieges wesentlich bei getragen hat. Tas Beste haben doch immer der Wert und die Führung der eigenen Truppen leisten müssen. Und wo die minderwertig waren, haben auch die besten Spione nichts genutzt. Aber was tonnen unk- heute Spione viel verraten? Dos Meiste und Wichtigste wissen wir doch ohne sic. Die parlamentarische Budgetbewilligiing informiert-un sere Militärs besser, als das der schlaueste Spion könnte. Wir kennen die feindliche Truppenstärke, die Garnisonen, die Festungen, die be festigten Lager, die Waffen, die Munition. Und von uns wissen die lieben Nachbarn dasselbe ebenso genau. Ten Botschaften oder Geiandttchaf- ten sind militärische Sachverständige zugeteilt, die in den Manöoern die Taktik, den Geist der fremden Truppen beobachten. Und wenn sie sehen gelernt habeitz werden sie uns mehr und Wertvolleres zu melden wissen, als alle Spione zusammengenommen. Selbst von einem Verrat der strategischen Pläne eines Landes ist nicht gar so viel zu erwarten. Es kommt nämlich doch immer alles anders. Und wehe dem Heere, das nicht nack freien Entschlüssen, gefaßt nach den Verhältnissen des kriege rischen Moments, geführt wird, sondern in bloßer Abhängigkeit von verratenen Plänen des Gegners, die vielleicht inzwischen längst ver ändert worden sind. Details können die armen Schächer höchstens liefern, Bagatellen, die vielleicht dem Fachmann interessant sind, aber uns auch nicht einen Pfifferling nutzen, wenn unsere Waffe selbst nichts taugt. Trotzdem kann man wohl verstehen, wenn keine militärische Groß macht es bis jetzt über sich gewonnen hat, ganz auf das Jnsormations mittel der Svionage zu verzichten. Zu viel steht aus dem Spiele, wenn die eisernen Würfel fallen, als daß es eine Staatsleitung vor sich und der Nation leichten Herzens verantworten möchte, nicht alle Chancen rücksichtslos genützt zu hoben. Aber es bleibt zu bedenken, daß Spionageaffären immer auf reizend auf die sich düpiert fühlende Nation wirken. Sie find eine der vielen Erscheinungen des internationalen Lebens, die dem Frieden systematisch cntgegenarbeiten. die Annäherungen zwischen Völkern bin tertreiben. die verhetzen. Sie sind eine ewige Kriegsgefahr. Ter klassische Dreyfusfall ist auch dafür vorbildlich. Und schon auS diesem Grunde wäre es wohl erwägenswert, ob man nicht auf das Spionieren grundsätzlich verzichten sollte. Natürlich müßte das allseitig geschehen, denn die Aufdeckung einer einzigen Spionenassäre würde sofort den ganzen internationalen Apparat wieder erstehen lassen. Aber wozu ist denn das Haager Schieds- und Friedensaericht da? Leider ist aus diese Institution zarischer Initiative wenig Hoffnung zu setzen in diesem Falle, denn der Erörterung steht sckon der erne Grund im Wege, hab keine einzige Regierung offiziell zugeben wird, sie besolde Spione. Tai: ist nickt Sckam. sondern Kliiaheit und Vorsicht, denn das offene Ein geständnis der Spionage würde von allen anderen mit einem Ent- rüstungSrummel ohnegleichen beantwortet werden. Obwohl jeder vom anderen weiß, daß er sündigt, gehört es zu den wohlerwogenen diplo matischen Usancen, so zu tun. ass ahne man nicht das Geringste. Tenn nur ans diesem Wege ist ein diplomatischer Verkehr überhaupt möglich. Also ist zu vermuten, daß aus eine internationale Abschaffung der Spio nage durch Vertrag nicht zu rechnen ist. Und nebenbei: so ganz sicher wäre die Ausrottung des Nebels auch nach einem entsprechenden Haager Beschluß noch nicht. Vielleicht kann man von der immer weiter gesteigerten Parlamen- tarisierung des Regimes einiges erwarten. Denn die Spionage ist ein unmodernes Kampfmittel, sie ist io reckt ein Attribut des Absolutismus ein dunkles Gewerbe. Und die Spionage ist an dem Tage so gut wie tot, an dem die Parlamente keine Gelder für geheime Fonds mehr bewilli gen. Möglich ist ihre Abschaffung also schon. Aber ob wir es erleben werden? Inzwischen dünkt es uns Pflicht, bei den verschiedenen Ent büllungsassären, die'en unvermeidlichen Begleiterscheinungen des ganzen Systems, ruhig Blut zu bewahren und immer der Wahrheit de» Spruches eingedenk zu sein: peaaLttrr extr» mnros st intoa. Spronagegesehichten. Bei dem Worte Spion bekommt der ehrliche CbristSnmensch eine Gänsehaut. Visionär erscheinen ihm die unerläßlichen Attribute der Spionage. Ein richtiger Spion ist immer verkleidet, schleicht im schaurigen Dunkel der Nackt, bis an die Zähne bewaffnet, au; Gummisohlen umder und wird verachtet oder gefeiert, je nachdem er die Geheimnisse seines eigenen oder eines fremden Landes verrät. Auch ein wenig Romantik gehört dazu, deren Nachempfinden freilich bei näherem Zusehen schon einer gewissen geistigen Anormalität bedarf, lind als Triebfeder wirkt meistens ein in Aussicht stehender Batzen Geld. Nicht immer freilich. Besonders im Kriege, wenn die Spionage am üppigsten gedeiht, aber auch, unter dem Standrecht, am lebensge'ähr- liebsten ist, wird heutigen Tags noch aus Patriotismus, Pflichtgefühl oder Ehrgeiz spioniert. Und manch einer, der aus einem Feldzug nichr Heimgekehrten, der Verfckolleneu, mag dem Spruche eines Stand gerichts zum Opfer gefallen sein. Die militärifche Spionage gehört zu den Uebeln, die unausrottbar scheinen, auch zu denen, die den fenseits von Gut und Böse liegenden Teil der Staatsräson illustrieren. Für den von Bismarck verspotteten politisierenden Landpastor ist die Lösung dieses Problems natürlich lehr einfach. Spionieren ist unmoralisch, also unzulässig. Nur kehrt fick kein Staat daran. Und gerade in unseren Tagen häufen sich wieder einmal die Spionaaegeschichten. Tie jüngste ist die des französischen Schlssssäbnrichs Ullmo, der Morphinist oder Opiumist sein will und für seinen geplanten oder vollbrachten Verrat seiner Geheimnisse sich also den Milderungsgrund des Raufcbes sichern möchte. Zum Unterschiede von der Treysusasfäre, an der sich die Franzosen gründlich den Magen verdorben haben, wird diesmal die Angelegenheit verhältniSmätzig nüchtern und geschäftsmäßig behandelt. Dieier Ullmo »st »a auch der reine Dilettant im Spionieren. Schreibt Briese an den deutschen Marincattoche in Paris, als wenn er noch nie etwas von einem schwar zen Kabinett gehört hätte, und fordert Summen wie ein russischer Armee lieferant. Die Franzosen können wirklich mit Herrn Ullmo leinen Staat machen. Und wenn sie die Geschmacklosigkeit doch noch so weit treiben sollten, Deutschland als schwarzes Tier hinzustellen, das die unschuldige Seele dieses Musterfähnrichs verführt habe, _fo braucht man wohl nur an die zahlreichen Neichsgcrichtsspionagevrozene zu erinnern, bei denen Franzosen oder französische Agenten als Leidtragende fungier ten. Zum Beispiel an die drei französischen Offiziere, die der Spionage überführt und vom Kaiser nach kurzer Haft begnadigt wurden. Im Spionieren wird eben überall gesündigt, weshalb das Schimpfen aus die andern immer pharisäifch anmutet. Man läßt beim Betrachten dieser Tinge die Moral am besten ganz Deutsches Reich. Lei-zia. 20. November * Vatikan »nd Deutschland AnS Rom wird geschrieben: Die jüngsten Ausführungen einer Berliner Zeitung über die Ersetzung des Frhrn. v. Rotenban durch Herrn v. Mühlberg, die in der ganzen italre- nischeu Presse abgedruckt sind, machten auch in kirchlichen Kreisen Ein- druck. Seit dem Ecker mit dem Septennat hütet sich der Vatikan, das Zentrum politisch zn beeinslnssen. Daaegen wird zugegeben, daß beim Bruche deS Vatikans mit Frankreich Rolenhan energischer hätte auf-
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